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Die US-Indierock-Band Modest Mouse.

© Ben Moon/Sony

Modest Mouse live in Berlin: Die Urgewalt der Troublemaker

Kings of Indie: Isaac Brock spielte mit seiner Band Modest Mouse in der ausverkauften Columbiahalle und versetzte das Publikum in Fieberwahn.

Es kann nicht angenehm sein, wie Isaac Brock zu denken. Immer nur das Schlechte zu sehen. Die Kaputtheit der Welt. Obwohl er natürlich Recht hat. Vollkommen recht wie in einem seiner neuen Songs, in dem es um eine Schildkröte geht. Sehr alte Tiere sind das. Sie leben in ihrer eigenen Zeit, „kennen die Welt durch ihre Geschichte, verstehen das Universum und seine Mysterien“. Der Panzer dieser einen ist mit Juwelen bedeckt. Als sie auf einen Mann trifft, bietet sie an, ihr Wissen mit ihm zu teilen. Aber: „Oh, der Mann tötet die Schildkröte, nimmt ihren Panzer und mit einem Song auf seinen Lippen, spaziert er davon.“

Let’s walk off!, tönt und höhnt Brock, Sänger, Gitarrist und überhaupt die Urgewalt von Modest Mouse, ins Mikrofon. Er reißt dabei den Kopf nach hinten, sein Körper zuckt und spuckt die Worte in der Columbiahalle einem begeisterten Publikum ins Gesicht. „We’ve been getting away“, singt er weiter, denn so sei es doch: Wir Menschen kommen davon, während wir nur Unheil anrichten und uns selbst fremd bleiben. „The Tortoise and the Tourist“ ist ein unendlich trauriger Abgesang. Aber das merkt man nicht. Denn Brock neigt mit seiner siebenköpfigen Band Modest Mouse dazu, Frust in nur mühsam gebändigten Exzess zu verwandeln.

An der Grenze der Gereiztheit

Darunter leidet mitunter, was die poetische Balance seiner Musik ausmacht. Diese notorisch aufgeraute Empfindsamkeit an der Grenze zur Gereiztheit, die in hymnischen Melodien einbalsamiert ist. Wenn da die Eiterwunden der Seele aufplatzen, die im Studio noch irgendwie zu behandeln sind, dann dickt der Sound aus, dann ist von allem zuviel in der Luft. Zuviel Drums, die doppelt besetzt sind. Zuviel Gitarren, die teilweise von drei Leuten gleichzeitig gespielt werden. Zuviel Geschrei, was nur an Brock selbst liegt. Sein unruhiger Geist, der die Worte wie durch Stacheldraht stolpern lässt, drängt mit Macht zur Erschöpfung – der Stimmbänder, der Muskeln und Sehnen, der Nerven. Eine andere Art, sich zu arrangieren mit der Welt, wie sie ist und sei sie ein von seinem Fieberwahn angestecktes Berliner Columbiahallen-Publikum, kennt er nicht. „Der Lampenschirm geht in Flammen auf“, singt er, „das nenne ich mal eine gelungene Party.“

„Strangers to Ourselves“ heißt die im Frühjahr erschienene sechste Platte der Band, für deren Entstehung sie acht Jahre benötigte. Das Urteil war einhellig. Gut genug, um nicht zu enttäuschen, „Indie-rock business as usual“, also irgendwie doch enttäuschend, was vor allem viel über die gesteigerten Erwartungen an Isaac Brocks Genie sagte. Er hat sich seit Erscheinen des Hit-Albums „We Were Dead Before The Ship Even Sank“ verrückt gemacht. Perfektionist und heilloser Chaot zu sein, ist eine gefährliche Mischung. Zumal er gespürt hat, wie der Aufstieg zum King of Indie von Argwohn begleitet war. Einer wie er, sozialisiert in einem Trailer-Park, hingebungsvoller Säufer, mit einer zu großen Klappe, die er mehrfach schwer poliert bekam, unfähig, einen klaren Gedanken zu verfolgen, assoziativer Drifter, er also konnte doch kein Vorbild, gar Idol sein.

Er wolle „mehr sein als ein Mythos“, hat Brock jüngst dem „Buzzfeed“-Magazin gesagt. Und nun quasselt er auf ein Paar vor der Bühne ein, dem er, wenn es je ein Kind bekommen sollte, rät, es nicht Isaac zu nennen. Denn Aisääk, das sei ja er schon. Obwohl – es könne das Kind Isaac II nennen. Das würde wohl gehen. „Hör auf zu quatschen!“ / „Was? – Ich fasse es nicht. Sagt der mir doch, dass ich still sein soll. Mann, auf diese Weise bestreite ich meinen Lebensunterhalt.“

Aufgekratzter Troublemaker

Das ist der Brock-Ton des aufgekrazten Troublemakers. Für die Leute vor sich, die wie der Mann mit dem Schildkrötenpanzer sind. Juwelen ja, aber bloß nicht wissen wollen, woher sie stammen. Für die, die keine Antworten wollen, hat er was Anderes. Er bahnt sich seinen Weg mit mächtigen Synkopen. Mit Banjo („ihr flippt doch aus, wenn ihr einen Amerikaner Banjo spielen seht“). Mit Bläsern und traumschön verzerrter Gitarre. Und Brock sieht den Myriaden von Insekten an seinem Fenster mitleidlos beim Sterben zu. „The world’s an inventor with it’s work crawlin’, runnin’, squirmin’round“. Klar, nicht schön. Aber: „We’re the dirtiest thing.“

Salben werden von jeher dick aufgetragen im Modest-Mouse-Lazarett. Die Band arbeitet mit Schichtungen, dem Allheilmittel der Indie-Kultur, der Überlagerung und Verdichtung von Klängen, Beats, Riffs und Gegenriffs. Die Raffinesse, mit der Brock und seine zum Teil langjährigen Mitstreiter ihre dramatischen Spannungsbögen im Studio aufbauen, wird live von der Bühne gefegt. Versteht ohnehin keiner. Stattdessen kracht und klotzt es. In diesem Lärm irrlichtert man ein wenig verloren herum. All die schönen Zeilen gehen im Trubel von Brocks Kopfmusik unter. Wie die, dass man ja wüsste, wohin der Weg führe, wenn „die Verdammten uns nur ihre Straßenkarte geben würden“.

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