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Ursina Lardi spricht in "Everywoman" über alltägliche Erfahrungen, aber ihre Auseinandersetzung mit dem Sterben ist alles andere als banal.

© Armin Smailovic

Milo Rau an der Schaubühne: Bewegender Dialog über die letzten Dinge

Ursina Lardi spricht in „Everywoman“ mit der todkranken Schauspielerin Helga Bedau, die einmal noch auf der Bühne stehen möchte.

Es beginnt unspektakulär. Im Alltagslook betritt Ursina Lardi die Bühne, um sie sich erst einmal in Ruhe einzurichten. Geschäftig läuft die Schauspielerin hin und her im „Globe“ der Berliner Schaubühne, verteilt kommentarlos, aber mit großer Liebe zum Detail Familienfotos auf einem in der Ecke stehenden Flügel, platziert einen Kassettenrekorder in Rampennähe und beginnt schließlich, aus ihrem Leben zu erzählen. Oder – wie das so ist mit den fiktionalen Überformungen der eigenen Biografie im Gegenwartstheater – aus dem, was das Publikum dafür halten soll. Wer weiß das schon.

Im Plauderton berichtet Lardi von der Schweiz, wo sie aufgewachsen ist, dreht eine verbale Ehrenrunde über den Alpen, unterstellt dem Publikum, dass es sich sicherlich frage, worum es an diesem Abend überhaupt geht, und ist irgendwann bei einem Pferderennen. Ein Ereignis mit prägender Wirkung auf seine Augenzeugin und dramaturgischem Signalcharakter fürs Publikum, denn ein Pferd starb dabei. Wir sind also bei den letzten Dingen in Milo Raus und Ursina Lardis Abend „Everywoman“, der im Sommer bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde und jetzt in der koproduzierenden Schaubühne angekommen ist.

Inspiriert ist diese „Jedefrau“ selbstredend von ihrem männlichen Pendant, Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“, einem Klassiker der Dramengeschichte. Aber es geht hier nicht um theatrales Empowerment. Die weibliche Überschreibung männlicher Kanonfiguren – eine zurzeit ja durchaus beliebte Bühnenpraxis – ist ausdrücklich nicht das Thema des Abends.

Eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Sterben

„Eine Moral kann ich nicht abliefern“, wendet sich Lardi vielmehr gegen jedwede klare Bühnen-Ansage überhaupt. „Heute und hier kann ich diese Dienstleistung nicht erbringen“, ergänzt sie – um anschließend aus dem Modus des absichtsvollen Mäanderns leider kurz ins tatsächliche Raunende abzudriften. Eine Bewegung, die dem Abend generell nicht fremd ist: „Wir brauchen eine ganz andere Erlösung.“

Fakt indes ist: Lardi, die den Text zusammen mit dem Regisseur Milo Rau entwickelt hat, nutzt den „Jedermann“ als Sprungbrett für eine sehr konkrete Auseinandersetzung mit dem Sterben. Die Vorlage dient dabei eher als lockere Motivlieferantin, sozusagen als Jederstoff, der ja vom Geld über den Glauben bis zum Tod praktisch alle vorletzten und letzten Dinge gebührend behandelt.

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Auf einer großen Videoleinwand hinter Lardi erscheint irgendwann eine Festtafel. Daran sitzt: eine Frau um die siebzig, Helga Bedau. Als Schauspielerin bekäme sie viel Post, erzählt Lardi: Heiratsanträge, Angebote für Fotoshootings, Bitten um Geldspenden. Sie werfe das alles weg. Bedaus Brief holt sie jetzt aber auf der Bühne hervor. Die Absenderin ist gewissermaßen Kollegin: In ihrer Jugend, schreibt Bedau, sei sie Statistin an der Freien Volksbühne gewesen, brachte es in „Romeo und Julia“ sogar zu einer Nebenrolle.

Keine Nebensächlichkeiten mehr!

Im Februar hat Helga Bedau eine Diagnose erhalten: inoperabler Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wenn sie Glück habe, blieben ihr zwei Jahre; die meisten Menschen mit ihrer Diagnose seien nach drei Monaten tot, sagt sie. Und: Sie habe einen letzten Wunsch. Sie möchte noch einmal in einem Theaterstück mitspielen.

(Noch bis zum 9.November an der Schaubühne)

Die Passagen, in denen Ursina Lardi mit ihr direkt in den (Leinwand-)Dialog tritt, von Everywoman zu Jedefrau sozusagen, sind die stärksten des Abends. Lardi stellt sehr intime Fragen: Was war das erste, das Sie nach der Diagnose getan haben? Wie war das, als Ihr Sohn mit zwölf Jahren von ihr weggezogen sei, zum Vater nach Griechenland? Das entstehende Gespräch ist wohltuend unsentimental. Zumal Helga Bedau tatsächlich eine fesselnde Leinwandpräsenz besitzt. Selbst wenn sie am Tisch einschläft – die permanente Müdigkeit sei zurzeit das schlimmste Krankheitssymptom, hatte sie anfangs erklärt – bleibt man abendfüllend an ihrem ausdrucksstarken Gesicht hängen. Gegen diese Konkretion fallen Lardis solistische Erzählpassagen eher ab. Vor allem dann, wenn sie ins Grundsätzliche entschweben wollen und sich in wolkigen Andeutungen verfangen.

„Schluss mit den Ablenkungen! Nichts Nebensächliches mehr!“, hatte Lardi dem Abend zu Beginn eine Art Leitmotiv gegeben. Es ginge nicht um Meinung, Aufklärung und Moral, sondern darum, einen einzelnen Menschen wirklich zu erfassen. Diesem zugegeben hohen Ziel kommt der Abend nur momentweise nahe.

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