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Kopf und Kragen. Mit den hochgerollten Ärmel will Robert Habeck Volksnähe und Tatenkraft symbolisieren.

© dpa

Mode und Politik: Die neue Hemdsärmligkeit

Michael Müllers Sneakers, Heiko Maas’ Lederjacke, Robert Habecks Hemden – über einen neuen, legeren Führungsstil.

Wahrscheinlich war Pablo Iglesias von der linkspopulistischen spanischen Partei Podemos der Erfinder der politisch hochgekrempelten Ärmel. Sogar wenn er den spanischen König trifft, lässt er die Ärmel oben. Das imponiert allen. Da ist ein junger Mann, der offensichtlich etwas anpacken will. Wie ein Arbeiter, der die Ärmel hochrollt, weil er etwas Schweres bewegen will, wozu man Kraft und handwerkliches Können braucht.

Nach Pablo Iglesias hat jetzt in Deutschland Robert Habeck die Ärmel politisch hochgekrempelt. Die Botschaft ist dieselbe: Ein (noch einigermaßen) junger Mann zeigt an, dass er’s anpacken will, dass er kräftig ist, das Knowhow hat. Die semantischen Marker dieser Ärmel sind: männlich, jung, kräftig, zupackend, handwerklich oder arbeitermäßig, also mild proletarisch.

Die Politiker eignen sich mit diesem vestimentären Zeichen etwas an, das meilenweit von ihrer eigenen Klasse und Arbeit entfernt ist. Weder Iglesias noch Habeck sind Arbeiter oder Handwerker. Sie sind hochgebildete Akademiker mit Doktortiteln, deren familiärer Hintergrund nicht besonders proletarisch ist. Sie sind nur männlich und (noch einigermaßen) jung. Klassenmäßige Transgression ist wohl die Hauptabsicht des Rumkrempelns.

Jeans verstärken die genannten semantischen Züge noch, konnotieren sie doch ihrerseits Arbeit und Jugendlichkeit, und werden durch die Unrasiertheit zur Erhöhung der Männlichkeit. Zur maskulinen Jugendlichkeit kommt ein verstrubbelter Haarschopf und, dass beim Hemd die oberen Knöpfe geöffnet bleiben. Das ermöglicht den Blick auf die männliche Brust. Letzteres war ein besonders markantes Zeichen des schönen – und attraktiven – französischen Philosophen Bernard- Henri Lévy (BHL), der das weiße Hemd bis zum Bauchnabel öffnete und damit sogar den französischen Präsidenten Sarkozy zum Krieg in Libyen verführte: also zum Duell Macho Sarkozy gegen Macho Gaddafi.

Das Fernsehen ist ganz wild auf Robert

Das Beispiel zeigt allerdings, dass diese Männersignale zwar zur öffentlichen Aufmerksamkeit beitragen und zum politischen Erfolg führen, aber nicht unbedingt vor der Katastrophe schützen. Das offene weiße Hemd von BHL ist zum Symbol eines politischen Desasters geworden: Libyen ist zwar vom Macho befreit, nun aber in der Hand noch schlimmerer Killer.

Was nun die deutschen aufgekrempelten Ärmel, offenen Hemdknöpfe, Dreitagebärte und Jeans angeht, so gelingt auch hier die Verführung offensichtlich durchschlagend. Diese Coolness wirkt auf Männer und Frauen gleichermaßen. Das Fernsehen ist ganz wild auf Robert. Talkmaster Lanz war bei der Vorstellung von Habeck geradezu verliebt in seinen Gast, der durch sein Auftreten auch noch den Eindruck erwecke, eben vom Surfen oder so in das Fernsehstudio zu kommen. Diese Lässigkeit hieß in früheren Jahrhunderten Sprezzatura, und wer Glück hat wie Robert, der hat die Sprezzatura auch noch „von den Sternen“, dalle stelle. Das ist einfach nicht zu toppen.

Die aufgerollten Ärmel machen die Konkurrenz für konservativere, weniger gut aussehende Männer (junge Männer, die Alten sind sowieso out) und für Frauen schwer. Erstere öffnen nur knapp den oberen Hemdenknopf (Spahn; und Tauber, der CDU-Generalsekretär) und/oder lassen sich einen Bart stehen (der Kevin Kühnert; FDP-Chef Lindner). Aber was ist das gegen die aufgekrempelten Ärmel?

Für Macron ist es zu spät, das Sakko auszuziehen

Wie uncool wirken in der spanischen Wahldebatte die drei ansonsten wirklich gutaussehenden Politiker der großen Parteien in ihren dunklen Anzügen und Krawatten gegenüber dem sakkolosen Pablo Iglesia mit seinen erhobenen Ärmeln, der seine Haare – Gipfel der Coolness – auch noch zum Pferdeschwanz gebunden hat. Zwar hat Iglesias diesmal nicht gewonnen, aber der dunkelblaue Anzug mit weißem Hemd (mit oder ohne Krawatte) bleibt ein Problem, mit dem auch der junge Präsident Macron zu kämpfen hat. Für den ist es nun sicher zu spät, das Sakko auszuziehen, die Ärmel aufzurollen, das Hemd zu öffnen, den Bart drei Tage nicht zu rasieren und den bösen Briten und Gelbwesten in Jeans entgegenzutreten. Aber das wäre wohl genau das, was Frankreich braucht.

Und was können Frauen dagegenhalten? Es gibt kaum ebenbürtige, spezifischen Zeichen für weibliche Kleidung. Lederjacke, wie sie Annalena Baerbock trägt, sah auch bei Varoufakis super aus.

Nur eine Frau ist mir in Erinnerung geblieben, die einem großen Publikum mit aufgekrempelten Ärmeln entgegentrat: Brünnhilde in der Frankfurter Inszenierung der „Walküre“. Sie trägt pelzigen Wams und rote Perücke. Eher Pumuckel als Tochter eines Gottes. Tatkraft zeigen einzig die hochgerollten Ärmel. Auch das deutet nicht wirklich auf göttliche Abkunft, sondern eher auf Arbeiter- Kraft und Handwerker-Expertise. Sie muss ja in der Tat die Helden für Vater Wotan auf ihrem Ross nach Walhall transportieren. Die hochgekrempelten Ärmel sind dafür das (männliche) Signal: Mir macht kein Kerl was vor an Kraft und Geschicklichkeit! Allerdings führt auch hier – wie bei BHLs hemdseitig verstärkter Verführungskraft – die angedeutete maskuline Tatkraft letztlich in die Katastrophe. Brünnhilde verliert bekanntlich ihre Gottheit und schließlich ihr Leben.

Also: Vorsicht ist angesagt. Allerdings läuft bei den politisch hochgekrempelten Ärmeln der Männer derzeit alles super.

Jürgen Trabant

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