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Tugan Sokhiev

© Stephan Rabold

Moskauer Bolschoi-Chor in Berlin: Zur Feier des Vaterlands

Der Moskauer Bolschoi-Chor singt unter der Leitung von Tugan Sokhiev in der Berliner Philharmonie.

Tugan Sokhiev ist Russe mit Leib und Seele. Als ihm 2014 die musikalische Leitung des Moskauer Bolschoi-Theaters angetragen wurde, gab er seine Chefposition beim Deutschen Symphonie-Orchester nach nur vier Jahren auf – trotz des enormen Erfolgs, den er in Berlin hatte. Weil er es für seine patriotische Pflicht hielt, dem größten Opernhaus seiner Heimat zu neuem Glanz zu verhelfen.

So stolz ist Tugan Sokhiev auf sein Bolschoi, dass er jetzt seinen Chor zum Gastdirigat bei den Berliner Philharmonikern mitgebracht hat. Nicht alle 120 Mitglieder, sondern nur 80 von ihnen – doch bereits diese entfachen in Scharouns feingliedrigem Konzertsaal eine ganz und gar ungewohnte Wucht. Hier begeistern normalerweise der Berliner Rundfunkchor und der Rias Kammerchor mit sensiblen Interpretationen, mit differenzierter Textausdeutung und sublimen Pianissimo-Schattierungen.

Ihre Moskauer Kolleginnen und Kollegen vertreten eine andere, ja antagonistische Ästhetik. Ihnen geht es vor allem um Überwältigung. Sicher, es gibt auch Momente üppig erblühender Klangpracht im Mezzoforte, doch zumeist ist ihr Gesang eine Demonstration der schieren Phonstärke. Ihre Stimmen durchschneiden den Raum wie Hochleistungsscheinwerfer die dunkle Winternacht.

Philharmoniker als Begleittruppe

Das verblüfft zuerst, fasziniert auch eine Weile. Schließlich aber fühlt sich der Zuhörer vor allem bedröhnt. Weil auch Tugan Sokhiev konsequent auf Kraft und Fülle setzt, denn er hat drei Werke ausgewählt, in denen der Chor immer auf dieselbe Art gefordert ist, nämlich als machtvolle Masse. In Alexander Borodins „Fürst Igor“ geht es um eine Schlacht gegen das muslimische Turkvolk der Kiptschak, in der „Alexander Newski“-Kantate beschreibt Sergej Prokofjew, wie die vereinigten russischen Streitkräfte 1242 die Ritter des Deutschen Ordens niedermetzeln. Und selbst im einzigen zivilen Stück des Abends, Sergej Rachmaninows „Frühling“, hält ein betrogener Ehemann (mit stählernem Bariton: Vasily Ladyuk) zur Rache an seiner Frau das Beil bereit.

Es gehört schon Chuzpe dazu, die Berliner Philharmoniker zur Begleittruppe eines Opernchores zu degradieren. Undankbar, ja geradezu läppisch sind die Aufgaben des Orchesters bei Rachmaninow und Prokofjew. In den Instrumentalpassagen der „Polowetzer Tänze“ hetzt der Dirigent die Musikerinnen und Musiker derart durch die Partitur, als wolle er möglichst schnell zur nächsten Vokalpassage gelangen. Bei der es dann in martialischer Diktion darum geht, Potentaten zu bejubeln oder – wie bei „Alexander Newski“ – die Feinde Russlands zu vernichten und die Tapferkeit der Helden zu feiern, die im Krieg krepiert sind (pathetisch: Mezzosopranistin Agunda Kulaeva).

Angesichts eines sprunghaft ansteigenden Aggressivitätspegels im gesellschaftlichen Diskurs, angesichts von nationalistischen Verhärtungen allerorten und der diplomatischen Eiszeit zwischen Russland und dem Westen verwundert es schon, dass die Berliner Philharmoniker so ein Programm widerspruchslos über sich ergehen lassen.

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