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Literaturkritiker Denis Scheck

© Oliver Schmauch

Michel Houellebecq, T.C. Boyle, Dörte Hansen: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“

10) Nele Neuhaus: Muttertag (Ullstein, 560 S., 22 €)

Ein ungeliebtes Heimkind bringt als Erwachsener seine Opfer mit Vorliebe am Muttertag um. Krimikonfektionsware, so langweilig wie ein Muttertagsgedicht.

9) Don Winslow: Jahre des Jägers (Deutsch von Conny Lösch, Droemer, 991 S., 26 €)

Als Abschluss seiner Drogen-Trilogie lässt Don Winslow seinen Ermittler Art Keller zum Direktor der Drug Enforcement Administration aufsteigen – und dort gegen einen Präsidenten agieren, der ein kaum verhülltes Porträt Donald Trumps ist. Am Ende dieses Sittengemäldes der durch Drogen zerrütteten USA in Form eines Thrillers lässt Winslow Keller denken: „Auf beiden Seiten der Grenze regieren jetzt brutale, dumme Männer. Aber eine Mauer gibt es nicht.“

8) Michel Houellebecq: Serotonin (Deutsch von Stephan Kleiner, Dumont, 320 S., 24 €)

Der Held im neuen Roman des Berufsprovokateurs Michel Houellebecq erhält von seinem Arzt eine niederschmetternde Diagnose: „Ich habe den Eindruck, Sie sind schlicht dabei, vor Kummer zu sterben.“ Ursache dafür ist die durch eine Nebenwirkung seines Antidepressivums verlöschende Libido unseres Ich-Erzählers. Ist Michel Houellebecq ein neurechter Schwulen- und Frauenhasser wie sein Erzähler? Keine Ahnung. Aber selbst wenn, ändert das nichts an der literarischen Qualität dieses Romans, in dem Houellebecq mit bewährtem seismografischen Gespür für Lagen und Stimmungen eine ebenso unterhaltsame wie einsichtsreiche Gesellschaftsanalyse gelungen ist.

7) T. C. Boyle: Das Licht (Deutsch von Dirk van Gunsteren, Hanser, 380 S., 25 €)

Am Beispiel des jungen Paars Joanie und Fitz aus dem Umfeld des Drogen-Professors Timothy Leary fragt T. C. Boyle, was eine ganze Generation dazu gebracht hat, ihr Heil in der Einnahme bewusstseinsverändernder Substanzen zu suchen und im LSD „das einzige bekannte Mittel gegen das Gift der Welt“ zu sehen. Ein intelligenter, unterhaltender Roman über den Versuch, aus Pillen eine Religion zu machen.

6) Julian Barnes: Die einzige Geschichte (Deutsch v. Gertraude Krüger, 304 S., 22 €)

Welcher gesellschaftliche Sprengstoff darin steckt, wenn sich Ende der 60er Jahre eine Frau in einen 30 Jahre jüngeren Mann verliebt, erzählt Julian Barnes in diesem hinreißenden modernen Liebesroman. Schon nach dem ersten Satz – „Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden?“ – hängt man am Haken dieses meisterlichen Erzählers.

5) Dörte Hansen: Mittagsstunde (Penguin, 320 S., 22 €)

In ihrem exzellenten zweiten Roman schildert Dörte Hansen das Verschwinden einer Lebensform, die über Jahrhunderte das Dasein der Deutschen bestimmt hat: das Aussterben des Dorfs.

4) Ferdinand von Schirach: Kaffee und Zigaretten (Luchterhand, 191 S., 20 €)

Oft haben mich die Bücher des so erfolgreichen deutschen Autors Ferdinand von Schirach enttäuscht, weil sie mir zu kalkuliert, zu sehr auf Effekt geschrieben erschienen. Dieses nur durch die Persönlichkeit des Autors zusammengehaltene Buch mit literarischen Anekdoten, Geschichten und autobiografischen Erzählungen ist aber auf so unangestrengte Art geistreich und kurzweilig, dass ich mich sehr gut damit unterhalten habe.

3) Marc Elsberg: Gier (Blanvalet, 448 S., 24 €)

Ein wahnsinnig gut gemeinter Thriller um eine wahnsinnig öde Idee: Während eines Weltwirtschaftsgipfels in Berlin verschwindet die Rede eines Nobelpreisträgers, deren Inhalt – nicht Gier, sondern Kooperation ist für alle das beste – die Weltwirtschaft revolutionieren könnte. Zitat Elsberg: „Wer Vermögens- und Erbschaftssteuern und auch viele andere Steuern wachstumsfeindlich oder ungerecht nennt, kennt sich nicht aus oder lügt die Leute an.“ Ein sozialdemokratischer Wirtschaftsthriller, so packend wie das Godesberger Programm.

2) Bela B Felsenheimer: Scharnow (Heyne, 416 S., 20 €)

Das Romandebüt des Musikers von den Ärzten ist eher eine Freakshow als ein Roman. Mit seinen besseren Einfällen – zum Beispiel einer Pornodarstellerin, die ihren Nachbarn durch die Tür dabei belauscht, wie er ihren Porno ansieht – versöhnt dieses schräge Buch über ein fiktives Dorf in Brandenburg mit seinen Schwächen: einer unnötig aufgeplusterten Figurenschar und mehr als absurden Volten der Handlung.

1) Simon Beckett: Die ewigen Toten (Deutsch von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld, Wunderlich, 480 S., 22,95 €)

Auch der sechste Roman mit dem forensischen Anthropologen Dr. David Hunter ist wieder ein in reiner Betonpfosten- Prosa geschriebener Leichenporno. Beispiel: „Meine Vergangenheit würde immer ein Teil von mir bleiben, aber ich war schon vor langer Zeit zu der schmerzhaften Einsicht gekommen, dass meine Frau und meine Tochter tot waren, ich aber noch am Leben.“ So fad die Sprache, so vorhersehbar die Handlung. Die gesammelten Reden eines CDU-Parteitags sind spannender als dieser Krimi.

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