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Achtung, vielschichtig. Sängerin Ruth Maria Renner alias Miss Platnum kam in Rumänien zur Welt, ging in Lichterfelde zur Schule und wohnt jetzt in Kreuzberg.

© Sony/Cheescake

Miss Platnum: Sprung auf die dunkelblaue Wolke

Sechs Jahre lang war sie die witzige, feierfreudige Balkan-Queen Miss Platnum. Jetzt singt Ruth Maria Renner auf Deutsch und bringt 2014 das melancholische Electro-Album "Glück und Benzin" heraus.

„Den Mercedes verkauft. Hab’ ihn nie gebraucht. Zieh’ die alten Nikes an. Seh’ auch damit sehr gut aus“, singt Miss Planum in der ersten Strophe ihrer kürzlich veröffentlichten Single „99 Probleme“. Und es stimmt: Sie sieht fantastisch aus in ihren pink leuchtenden Turnschuhen, mit denen sie schwungvoll in ein Kreuzberger Café spaziert. Dazu eine Kunstfelljacke, Bommelmütze und eine Glitzerbrosche an der Bluse – etwas Bling Bling muss schon sein. Doch das besungene Weniger- ist-mehr-Programm hat sie wirklich durchgezogen: Miss Platnum will nicht mehr die aufgedrehte Balkan-Queen mit den flippigen Rüschenkostümen sein. Miss Platnum erfindet sich gerade neu.

„Das Übertriebene war früher wichtig für mich, weil ich einen Schutz brauchte. Es hat mich weniger verwundbar gemacht. Wenn ich angegriffen wurde, galt das ja einer Kunstfigur und nicht mir“, sagt die Sängerin. Dabei hat genau diese Figur sechs Jahre lang einen ziemlich guten Job gemacht: Sie war witzig, feierfreudig, nie um einen blöden Spruch verlegen. Mit rollendem R drängte sie Peter Fox in „Come Marry Me“ zur Hochzeit, forderte in „Butter“ mehr Fett für ihr Essen und gab in „Drink, Sister, Drink“ Unterricht im Alkohlolexzess. Dazu ertönte ein mitreißendes Gemisch aus zackigen Beats und Balkanbläsern. Erstmals probierte sie diese Kombination 2007 auf dem Album „Chefa“ aus. Zwei Jahre später erschien das noch ausgefeiltere „The Sweetest Hangover“, für das sie gar nach Belgrad reiste, um mit dem Boban i Marko Marković Orkestar zusammenzuarbeiten, einer der besten Roma-Kapellen in Europa.

„Danach hatte ich das Gefühl, dass ich aus dem Balkanformat alles herausgeholt habe“, sagt Ruth Maria Renner, wie Miss Platnum bürgerlich heißt. Für ihr drittes Studioalbum suchte sie eine neue Herausforderung und fand sie in der Sprache. Statt auf Englisch begann sie auf Deutsch zu singen, obwohl sie das früher immer kategorisch abgelehnt hatte. Doch durch die regelmäßige Zusammenarbeit mit deutsch singenden oder rappenden Kollegen habe sie sich langsam in diese Richtung entwickelt, erklärt sie. Dass aus einer dieser Kooperationen gleich ein Megahit entsprang, war eine glückliche Fügung: Mit den Berliner Rappern Marteria und Yasha nahm Miss Platnum 2012 innerhalb von vier Wochen das Minialbum „Lila Wolken“ auf. Der Titeltrack kam auf Platz eins der Charts, das dazugehörige Video wurde mehr als 21 Millionen Mal auf Youtube angeklickt.

Mit Marteria und Yasha teilt sich die 33-Jährige nicht nur die Plattenfirma und die Produzenten, die drei sind gut befreundet. Es klingt fast familiär, wenn sie von der Arbeit im Kreuzberger Studio erzählt. Und so haben beide ihr bei den Texten des neuen Albums geholfen und sind auf jeweils einem Track zu hören. „Glück und Benzin“ heißt das Werk, das im März 2014 erscheint. Wie es klingt, kann man am heutigen Freitag im Postbahnhof hören, wo Miss Platnum bei einem Festival auftritt. Auch die bereits veröffentlichten Singles geben einen guten Eindruck von ihrem neuen deutlich elektronischeren Sound. Die Bläser sind raus, der Balkanvibe wird nur noch gelegentlich von Synthesizern zitiert, so im überdrehten Mittelteil der aktuellen Auskopplung „Letzter Tanz“.

