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Bühnentier in Ruhestellung. Michael Volle im Probenzentrum der Staatsoper Unter den Linden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Michael Volle an der Staatsoper Berlin: Ein Weltstar gibt sein Debüt als Falstaff

Giuseppe Verdis Opern-Vermächtnis ist für Michael Volle ein Schicksalswerk. An der Staatsoper Unter den Linden gibt der Bariton sein Debüt als Falstaff.

Wenn Michael Volle die Arme hinter dem Kopf verschränkt, dann rutscht das schwarze T-Shirt, mit dem er gerade aus der Probe zu „Falstaff“ gekommen ist, eine Handbreit nach oben. Hervor lugt der blanke Bauch eines Menschen, der alles mit Leidenschaft tut. Ein Bauch, durch den im Gespräch immer wieder ein kräftiges Bariton-Lachen rollt, das gerne mit einem herzhaften Kopfschütteln einhergeht. Über sich selbst und diesen verrückten Beruf, den man gemeinhin Opernsänger nennt. Und darüber, auch mit 58 Jahren wieder Debütant zu sein, wie jetzt mit dem Falstaff an der Staatsoper Unter den Linden.

Volle hat erst spät zur Bühne gefunden, sie bedeutete für ihn auch einen Ort der Befreiung. 1960 wird er als jüngstes von acht Kindern in einen schwäbischen Pfarrershaushalt hineingeboren. „Diese pietistische württembergische Demutshaltung kann einem auch im Wege stehen, weil man in diesem Beruf ein sehr gesundes Selbstbewusstsein braucht“, brummt Volle. Die Musik des Vaters gibt in der Familie den Ton an. Schütz, Händel und vor allem Bach. Bei ihm findet Volle noch immer seine musikalische Heimat, auch wenn er sich über Mozart und Wagner zu Verdi aufgemacht hat – und für seine glühenden Bühnenauftritte 2008 und 2014 von Kritikern zum Sänger des Jahres gewählt wurde.

„Falstaff“, Giuseppe Verdis Opern-Vermächtnis, ist für Michael Volle ein Schicksalswerk. Vor zehn Jahren lernt er bei den Proben im Festspielhaus Baden-Baden eine junge Kollegin kennen. Er singt damals noch den Ford, den vor Eifersucht auf Shakespeares gealterten Lebemann Sir John Falstaff schäumenden Ehegatten. Und er verliebt sich in Gabriela Scherer. Eine neue Heirat, bald haben sie auch Kinder zusammen – Volle fängt noch einmal an, privat und auf der Bühne. „Ich hätte Falstaff und vieles andere früher gar nicht singen können. Ich glaube nicht an Zufälle, es ist Schicksal“, lacht es durchs Probenzimmer. „Ich bin 58, ich kann jetzt spielen mit allem! Stimmlich wie auch gestalterisch, man kann sich komplett einlassen. Und man muss nicht mehr so viel nachdenken über das Singen.“

Liebe auf den ersten Blick zwischen Kosky und Volle

Regisseure lieben einen wie Volle, weil er nicht nur eine gut sitzende Stimme auf zwei Standbeinen ist. Obwohl ihn früh seine Knie plagen – schwerer Typ, immer gestemmt gegen die Bühnenneigung –, ist Volle ein ungemein physischer Darsteller. Zu welchen komödiantischen Hochtouren er fähig ist, konnte man vor allem im vergangenen Sommer in Bayreuth erleben. In seiner Paraderolle des Hans Sachs war er Teil von Barrie Koskys Kunststurm in Haus Wahnfried. „Das war Liebe auf den ersten Blick: ein ganz großer Mann, so klein er ist! Kosky reißt die Leute mit wie ein Rumpelstilzchen. Gott sei Dank haben wir gemeinsame Pläne für Zürich, und auch für Berlin sind wir in heftigen Gesprächen.“ Fünf Sommer lang wird Volle in den Bayreuther „Meistersingern“ den Sachs verkörpern und jedes Jahr weiter an seiner Rolle hobeln.

