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Auch an diesem Abend dabei. Der Starcellist Gautier Capuçon.

© Felix Broede

Mikhail Tatarnikov: Die Zarten und die Harten

Dirigent Mikhail Tatarnikov gibt sein Debüt beim DSO. Auf dem Programm: Ballettmusik und Symphonisch-Tänzerisches.

Arturo Toscanini, Leonie Rysanek, Leonard Bernstein, Andris Nelsons: Es gibt zahlreiche Dirigenten- und Musikergeschichten, die erzählen, wie das Einspringen für einen erkrankten Kollegen zum Start einer Weltkarriere wurde. Und die Legende vom meisterhaften Newcomer erhält immer wieder neue Nahrung. Aber nicht jede Vertretung wird gleich zum rauschenden Erfolg. Nun ist der russische Dirigent Mikhail Tatarnikov kein Unbekannter und schon gar kein Anfänger. Tatarnikov debütierte 2006 am Mariinsky Theater, assistierte bei Valery Gergievs „Ring“-Dirigat an der New Yorker Met, trat an zahlreichen Opernhäusern und mit großen Orchestern auf. In Berlin dirigierte er bereits an der Komischen Oper und der Staatsoper. Nun debütierte er beim Deutschen Symphonie-Orchester – als Einspringer für einen anderen Debütanten, den kurzfristig erkrankten französischen Kollegen Lionel Bringuier.

Auf dem Programm: Ballettmusik und Symphonisch-Tänzerisches. Auf Albert Roussels „Le festin de l’araignée“ folgen Camille Saint-Saëns’ Cellokonzert Nr. 1 in a-Moll mit seinem duftigen Menuett-Mittelteil und Sergej Prokofjews auf einem früheren Ballettwerk basierende 4. Symphonie in der Version von 1947. Nun ist das Tänzerische, das Leichtfüßige Tatarnikovs Sache nicht. Der 40-jährige Maestro weiß dem Orchester vielmehr einen gewaltigen Furor zu entlocken, wenn der Kopfsatz von Prokofjews ohnehin sperriger Vierter unerbittlich in die Katastrophe marschiert und die soldatische Disziplin bestenfalls durch schroffe Einschübe irritiert wird. Die aparten Klangfarbenkontraste zwischen tiefen Instrumenten und der exotischen Mischung von Oboen, Klavier und leisen Beckenschlägen im zweiten Satz interessieren ihn weniger, auch nicht die groteske Pantomimik samt kecken Klarinetten im dritten Satz nach einem berührend verhaltenen Einstieg samt süffiger Geigenkantilene.

Viele Stücke über Tiere

Beim Saint-Saëns-Konzert will die mal expressiv deklamatorische, mal intensiv meditative Spielweise des französischen Starcellisten Gautier Capuçon ebenfalls nicht recht mit Tatarnikovs vergleichsweise ehernem Zugriff harmonieren. Wobei Capuçon das Orchester durchaus affiziert, mit seiner nuancierten Gestaltung und den bis ins Seeleninnere hineinhorchenden Reflexionen – ob sie sich nun ins Selbstquälerische steigern oder in Träumereien abdriften.

Ganz schön viele Tiere hier. Als Zugabe des live im Deutschlandfunk übertragenen Konzerts erklingt der beliebte, auf Harfenwellenbewegungen dahingleitende „Schwan“ aus Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“, und Roussel skurriles Insektenstück vom „Festmahl der Spinne“ hatte den Auftakt des Abends bestritten. Ameisen schleppen Rosenblätter und wuseln geschäftig herum, eine Eintagsfliege tanzt im Abendlicht, und nach ihrer Himmelfahrt formiert sich die Tierwelt zum Trauermarsch. Kondukt für eine Eintagsfliege: Die Klassikwelt hat mehr zu bieten zwischen Himmel und Erden, als manche Schulweisheit sich träumen lässt. Schade nur, dass Tatarnikov auch Roussel auf immergleiche Weise angeht, so robust und trittsicher, dass zartflügelige Wesen eher das Weite suchen.

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