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Demo vorm Fabriktor. Minami Bages und Johnny Depp.

© Larry Horricks / HanWay Films

„Minamata“ auf der Berlinale: Johnny Depp kämpft als Fotojournalist gegen einen Chemiekonzern

Wenn Demut wichtiger ist als Neugier: „Minamata“ erzählt eine Geschichte aus den heroischen Tagen des Fotojournalismus. Mit Johnny Depp als W. Eugene Smith.

Um Vertrauen herzustellen, muss man manchmal nur die Blickrichtung wechseln. Wichtig ist nicht, wie du auf einen Fremden siehst. Entscheidend ist, wie er dich sieht.

Der berühmte, aber schon ziemlich abgehalfterte Fotoreporter W. Eugene Smith ist 1971 bereits zwei Tage vergeblich durch die japanische Küstenstadt Minamata gestapft, um Opfer des Chemiekonzerns Chisso aufzunehmen, der seit Jahrzehnten Abfälle ungefiltert ins Meer leitet.

Aber die meisten Menschen, denen er begegnet, wollen nicht fotografiert werden. Sie halten sich die Hand vors Gesicht, und zu ihren behinderten Kindern lassen sie den Besucher aus Amerika schon gar nicht.

Doch dann trifft Smith diesen Jungen, der auf einer Bank sitzt. Er leidet offensichtlich am Frühstadium der „Minimata- Krankheit“, seine Hände sind verdreht, die Beine stecken in Metallstützen.

Jeder ehrgeizige Journalist würde sofort drauflos fotografieren. Smith macht es andersrum, faselt irgendwas vom Jazz, bei dem Improvisation alles sei, nimmt noch einen Schluck Malt-Whisky, sagt „Du musst jetzt die Musik spielen“ und hängt dem Jungen seine Kamera um.

Woraufhin der Junge ihn anlächelt, erst Smith, dann seine Freunde ablichtet und schließlich mit dem Fotoapparat verschwindet. Für den Profifotografen, der in ein paar Tagen seine Reportage ans New Yorker Magazin „Life“ schicken muss, sind das keine idealen Arbeitsvoraussetzungen.

[Die wichtigsten Ereignisse der Berlinale 2020: Erleben Sie die Berliner Filmfestspiele in unserem Newsblog mit.]

Das Historiendrama „Minamata“, inszeniert vom amerikanischen Regisseur Andrew Levitas, erzählt eine Geschichte aus den heroischen Tagen des Fotojournalismus. Damals reichte eine Titelgeschichte, um durchzusetzen, wofür japanische Aktivisten zuvor vergeblich kämpften: millionenschwere Abfindungen, vor allem aber das Eingeständnis des Unternehmens, dass es die Anwohner bewusst vergiftet hat.

Man muss genau hinschauen, um Johnny Depp zu erkennen

Man muss genau hinschauen, um zu erkennen, dass unter den grauen Locken des Magnum-Starfotografen, hinter seinem aufgedunsenen Trinkergesicht Johnny Depp steckt, der den Film auch produzierte. Man sieht es eigentlich nur an den Augen, von denen es im Film einmal heißt, dass man durch sie direkt in die Seele eines Menschen blicken könne.

Heiß begehrt. Johnny Depp wird in Berlin von Fans belagert.
Heiß begehrt. Johnny Depp wird in Berlin von Fans belagert.

© Michael Kappeler/dpa

[Sa, 22.2., 9.30 (Zoo Palast) und 22 Uhr (HdBF). So, 1.3., 11 Uhr (CinemaxX3)]

Die Lektion, die Smith in Japan lernt, ist, dass Demut manchmal wichtiger sein kann als Neugier. Während er anfangs immer wieder vergisst, seine Schuhe am Hauseingang auszuziehen, werden ihm die fremde Kultur, die umständliche Höflichkeit der Menschen später immer vertrauter. Und der Aktivistin Eileen (Minami Bages) kommt er so nahe, dass sie heiraten werden.

Sterbende im Krankenhaus, die Tränen der Hinterbliebenen

Smith war schon mal in Japan, 1945 als Kriegsreporter. In Alpträumen hört er seitdem Granaten explodieren. In einem plumpen Film begänne hier eine Rückblende. Doch in „Minamata“ bleibt das Grauen von damals auf der Tonspur. Stattdessen werden, quasi durch die Augen des Fotografen, neues Grauen, neue Kämpfe gezeigt: Sterbende im Krankenhaus, die Tränen der Hinterbliebenen, Demonstranten im Tränengas.

Ein Happyend kann ein solcher Film nicht haben. Immerhin darf Smith schließlich ein behindertes Kind fotografieren, dabei entsteht sein ikonisches Bild „Tomoko is Bathed by her Mother“. Das Mädchen, dessen verkrüppelter Körper einem Skelett gleicht, liegt, gehalten von der Mutter, in einem Badezuber. Es lächelt.

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