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Interessante Ménage-à-trois: Regisseur Kafuku ( Hidetoshi Nishijima), seine Fahrerin Misaki (Toko Miura) und der rote Saab.

© Rapid Eye Movies

Murakami-Verfilmung „Drive My Car“: Trauerarbeit auf Autopilot

Hamaguchi Ryūsukes stilles Drama landet zum Jahresende nicht nur auf Obamas Bestenliste. Das Roadmovie „Drive My Car“ erzählt von verlorener Liebe und Schuldgefühlen.

Von Andreas Busche

Im Kino ist das Auto mehr als nur ein Fortbewegungsmittel, es fungiert auch als Schutzraum und Zeitkapsel. Im Wageninneren steht die Zeit still, während draußen die Landschaft vorbeifliegt: Drinnen wird das Leben verhandelt, unberührt von der Außenwelt. Das Auto als Bühne. Hamaguchi Ryūsuke treibt dieses Gleichnis in seiner dreistündigen Filmmeditation „Drive My Car“ auf die Spitze.

Das Leben steht für den Theater-Regisseur Kafuku still, seit seine Frau Oto zwei Jahre zuvor überraschend starb. Ihre Stimme ist im Auto immer noch seine ständige Begleiterin, als Tonbandaufnahme. Mit ihr als unsichtbarer Partnerin führt er die immergleichen Dialoge aus Tschechows Drama „Onkel Wanja“, in dem er die Sätze der Titelfigur ergänzt. Ein Ritual als Abkapselung von der Welt.

Die selbstgewählte Isolation wird durch ein Theater-Engagement empfindlich gestört. Seine jüngste „Onkel Wanja“-Inszenierung führt ihn im Rahmen eines Künstlerprogramms nach Hiroshima. Da der letzte Stipendiat jedoch einen Autounfall verursachte, legt das Kleingedruckte im Vertrag nun fest, dass ihm die Einrichtung einen Fahrer zur Verfügung stellen muss. Kafuku (Hidetoshi Nishijima) ist von der Idee, einen anderen Menschen hinter das Steuer seines roten Saab 900 zu lassen, nicht begeistert – erst recht, als ihm die 23-jährige Misaki (Tôko Miura) als seine Fahrerin vorgestellt wird. Er empfindet die wortkarge junge Frau nicht nur als Störung seiner Privatsphäre, sie stellt auch sein Rollenbild auf den Kopf.

Im Auto herrscht zunächst Schweigen, nur die Stimme Otos erfüllt die Stille zwischen Kafuku und Misaki. Die fließenden Bewegungen des Saabs durch den Stadtverkehr und – aus der Vogelperspektive – entlang der Küstenstraße geben den ruhigen Rhythmus vor, der sich dann auch als auffälligstes Stilmittel in Hamaguchis Inszenierung erweist. Der japanische Regisseur ist bislang nicht als großer Stilist aufgefallen, seine Filme leben vielmehr von geduldigen, präzisen Beobachtungen; mit „Drive My Car“ überführt er dieses Prinzip der Reduktion allerdings in eine hochkonzentrierte Form.

Subtile Nuancen beredter Sprachlosigkeit

Seine Kunstfertigkeit beweist Hamaguchi, der mit Takamasa Ōe die gleichnamige Kurzgeschichte von Haruki Murakami adaptiert hat, darin, wie elegant er die Nuancen und subtilen Bedeutungen dieser beredten Sprachlosigkeit Schicht um Schicht freilegt. Dramaturgisch ist der Bezug auf Tschechow wenig instruktiv.

Der russische Klassiker dient nur als weitere Textebene, über das Sprechen und die Kommunikation an sich, die sich über den Murakami-Text legt. Der Regisseur Kafuku ist gewissermaßen ein Transzendentalist. Wie der Franzose Robert Bresson (oder, um im japanischen Kino zu bleiben: Ozu Yasujirō) nötigt er seine Darsteller:innen, ihre Texte so lange auswendig zu lernen, bis jeglicher emotionaler Ausdruck aus ihren Sätzen verschwunden ist. Auf ähnliche Weise geht er auch mit dem Verlust seiner Frau um.

