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Beschäftigte der Firma Haas + Sohn in Sinn verfolgen die Sonderberichterstattung über den Raumflug von Apollo 11 und die Mondlandung.

© Roland Witschel/dpa

Mondlandung als TV-Ereignis: „In meinen Augen hat Neil Armstrong Winnetou erledigt“

560 Millionen Menschen verfolgten vor 50 Jahren die Übertragung der Mondlandung. War es das, was sie sich erträumt hatten? Sechs Erinnerungen.

Wen juckt das schon

Es klingelte. Das war schon seltsam. Niemand hat jemals in dem großen alten Haus in New Jersey, wo wir damals lebten, die vordere Tür benutzt. Major Curt Carley in Uniform, unangekündigt, stellt sich vor und tritt mit zwei Dutzend langstieligen roten Rosen und einem Seesack herein. Er ist schneidig und unglaublich attraktiv.

Der unerwartete Gast trank Limonade und plauderte über seinen Job als Air-Force-Testpilot – wie es ist, die Schallmauer zu durchbrechen. Plötzlich senkte er eine Stimme, eine Vision hatte ihn kürzlich ereilt. Jesus war ihm auf der Tragfläche seines Flugzeugs erschienen, eine ruhige und gebieterische Präsenz bei 1235 Kilometer in der Stunde.

Curt hatte verstanden: Er sollte sein Leben ändern. Wollte er vielleicht, dass wir ihn nach seiner Vergangenheit fragen? Ich war 16, fasziniert. Was war noch mal, fragte ich mich, der Grund dafür, dass man sich nicht in einen Cousin verlieben sollte? So dachte ich über die Zukunft nach.

Curt war auf der Durchreise. Mama machte an diesem Tag Wäsche und warf seine schmutzigen Sachen in die Maschine, damit er duschen und zum Abendessen seine Freizeitkleidung anziehen konnte. Blonder, muskulöser, blauäugiger Mann in Khaki und hellblauem Sporthemd. Wer braucht eine Mondlandung, wenn du von einem Stern getroffen wirst?

Es war der Abend. Die Familie versammelte sich auf niedrigen, unbequemen gelben Plastikstühlen vor dem Fernseher auf der Veranda. Neil Armstrong tauchte mit der seltsam gewellten Flagge in der Hand auf. Stand im Mondstaub. Curt konnte nicht stillsitzen. Vielleicht war es der Stuhl. Aber dann waren seine Hände überall auf seinem Körper, unter seinem Hemd. Er machte seltsame Geräusche. Schwer zu ignorieren. Als Armstrong sagte: „Riesiger Sprung für die Menschheit“, sprang Curt auf und drehte sich wie ein Seil, als wollte er eine Tarantella-Tänzerin nachahmen.

„Was hat er gesagt?“ Curt versuchte das Thema zu wechseln. Neil Armstrong pflanzt eine amerikanische Flagge auf den Mond, und wir haben es verpasst. Stattdessen haben wir gesehen, wie Major Carley beide Hände in seine Boxershorts steckt und wütend darin herumfummelt. Mama hatte verstanden. „Oh Curt, oh nein! Ich habe deine Unterwäsche mit den Vorhängen aus dem Schlafzimmer gewaschen.“ Schlafzimmervorhänge: orange, Fiberglas.

Die Bilder der Mondlandung (Neil Armstrong in einem Raumanzug aus Glasfaserfäden, nebenbei) wurden die nächsten 48 Stunden ununterbrochen im Fernsehen wiederholt. Curt duschte und kratzte sich noch zwei Tage lang, die mikroskopisch kleinen Glasscherben saßen tief in Haut und Unterwäsche. Die Aura war verschwunden. Jacalyn Carley

Zelle mit Ausblick

Die großen Ferien verbrachten wir als Kinder in einer abgeschiedenen Abenteuerwelt, hoch in den Tiroler Alpen, in einem einsam gelegenen Kloster. Erst wenige Jahre zuvor waren dort elektrische Leitungen gelegt worden für Pensionsgäste aus der Stadt. Auch fließendes Wasser war noch neu. An Fernsehen war natürlich nicht zu denken. Eines Tages im Juli 1969 machte eine unerhörte Nachricht die Runde.

Alle Stammgäste waren zum Pater Prior geladen, der ganz oben unter dem Dach lebte. Dessen Zimmer war bis dahin absolut tabu gewesen. Plötzlich stellte sich heraus, dass es doch einen Fernseher gab im Haus. Die Erwachsenen nahmen auf Stühlen Platz, wir Kinder hockten uns auf den Boden der kleinen Zelle. All diese Außerordentlichkeiten hätten schon gereicht für einen sehr besonderen Tag – und reichten doch nicht heran an das, was wir zu sehen bekamen. Danach betrachteten wir den Mond mit anderen Augen, wenn er hell und nicht mehr ganz so fern am Himmel über den Gipfeln erschien. Wie ein Vertrauter, der uns zuzuzwinkern schien.