Ganz lässt Miss Platnum, die in Rumänien geboren wurde und mit acht Jahren nach Berlin kam, die Verbindung in den Süden jedoch nicht abreißen. So spielt das Video von „99 Probleme“ in Bukarest und zeigt in stimmungsvollen Zeitlupenbildern eine Reihe von Frauen und Mädchen, die boxen, skaten, schießen, Motorrad fahren oder als Ärztin arbeiten. „Das sind alles coole Frauen, mit denen ich natürlich keine Probleme habe“, erklärt sie den Titel. „Es gibt aber auch solche, die sich nur über ihren Mann definieren oder ihre Weiblichkeit bewusst als Waffe einsetzen, etwa wenn sie bei jeder Kleinigkeit heulen und so ihren Typen manipulieren. Mit denen habe ich schon meine Probleme“, sagt die selbstbewusste Musikerin, die in ihren Liedern gern offensiv und witzig gegen stereotype Schlankheitsvorschriften angesungen hat.

Im Refrain verwandelt sie die von Ice T geschriebene und später von Jay-Z bekannt gemachte Zeile „I got 99 problems but a bitch ain’t one“ in „Habe 99 Probleme, aber keins mit meinem Mann“. Das ist ziemlich lässig und einer der Höhepunkte der neuen Platte, die wie die Vorgänger von dem Produzententeam The Krauts betreut wurde. Ursprünglich sollte es in eine chansonhafte Richtung gehen und komplett live eingespielt werden. „Wir hatten schon ein fast fertiges Album, als ich merkte, dass es das noch nicht sein kann“, sagt die Sängerin, die sich zur Vorbereitung alte Knef-Platten angehört hatte. Doch ihr fehlte ein Twist, etwas Modernes. Also setzte sie sich zum ersten Mal selber an den Rechner, programmierte Beats und gab konkret die Richtungsänderung vor. Es sei ihr wichtig gewesen, dass das Album im Hier und Jetzt spiele, sagt sie. Dieses Ziel hat sie mit den elf Titeln auf jeden Fall erreicht – von Retro keine Spur. Die Synthies flackern und quietschen, die Beats sind präzise und stilvoll, gelegentlich heult eine schmerzverzerrte E-Gitarre auf. Der Titelsong „Glück und Benzin“ erinnert durch seine leicht somnambule Atmosphäre und Gastsänger Yasha ein wenig an „Lila Wolken“. Allerdings hebt der Refrain in weitaus strahlendere Höhen ab als der des alten Hits – es könnte ein neuer werden.

Ein paar Erinnerungen an die Chansonexkursion haben sich allerdings erhalten, so in der dramatischen Ballade „Frau Berg“ oder in „Kleiner Schmerz“, das klingt, als seien Rosenstolz auf einem Gothictrip. Melancholie, Moll und mittlere Tempi dominieren „Glück und Benzin“. Genau das wollte Miss Platnum, die sagt, dass sie auf dieser Platte ihr Herz viel weiter geöffnet habe als auf den Vorgängern. Auf die Frage, ob sie vielleicht der Blues erwischt hat, antwortet sie zögernd: „Hmm, nee, eigentlich nicht. Es ist eher das, was ich schon immer machen wollte. Diese etwas schwerere Art von Musik höre ich selber lieber. Ich finde das auch gar nicht traurig, sondern schön.“ Die neue dunkelblaue Wolke passt zu ihr.

„Zurück Zuhause“-Festival mit Miss Platnum, Taktlo$$, Rakede, Abby, Zugezogen Maskulin, 27. 12., 18.30 Uhr, Postbahnhof. „Glück und Benzin“ erscheint am 14. 3. bei Four Music.

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