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Bei den Proben, die „Drive My Car“ minutiös begleitet, praktiziert Kafuku eine Distanz, die sich in der Enge des Autos nicht länger aufrechterhalten lässt. Das bedächtige Erzähltempo entwickelt eine hypnotische Sogwirkung, denn die Autofahrten rekurrieren auf den vierzigminütigen Prolog des Films (bevor die Eröffnungscredits einsetzen), in denen Hamaguchi das Ehe-Arrangement von Kafuku und Oto (Reika Kirishima) in reservierten Einstellungen beschreibt.

Auch die Beziehung zwischen dem Regisseur und seiner Frau, einer erfolgreichen Fernsehautorin, besteht aus Ritualen, die ein lange zurückliegendes Trauma verdrängen: den Tod ihres Kindes. Ihr Sex ist eine Art Übersprungshandlung, zur Stimulation dienen Otos Geschichten, die sie bis zum gemeinsamen Orgasmus (mit dem Cliffhanger als „Höhepunkt“) weiterspinnt.

Dieses Begehren ist einerseits natürlich eine geradezu absurd-bemüht literarische Konstruktion. Andererseits eine peinliche Männerfantasie, die allerdings in Hamaguchis Geschlechterbild passt: die frigide, promiskuitive Ehefrau, männlicher Autofetisch, Kreativität als Lustersatz. Und dennoch kann man sich dem Reiz aus Naturalismus und Theatralik dieser sachlichen Inszenierung nur schwer entziehen.

Frauenfilme aus männlichen Projektionen

Ein leicht befremdliches Frauenbild zog sich bereits durch Hamaguchis jüngere Arbeiten. Der Episodenfilm „Wheel of Fortune and Fantasy“, der im März auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, dreht sich um drei Frauen, von denen sich allerdings nur die letzte Geschichte wirklich für ihre Protagonistinnen zu interessieren scheint. Ein komisches Missverständnis führt dazu, dass zwei wildfremde Frauen einen Nachmittag miteinander verbringen. Dieses Rollenspiel der beiden „Schulfreundinnen“ ist auch ein wiederkehrendes Motiv in „Drive My Car“, den Hamaguchi als männliches Pendant zu seinem „Frauenfilm“ bezeichnet.

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Kafuku engagiert den viel zu jungen Fernsehstar Kōji (Masaki Okada), in dem er einen Liebhaber seiner Frau vermutet, für die Rolle Wanjas. Dieses Geheimnis bleibt in den Gesprächen der Männer über Oto allerdings unausgesprochen; und auch Hamaguchi lässt offen, ob aus den Schwärmereien des jungen Schauspielers nicht lediglich Bewunderung spricht. Kafuku jedenfalls findet über seine Eifersucht zu einer neuen Auseinandersetzung mit seinen Schuldgefühlen wegen Otos Tod.

Doch es sind seine Gespräche mit Misaki, die die Vergletscherung der Gefühle aufbrechen. „Drive My Car“ tastet sich langsam an diesen Punkt heran, gleitet fast wie auf Autopilot ins Ziel. Und Hamaguchi ist gut beraten, der jungen Frau in seinem „Männerfilm“ so viel Platz einzuräumen. (Murakamis Kurzgeschichtensammlung trug noch den Titel „Von Männern, die keine Frauen haben“.) Die lakonische Baseballkappenträgerin wird zum emotionalen Kraftzentrum, sie lenkt ihren Schützling auf dem Rücksitz sicher an den Ort der Erkenntnis.

„Drive My Car“ gewann im Juli den Regiepreis von Cannes, womit das unscheinbare Werk Hamaguchis dieses Jahr maximale Aufmerksamkeit erfuhr. Auch in Barack Obamas Bestenliste rangiert der Film ganz oben. Aus dieser Begeisterung für ein betont unspektakuläres Erzählkino spricht, neben einer Murakami-Bewunderung, sicher die Sehnsucht nach „erwachsener“ Unterhaltung. Es ist, bei aller Stilsicherheit, aber auch ein Triumph der Funktion über die Form. (Seit Donnerstag in den Kinos)

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