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Besessener Sammler. Nach August dem Starken haben die Dresdner Kunstsammlungen ihr Magazin benannt.

© dpa

Museums-Journal für Dresden: Einsamer Reiter

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben sich ein neues Magazin spendiert. „August“ kreist um die Isolation.

Sind wir im Sommer? Schon möglich, dass ein paar Wochen einfach vom Virus einfach geschluckt wurden: Wer kann im langen, trägen Fluss der Homeoffice-Tage noch sagen, ob es Montag oder Donnerstag, April oder doch vielleicht August ist? „August“ steht jedenfalls in Versalien auf einem neuen, zweisprachigen Magazin (deutsch/englisch) aus Dresden – und es dauert einen langen Wimpernschlag, bis man den Bogen hat: Dresden und August der Starke, Gründer der Porzellanmanufaktur Meissen und besessener Sammler, dem die sächsische Hauptstadt beträchtliche Teile ihrer Kunstschätze verdankt.

Das Magazin ist eher dick und weich. Schönes Papier, aufwendiges Layout. Ein Handschmeichler, der nachvollziehbar macht, weshalb Holger Liebs auf eine Online-Version des jüngsten Projekts an seiner neuen Wirkungsstätte verzichtet. Liebs, bis 2016 Chefredakteur des Kunstmagazins „Monopol“, danach Programmdirektor im Hatje Cantz Verlag und nun Pressechef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), bleibt seinem Metier treu. Die erste, gedruckte Ausgabe von „August“ bedient sich der teils Jahrhunderte alten Kunst vor Ort, um über ein Phänomen der Gegenwart nachzudenken: Isolation.

„Bist du einsam?“, fragt eine Zeile auf dem Titel, die mehr an Werbung für Dating-Plattformen oder sexy Annoncen erinnert als ein seriöses Museumsmagazin. Darunter schaut einen dann allerdings eine Gestalt an, die eindeutig der Welt der Malerei entspringt: dunkel, melancholisch, das Kleid hochgeschlossen. Oskar Zwintscher, dem das Dresdner Albertinum aktuell ein Forschungsprojekt widmet, malte das „Bildnis einer Dame mit Zigarette“ 1904. Es siedelt irgendwo zwischen spätem Symbolismus und früher Neusachlichkeit und markiert den Auftakt einer Serie von Einzelporträts. Das Heft ist randvoll damit, und wir müssen uns eingestehen, dass exakt diese Gemälde – das „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“ (um 1659) von Johannes Vermeer oder „Morning Sun“ von Edward Hopper (1952) aus der Sammlung des Columbus Museum of Art in Ohio – zu den Favoriten zahlloser Museumsbesucher zählen. Vielleicht ist Alleinsein doch nicht so schlimm.

Das Jahresmotto der Kunstsammlungen heißt „Einsamkeit und Empathie“

„August“ spiegelt das Motto, das sich die Dresdner Kunstsammlungen für 2021 gegeben haben: „Einsamkeit und Empathie“. Es klebt aber nicht an den geplanten Ausstellungen, sondern behandelt ihre Inhalte kursorisch und essayistisch. So erklärt der nigerianische Künstler Emeka Ogboh, weshalb er Anfang dieses Jahres 200 Plakate im Dresdner Stadtgebiet aufhängen ließ, mit denen er fünf der umstrittenen Benin-Bronzen aus der Sammlung des Museums für Völkerkunde als vermisst ausgab: Weil er den „Reparationsdialog bislang ineffektiv“ findet und „sein Ziel, die Kunstobjekte an ihre ursprüngliche Heimat in Benin, Nigeria, zurückgeben zu lassen, verfehlt hat“.

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Der Literaturkritiker Gustav Seibt hat sich einen kahlen, vom sächsischen Romantiker Carl Gustav Carus gemalten Baum angeguckt und sinniert über die Symbolik seiner Verästelungen. Bestsellerautor und „Monopol“-Gründer Florian Illies schreibt über „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“ – eine Schau, die im Herbst ins Albertinum kommt und den Blick aus dem Fenster mehrfach zum Thema hat. Dass Maler wie Caspar David Friedrich in der „selbst gewählten häuslichen Quarantäne“ ihr inneres Universum entdecken und daraus Sujets wie den weltbekannten „Mönch am Meer“ generieren, gehört zu Illies’ tröstender Botschaft in dieser aktuell auf Rückzug gepolten Zeit. Wenn aber auch nur einer dieser Fensterblicke, die bei Karl Gottfried Traugott Faber oder auch Friedrich direkt ins liebliche Elbtal gleitet, den realen Verhältnissen des frühen 19. Jahrhunderts entspricht, bleibt zu konstatieren: Kaum ein Berliner Fenster hält da heute mit.

Kein Download, kein Online-Button: Print wird gefeiert

Das Engagement von Illies erinnert aber noch an etwas anderes. Dessen Intermezzo als Geschäftsführer im Berliner Auktionshaus Grisebach begann 2011 ebenfalls mit der Herausgabe eines opulenten „Journals“. „Dieses Magazin erzählt mit hochkarätigen Autoren aus ungewöhnlicher Perspektive die Geschichten hinter den Werken unserer nächsten Auktion“, hieß es damals zur Premiere. Autor:innen wie Moritz Rinke, Bodo Kirchhoff und Helene Hegemann ließen sich bis 2018 immer wieder von Bildern wie Skulpturen literarisch inspirieren. Und auch wenn Marion Ackermann als Generaldirektorin der Dresdner Sammlungen im Editorial von „August“ die Einmaligkeit dieser ersten Ausgabe betont, in der man auf die „eigene Expertise“ verzichte, um Externen den Vortritt zu lassen, steckt in dem neuen Produkt mehr Grisebach als Museums-Journal.

[„August“, das Magazin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 84 S., ist kostenlos über www.skd.museum bestellbar.]

Haptisches contra Zoom-Konferenzen und digitale Ausstellungsbesuche. „August“ will die mediale Gegenwart entschleunigen. Es liegt aus oder kann bei den Staatlichen Kunstsammlungen per Post bestellt werden. Eine „Flaschenpost zum Anfassen“ nennt Marion Ackermann die Publikation. Dabei erinnert es eher an eine Schneckenpost aus dem barocken Dresden. Ein PDF zum Downloaden, den Button auf der Website für die Online-Version von „August“ sucht man vergeblich. Das klingt konsequent, hat aber zugleich etwas Bevormundendes. Sicher, auch andere mit Liebe zum Print gemachte Magazine sind nicht im Netz zu lesen. Dabei handelt es sich jedoch um Publikationen aus privaten Verlagen. „August“ ist ein mit öffentlichen Mitteln realisiertes Projekt, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, das „ein gemeinschaftliches Gefühl des Trostes erzeugen“ will. Dazu gehört das Teilen: hier und jetzt und möglichst niedrigschwellig. Man möchte selbst entscheiden, ob „August“ im Briefkasten oder im Mailfach liegt. Oder am Ende doch in beiden.

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