Ein unerhörter Luxus, über den sich der weltweit gefragte, nach Engagements in Zürich und München seit 2011 freischaffende Sänger vollkommen im Klaren ist. Dass Berlin ihn in den nächsten Jahren in vielen Partien erleben kann, liegt daran, dass die Familie am südwestlichen Rand der Stadt wohnt. Volle kann es sich leisten, neue Rollen zu entdecken und dabei nicht immer auf Reisen sein zu müssen. Vier Wochen an der Met in New York ohne die Kinder? Eine Katastrophe! Selbst für seine Bach-Leidenschaft hat er mit der Akademie für Alte Musik Partner an der Spree gefunden, bald erscheint das zweite gemeinsame Album. Volle nennt es das Glück der Umstände: „Wir haben ein Haus, das ist warm, wir haben Geld, die Kinder sind gesund. Ich fahre mit dem Auto zu meiner Arbeit, mache etwas, was ich kann, was ich liebe, wofür ich Geld bekomme und wo ich mich weiterentwickeln kann. Ich bin auch dankbar dafür, dass mir meine Eltern eine gewisse Demut mitgegeben haben. Das ist gerade in unserem mit menschlichen Untiefen verbundenen Beruf sehr viel wert.“

Volle sucht Herausforderungen, fängt immer wieder neu an

Die Geschichte des Falstaff-Debüts in Berlin begann vor Jahren in Mailand nach einer Aufführung des „Rheingold“ an der Scala. Daniel Barenboim, der Dirigent, und Volle, sein Wotan, sind nach einem gemeinsamen Essen freudig ermattet. Eine Stimmung für Angebote, die man nicht ablehnen kann. „Ich schenke mir zum 75. den Falstaff“, sagt Barenboim. „Willst du mein Falstaff sein?“ Volle ist verblüfft: „Ich, als Deutscher, als Debütant? Ja, klar! Danach denke ich: Scheibe, das wird heftig.“ Und so findet sich der Bariton aus Schwaben inmitten eines italienischen Ensembles wieder, das auch seinen Text ohne Zögern beherrscht.

Volle sucht Herausforderungen, das sorgt auch für eine natürliche Nähe zum Generalmusikdirektor der Staatsoper, bei dessen neuem „Ring des Nibelungen“ er die komplette Partie von Wotan und Wanderer durchmessen wird. „Barenboim ist immer noch neugierig. Manchmal auch entgegen der Tradition. Die hat ja nicht immer recht.“ Nach 28 Jahren auf der Bühne hat Volle sich freigespielt von Klischees, auch weil er weiter das kritische Urteil sucht: von seinem Bruder Hartmut, der Schauspieler ist, noch immer von seinem Gesangslehrer – und von Bach natürlich, der Papa-Musik, wie seine Kinder sie nennen.

Im Herbst seiner Karriere sieht sich Volle noch lange nicht

Von Beckmesser zum Sachs in den „Meistersingern“ und nun von Ford zum Falstaff – eine Verschiebung von den blind sich ereifernden hin zu den sehend gewordenen und letzten Endes verzichtenden Charakteren. Das kann man als zunehmende Reife beschreiben. Im Herbst seiner Karriere sieht sich Volle aber noch lange nicht. Und nach Verzicht ist ihm eigentlich auch nicht zumute: „Ach herrjeh! Kaffee? Schwer. Fleisch? Sehr schwer. Pasta? Himmel! Süßes? Hin und wieder brauche ich das unbedingt. Alkohol? Nach so einer Vorstellung da sitzen mit einem guten Glas Rotwein, das ist schon fein. Man hat sich veräußert, ist durchgeschwitzt, erschöpft“, sagt er aufseufzend. „Das Leben ist zu kostbar! Und die Balance zu finden so schwer.“

Die Arme sind wieder hinter dem Kopf gelandet, das T-Shirt rutscht eine Handbreit nach oben. Und wir ahnen: Volles Falstaff hat einen Wattewanst aus dem Theaterfundus nicht nötig.

Falstaff-Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am Sonntag, 25. März, Vorstellungen am 28. März und 1. April

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