Viele Jahre später sah ich die Ausstellung mit den Gefährten von damals in Cape Canaveral, die dünnen Folien, die spiddrigen Gestelle. Ich legte meinen Finger auf den Mondstein, der ganz glatt geworden war von den vielen Berührungen. Und plötzlich tauchte wie aus dem Nichts diese Frage auf in meinem Kopf: Ob das wirklich alles echt war? Die Fähigkeit, zu glauben, hilft nicht nur in Klöstern weiter. Elisabeth Binder

Peterchens Mondfahrt

Manchmal sind die Vorstellungen im eigenen Kopf vorab schon so fabelhaft, dass die Realität es schwer hat, sie überhaupt einzuholen. Jeder, der tausend Filmbilder und Fotos von Manhattan mit sich trägt, bevor er zum ersten Mal leibhaftig in New York landet, kennt diese Gefahr der sanften Enttäuschung. Alles Außerordentliche erscheint plötzlich wie längst bekannt und ein bisschen normaler, weniger grandios oder glamourös.

So konnte es einem auch bei den nächtlichen Fernsehbildern der Mondlandung vor 50 Jahren gehen. Ich habe sie in einer Münchner Studenten-WG geschaut, und das Spektakel erschien nicht auf Anhieb so elektrisierend wie einige Jahre später die nächtlichen Kämpfe von Muhammad Ali. Aber im Laufe der Übertragung begann doch ein Gefühl des Außerordentlichen, anders als bei allen anderen schon damals üblichen TV-Übertragungen: Man sah tatsächlich fern. So fern und weit wie nie zuvor. Das lag an der schlierigen grauen Unschärfe der Mondkamerabilder, die mit dem erstaunlich klaren, fast nahen Ton der Astronauten kontrastierten und zumindest eine Ahnung des eigentlich Ungeheuren, Unvorstellbaren gaben. Technisch vollkommenere Aufnahmen hätten wohl keine Chance gehabt gegenüber den Vorbildern aller Science-Fiction-Filme. Sie wären bei mir auch chancenlos gewesen neben den fantastischen alten Farbillustrationen von Hans Baluschek: für „Peterchens Mondfahrt“. Den Märchenklassiker hat der heute vergessene Autor und Schauspieler Gerdt von Bassewitz 1912/1915 ersonnen, der sich nur ein paar Jahre später, direkt nach einer Lesung aus seinem Welterfolgsbuch in der Berliner Villa Siemens, umgebracht hat.

Ich hatte als Kind die wunderbare Erstausgabe aus der Verlagsanstalt Hermann Klemm in Berlin-Grunewald geerbt. Darin war die Mondkanone, mit der Peterchen samt seiner Schwester auf die Raumreise geht, um dem Maikäfer Sumsemann sein auf den Planeten entführtes sechstes Maikäferbeinchen zurückzuerobern, als Inbild allemal eindrucksvoller als die Saturn-V-Rakete der Amis. Trotzdem ist es beruhigend, dass die Astronauten Armstrong und Aldrin nicht dem fürchterlichen Mann im Mond begegnet sind. Der bleibt bis heute: eine unsterbliche Kinderfantasie. Peter von Becker

Krank im Bett und aufgeregt am Radio

Beschäftigte der Firma Haas + Sohn in Sinn verfolgen die Sonderberichterstattung über den Raumflug von Apollo 11 und die Mondlandung.
Beschäftigte der Firma Haas + Sohn in Sinn verfolgen die Sonderberichterstattung über den Raumflug von Apollo 11 und die Mondlandung.

© Roland Witschel/dpa

Mission Spucknik

Das große Oben und das kleine Unten, so läuft Geschichte. So stellt es sich mir dar. Wir sind in den Alpen, Sommerurlaub. Juli 1969, ich bin zehn und krank. Soll Tabletten schlucken. Habe aber noch nie eine Tablette herunterbekommen. Spucke sie immer wieder aus, nun liegt bald eine halbe Packung auf dem Kies. Daran erinnere ich mich. Dass im Garten unserer österreichischen Ferienwohnungsvermieter, die mit vor dem Fernseher saßen, Kies lag. Was die Sache noch peinlicher macht. Ich versuche zu schlucken und speie die Tabletten aus, mir ist kotzübel. Das Fernsehbild ist schwarz-weiß, sehr klein und trüb.

Es muss eine Wiederholung am Vormittag gewesen sein, denn in der Nacht wären wir nicht aufgestanden. Das haben wir nie getan, beim Boxen nicht und auch nicht bei der Fußballweltmeisterschaft 1970 in Mexiko, als die Spiele sehr spät liefen, nach mitteleuropäischer Zeit. Komisch aufgeregt waren die Erwachsenen. Nicht wegen des gewaltigen historischen Ereignisses, wie mir schien, sondern weil man am Mondlandungstag aufgeregt zu sein hatte. Das interessierte aber einen Zehnjährigen mit Fieber und Bauchschmerzen nicht, der sich vor seiner Medizin ekelte. Ich fühlte mich ausgeschlossen von einem bedeutenden Ereignis, das die Älteren aber auch nur pflichtschuldig, jedenfalls nicht enthusiastisch wahrnahmen. Bei der Wetterkarte waren meine Eltern stets stärker engagiert, da durfte nie ein Wort fallen, es war ein heiliger Moment, eine allabendliche Mondlandung. Als würde ihr Schicksal verkündet, so andächtig lauschten sie der Wettervorhersage.

