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Spezialgebiet Soundvermischung. Mark Speer, Laura Lee und Donald Ray „DJ“ Johnson Jr. sind Khruangbin.

© Tasmsin Isaacs

„Mordechai“ von Khruangbin: Das Ende eines Geheimtipps

Groove-Minimalismus und internationale Klänge: Das Trio Khruangbin liefert mit seinem tollen Album „Mordechai“ den Soundtrack für einen Sommer ohne Reisen.

Es gibt diese Bands, über die man am liebsten gar nicht schreiben möchte. Leicht ließe sich argumentieren, dass Musik eine begriffslose Sprache ist und die ästhetische Vermittlung nur mangelhaft durch Worte geleistet werden kann. Man könnte Khruangbin aber auch einfach als bunt gefleckte Forelle bezeichnen, die einem immer und immer wieder durch die Hände flutscht.

Eine Musikgruppe, bei der die Zumutung, sie etikettieren zu müssen, schon bei der fortwährenden Angst beginnt, den Namen falsch zu schreiben. Khruangbin ist das thailändische Lieblingswort von Bassistin Laura Lee, das wörtlich übersetzt „Fluggerät“ heißt. Hätten sie gewusst, dass die Band einen solchen Erfolg haben würde, wäre die Wahl wahrscheinlich auf einen anderen Namen gefallen, der weniger schwer aussprechbar ist, sagte sie jüngst. Zu spät.

Richtig haarig wird es ohnehin erst bei der Schilderung dessen, was die texanische Band auf Platten pressen lässt. Seit seinen Anfängen verwebt das Trio Soul, Surf, Dub, Funk und Psychedelic zu einer obskuren Mischung, in der sich iranische, thailändische und südamerikanische Einflüsse organisch überlagern. Stilmix ist eigentlich ein Wort, das durch unsägliche Mashups und algorithmisch zusammengewürfelte Playlisten im Streamingzeitalter längst zum Schimpfwort verkommen ist.

Die Gitarre als Geschichtenerzähler

Doch Khruangbin schaffen es, einen oszillierenden Sound zu erzeugen, der in seiner dialektischen Verworrenheit zugleich anspruchsvoll und minimalistisch, grundentspannt und unfassbar groovy ist. Ihr Erfolg lässt sich bisher eher in Klickzahlen auf Spotify und Youtube ablesen, als an Jubelstürmen in der Musikpresse. Den Status des „Geheimtipps“ dürfte die Band mit ihrem vierten Album „Mordechai“ nun aber endgültig verlieren.

Ihre Idee sei einfach, erzählt das Trio in Interviews. Nicht zu viel wollen, dafür aber aus der Reduktion das Maximale herausdestillieren. Als Grundzutaten braucht es dafür auch auf „Mordechai“ nicht mehr als das uralte Erfolgsrezept des Rock ’n’ Roll: Schlagzeug, Gitarre, Bass. Wer die Basics beherrscht, muss nicht mit abgefahrenen Sounds angeben. Was Mark Speer aus seinen Saiten herausgniedelt, könnte man für gewöhnlich als protzendes Muckertum bezeichnen. Doch bei Khruangbin schwingt er sich mit seinem Spiel zu einem wahren Geschichtenerzähler auf.

Der Sound spannt ein Netz aus Assoziationen auf, das mehr mitteilt, als es jedes Lyric-Sheet fassen könnte. Speers Melodien und kurze Soli sind auf „Mordechai“ weiterhin sehr präsent, auch wenn darüber erstmals ein vielsprachiger Gesang das Album dominiert. So wird der Song „Pelota“ komplett auf Spanisch vorgetragen und hüpft mit seinem südamerikanischen Rhythmus mühelos über jede Befestigungsanlage der texanisch-mexikanischen Grenze.

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Tighte Drums, lässiger Bass

Die Tightness ist dabei dem präzisen Puls der Drums und dem lässigen Bassspiel geschuldet. Lee dürfte ihren Platz unter den großen Bassistinnen der Musikgeschichte neben Kim Deal, Tina Weymouth, Kim Gordon und Melissa Auf der Maur festigen. Der für Khruangbin-Verhältnisse ungewöhnlich tanzbare Song „Time (You and I)“ ist gar eine heiße Bewerbung auf den Thron.

Es war Houston, Texas, wo sich Laura Lee, Mark Speer und Donald Ray „DJ“ Johnson Jr. in den nuller Jahren über den Weg liefen. Eine Bassistin mit lateinamerikanischen Wurzeln, ein weißer Gitarrist und ein schwarzer Drummer. Ein Umstand, der nicht weiter betont werden müsste – wäre Diversität nicht leider immer noch eine Ausnahme in der Popwelt. Und dann ist auch noch ausgerechnet die Space City ihre Homebase, die bisher eher durch ZZ Top und Destiny’s Child auf sich aufmerksam gemacht hat.

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Dabei lassen sich auch die Anfänge von Khruangbin durchaus als bodenständig bezeichnen. Johnson und Speer lernten sich 2004 in Rudy Rasmus’ Gospelband in der St. John’s Methodist Church kennen, wo sie als Instrumentalisten beschäftigt waren. Über Bekannte kam schließlich der Kontakt zu Lee zustande, mit der Speer eine Leidenschaft für afghanische Musik und die Architektur des Nahen Ostens teilte. Nur sechs Monate nachdem Lee mit dem Bassspielen begann, gingen beide als Support für Bonobo auf Tour.

Selbstvergessenheit und Weltoffenheit

Angeblich soll der Titel des neuen Albums einem Mann aus London gewidmet sein, der Laura Lee zum Wandern mitnahm und sie durch den Sprung in ein Wasserbecken zu einer Art Erweckungserlebnis ermutigte, das ihrer Kreativität neuen Schwung verlieh. Zugleich ziert ein Greifvogel das Cover – vielleicht eine Referenz an den Falken Mordechai aus dem grandiosen Wes-Anderson-Film „The Royal Tenenbaums“? Mordechai ist aber auch eine biblische Figur im Buch Ester. Ein Jude, der in der persischen Diaspora lebte.

Gutes Stichwort: Man wollte diesmal kein Album aufnehmen, das wie ein bestimmter Ort klinge, sagte Lee jüngst gegenüber der „New York Times“. Das ist Khruangbin in beeindruckender Weise gelungen. Sicher ließe sich das erschlagende Referenzgewitter stellenweise als Unentschiedenheit auslegen. In die Selbstvergessenheit und Weltoffenheit schleicht sich mitunter Langatmigkeit.

Und doch ist „Mordechai“ mehr als eine Easy-Listening-Platte mit eklektizistischer Note. Kurz vor Ende des Albums findet sich „So We Won’t Forget“. Eine vor sich hinpuckernde Ode an die Erinnerung. Eine liebliche Gitarre untermalt den lyrisch vorgetragenen Versuch, das vergängliche Leben dem Vergessen zu entreißen. Ein Song von betörender Schönheit. Veröffentlicht mit einem Musikvideo, das dem Zuschauer die Füße wegzieht. Houston, wir haben ein Problem. Taschentuch bitte.

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