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Der Literaturkritiker Denis Scheck.

© picture alliance / Rolf Vennenbernd / dpa

Michelle Obama, Joachim Gauck, Stephen Hawking: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Der Literaturkritiker bespricht die „Spiegel“-Bestsellerliste Sachbuch. Seine ARD-Sendung „Druckfrisch“ kehrt am 15. September aus der Sommerpause zurück.

10) Harald Jähner: Wolfszeit (Rowohlt Berlin, 480 S., 26 €)

Harald Jähner entführt uns in seiner wunderbar materialreichen Mentalitätsgeschichte in die Zeit der Hamsterer, Schwarzmarkthändler und Trümmerfrauen und hält einige notwendige historische Einsichten zum ökonomischen Wiederaufstieg Deutschlands parat: „Dieses Glück ist ganz und gar unverdient“, so Jähner. „Mit historischer Gerechtigkeit hatte es nichts zu tun, dass sich die Deutschen in Ost und West binnen weniger Jahre wirtschaftlich an die Spitze ihrer jeweiligen Weltmachtblöcke hocharbeiteten.“

9) Jürgen Todenhöfer: Die große Heuchelei (Propyläen, 336 S., 19,99 €)

Jürgen Todenhöfer will mit diesem Buch die Außenpolitik des Westens als interessengeleitet und egoistisch enttarnen. Nur ist seine Schreibe dabei so konfus, dass sie Kopfschmerzen in mir auslöst. Stringenz wird man in diesem Gehecksel vergebens suchen, alles wird unentwegt mit allem vermengt: Augenzeugenberichte vom Krieg in Mossul, Reisefeuilletons, weltpolitische Betrachtungen, historische Reflexionen. Ergebnis sind Sätze wie: „Viele Muslime in Deutschland haben inzwischen Angst.“ Oder: „Doch das Mittelalter war eines der dunkelsten Zeitalter der europäischen Geschichte.“ Oder: „Ich habe mich oft gefragt, wie ein demokratischer Staat wie die USA andere Länder so erbarmungslos und töricht zerschmettern kann.“ Dieses Buch hätte einen Autor mit einer längeren Aufmerksamkeitsspanne als ein Wellensittich gebraucht.

8) Greta Thunberg u.a.: Szenen aus dem Herzen (Deutsch von Ulla Ackermann, Stefan Pluschkat und Gesa Kunter, S. Fischer, 256 S., 18 €)

Die unerschütterliche Überzeugung, dass das eigene Begehren - egal ob es sich auf Schokolade richtet oder darauf, eine Mauer zu Mexiko zu bauen - die wichtigste Sache der Welt ist, verbindet alle Narzissten. Wenn wie in diesem Fall sich mütterliche Besserwisserei und protestantische Glaubensgewissheit mit moralischer Überheblichkeit verbindet, wirkt das, als hätten sich Erhard Eppler, Margot Käßmann und Paolo Coelho zusammengetan, um das Sachbuch der Hölle zu schreiben. „Unser Schicksal ruht in den Händen der Medien. Niemand sonst kann in der verschwindend kurzen Zeit, die uns noch bleibt, vergleichbar viele Menschen erreichen. Eine Krise können wir nur dann lösen, wenn wir sie auch wie eine Krise behandeln.“ Wenn die Klimakrise Bücher wie dieses produziert, ist es wirklich Zeit zu handeln!

7) Gustav Dobos: Szenen aus dem Herzen (Scorpio, 272 S., 20 €)

Kompetente Gesundheitstipps von einem erfahrenen Internisten, ein Mutmachbuch nicht nur für Herzkranke: „80 Prozent aller Schlaganfälle und sogar 90 Prozent aller Herzinfarkte haben ihre Ursachen in unseren Lebensgewohnheiten!“ Besonders interessant fand ich den Befund, dass Depression für mehr Herzkrankheiten verantwortlich ist als das Rauchen.

6) Meike Winnemuth: Bin im Garten (Penguin, 320 S., 22 €)

Kompetente Gartentipps von einer Journalistin und Sachbuchautorin mit einer gewinnenden Schreibe.

5) Michelle Obama: Becoming (Deutsch von Harriet Fricke u.a., Goldmann, 544 S., 26 €)

Nach der Lektüre dieser bemerkenswert analytischen Autobiografie hat man das Gefühl, eine Zeitlang am Küchentisch der Obamas gesessen zu haben. „Ich war eine Frau. Noch dazu schwarz und stark, was für Leute mit einer gewissen Einstellung nichts anderes bedeutete als 'wütend'. Ein weiteres vernichtendes Klischee, das seit Urzeiten dazu benutzt wird, Frauen aus Minderheiten an den Rand zu drängen, ein Signal ans Unterbewusstsein, die Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn wir sprechen.“

4) Joachim Gauck und Helga Hirsch: Toleranz: einfach schwer (Herder, 224 S., 22 €)

Das Beispiel der bei den Wahlen zum Bundestagsvizepräsidenten des Deutschen Bundestages immer wieder durchgefallenen AfD-Kandidaten macht die Brisanz des Themas deutlich: Mit wie viel Toleranz wollen wir politisch oder religiös Andersdenkenden begegnen? Gewohnt klug und abwägend denkt Altbundespräsident Gauck in diesem Buch darüber nach und scheut sich nicht vor deutlichen Worten, etwa wenn er die stilistischen Kaspereien der Gendergerechten als „eine Zumutung und eine Verunstaltung der Sprache“ bezeichnet.

3) Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen (Deutsch von Susanne Held u. Hainer Kober, Klett-Cotta, 253 S., 20 €)

Stephen Hawkings letztes Buch ist eine intellektuelle Freude: Mit seinem einzigartigen Talent, komplexe Zusammenhänge leicht fasslich darzustellen, beweist der bis zuletzt neugierige und wissensdurstige Astrophysiker auf kleinstem Raum: Aufklärung ist machbar!

2) Michael Winterhoff: Deutschland verdummt (Gütersloher Verlagshaus, 224 S., 20 €)

Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff sieht die Ursachen für die angebliche Verdummung Deutschlands darin, dass immer mehr Menschen Kinder haben, die nicht „in sich ruhen“, und dass diesen Kindern im Kindergarten und in der Schule Orientierung und Bindung vorenthalten wird. Aber stimmt die im Titel formulierte steile These überhaupt? Waren die Deutschen etwa der Jahre 1914, 1933 oder 1939 wirklich klüger als wir Deutschen heute? Und wäre eine mögliche Ursache unserer Verdummung nicht auch der Trend zu immer alarmistischeren Sachbüchern wie diesem?

1) Bas Kast: Der Ernährungskompass (C. Bertelsmann, 320 S., 20 €)

Konzentration auf Gemüse und nicht industriell verarbeitete Nahrungsmittel, Abnehmen mit Low Carb, Zeitfenster-Diät und mehr Eiweiß, Schluss mit der Verteufelung von Fett, wenig Zucker, keine Vitaminpillen und keine Transfette: so lauten die Ernährungstipps des Wissenschaftsjournalisten Bas Kast, der für sein Buch eine Meta-Analyse aller zwischen 1950 und 2013 erstellten Ernährungsstudien auswerten konnte. Ein Buch, das ganze Regalmeter von Ratgebern ersetzt.

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