Viele Jahre später stand ich in Washington, im National Air and Space Museum, vor der „Eagle“, dem Mondlandegerät. Verdammt klein. Zwei Astronauten mit ihren Anzügen sollen darin Platz gefunden haben? Teile der Fähre waren mit Folie verkleidet, die an Küche und Backofen erinnerte, und das Ding sah so aus, als sei es aus einem Märklin-Baukasten zusammengeschraubt worden. Verschwörungstheoretiker behaupten, die Mondlandung sei ein im Filmstudio auf der Erde inszenierter Propaganda-Coup. Als ich nicht mehr zehn und noch lange nicht zwanzig war, fand ich die „Raumpatrouille Orion“ auch spannender und Dietmar Schönherr bedeutender als Neil Armstrong. Rüdiger Schaper

Zwischen Radio und Seven-Up

Eine halbe Milliarde Menschen soll damals vor dem Fernseher gesessen haben. Wir nicht. Wir saßen am Radio und verstanden kein Wort. Das ist ein bisschen übertrieben, ein paar Brocken Holländisch konnten wir schon, schließlich verbrachten wir jeden Sommer, so wie jetzt, in Zandvoort aan Zee. Das dicke Radio und die fröhliche Aufregung des Abends, die haben sich mir eingebrannt. Und dass wir die Expedition in der lustigen Sprache von Rudi Carrell verfolgten. Die entscheidenden Momente müssen wir doch verstanden haben, das haben wir im Gästebuch dokumentiert: „Landung auf dem Mond!!“ steht da, unterschrieben und beglaubigt von allen Anwesenden, Freunden und Familie. Da war ich elf Jahre alt und kannte mich mit Astronauten der NASA bestens aus: als glühender Fan der Serie „Bezaubernde Jeannie“.

Zur Feier des Abends gab’s Genever mit Seven-Up, für uns Kinder wahrscheinlich Seven-Up ohne Genever, das war feierlich genug, sonst kriegten wir immer nur Himbeersirup mit Wasser verdünnt. Ja, wir hatten sogar eine leibhaftige Amerikanerin mit uns auf dem Sofa sitzen, Suzi. Nur war sich die Austauschschülerin aus Pittsburgh ihrer historischen Verantwortung offenbar nicht bewusst. Die Mondlandung interessierte sie nicht, notierte eine anwesende Freundin der Familie empört in eben jenes Gästebuch, sogar den Genever habe sie verschmäht – die Hälfte ließ Suzi einfach im Glas zurück. Man schmiss doch kein Essen und kein Trinken weg! Die Amerikaner agierten da entschieden sorgloser. In dem Zeitungsausschnitt, den jemand später ins Gästebuch klebte – das fehlende Bild zu unserem Radio-Hilversum-Ton – wurden sämtliche Hinterlassenschaften der Astronauten auf dem Mond aufgezählt, vom Messstab für Solarwinde bis zu leeren Lebensmittelbeuteln „sowie benutzten Fäkalien- und Urinbeutel“. Dazwischen die amerikanische Flagge. Susanne Kippenberger

 Astronaut schlägt Cowboy 

Nach diesem Sommer 1969 war für mich nichts mehr wie vorher. Ich rauchte meine erste Zigarette, heimlich natürlich. Meine Mutter ahnte etwas, aber ich log sie an. Und das hatte ich so frech noch nie gewagt. Jetzt, mit zwölf, tat ich es.

Die Zigarette hatte ich von Günther, der war 13 und der Sohn unserer Wirtsleute. In deren Haus im schleswig-holsteinischen Preetz hatten wir uns für den Sommerurlaub eingemietet. Günther sorgte auch gleich für die nächste Sensation, seine Eltern besaßen einen Farbfernseher. So etwas kannte ich von zu Hause auch nicht, unserer zeigte ja nur schwarz-weiß. Auf Günthers Fernseher lief vor allem eines: Die Mondlandung. Schön, die Landung selbst war nicht in Farbe und überdies ziemlich unscharf. Aber das drumherum. Im Fernsehstudio hatten sie sogar eine Mondfähre aufgebaut.

Bis dahin hatte ich am liebsten Cowboy und Indianer gespielt, Western waren in den 60ern noch sehr populär. Wieder zu Hause bastelte ich mir eine Mondfähre, die zu meinem favorisierten Spielzeug aufstieg. Überhaupt gab es plötzlich alle möglichen Raumfahrtaccessoires zu kaufen. Wer interessierte sich da noch für Cowboys? In meinen Augen hat Neil Armstrong Winnetou erledigt. Und Old Shatterhand gleich mit. Andreas Austilat

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