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Tom Cruise als Auftragskiller Vincent in Michael Manns Thriller "Collateral" von 2004.

© UIP/dpa

Michael Mann-Retro im Arsenal: Jäger und Gejagte

Das Arsenal Kino feiert den amerikanischen Actionfilm-Regisseur Michael Mann mit einer Retrospektive. Zu sehen sind unter anderem seine Thriller "Heat", "Collateral" und "Miami Vice".

Unter dem Titel „Vulgar Auteurism: The Case of Michael Mann“ erschien 2009 im Filmmagazins „Cinemascope“ ein Essay über das Werk des US-Filmemachers. Auch wenn Autor Andrew Tracey anerkannte, dass Mann wie kaum ein anderer Hollywood-Regisseur für die Verbindung einer unverwechselbaren Handschrift mit den Erfordernissen des Marktes steht: Die Wertschätzung, die seine Filme von Cinephilen erhielt, missfiel ihm.

Mann sei das paradigmatische Beispiel einer aufgeblähten Autorentheorie. Von den unausgesprochenen Adressaten seiner Kritik wurde der abwertend gemeinte Begriff in der Folge umso heftiger umarmt. Längst gilt „vulgar auteurism“ als Ausdruck eines Bekenntnisses für eine Form des Genrekinos wie es etwa Mann vertritt.

Männliche Einzelgänger stehen im Zentrum

Die kleine Debatte mag außerhalb filmkritischer Kreise egal sein, interessant ist sie, weil sie auf die Brüche im Werk des Autors, Regisseurs und Produzenten verweist. Manns Filme sind auf den ersten Blick übersichtlich und bewegen sich in tradierten generischen Formen: Polizei- und Gangsterfilm, investigativer Thriller, Actionfilm, Biopic, Western.

Ihre Plots lassen sich meist mit ein, zwei Sätzen erzählen und fast immer rekurrieren sie auf die Topoi der Jagd. „Schläft nie, schnüffelt immer rum, lässt nie locker. Wo der ist, ist der Boden heiß“ – die Charakterisierung des Detective Vincent Hanna in Manns epischem Thriller „Heat“ (1995) lässt sich auf die Protagonisten nahezu all seiner Filme anwenden. Es sind männliche Einzelgänger, die von ihrem Beruf getrieben sind, egal ob sie Cop, Killer, Journalist oder Hacker sind.

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Diese dauererregte, mitunter auch ein wenig pathetische Männlichkeit mag heute vielleicht überholt sein. Eingebettet ist sie jedoch in eine visuelle Textur, die so modern wie innovativ ist. In Manns Filmen, die sich in den letzten Jahren immer weniger um konventionelle Szenenauflösungen und Erzähldramaturgien scherten, treffen sich realistisches Genrekino und verführerische Oberflächeneffekte, präzise Handlungsketten und erratische Abschweifungen, Dynamik und Stillstand. Wiederkehrende Motive sind die nächtliche Großstadt und kühle Architektur. Die Panoramafenster der postmodernen Bauten von L. A. eignen sich gut für melancholische Blicke ins Lichtermeer.

Michael Mann kam 1943 in Chicago zur Welt.
Michael Mann kam 1943 in Chicago zur Welt.

© Daniel Dal Zennaro/ANSA/dpa

Nachdem er als Produzent von „Miami Vice“ (1985–1989) den visuellen Look nicht nur der Serie, sondern eines ganzen Jahrzehnts prägte, etablierte sich Mann mit Filmen wie „The Last of the Mohicans“ (1992) und „Insider“ (1999) als Hollywood-Autorenfilmer, bevor er sich mit dem Aufkommen der digitalen Technik noch einmal neu erfand. Seine zwölf Spielfilme, angefangen von dem für das Fernsehen produzierten Debüt „The Jericho Mile“ (1979) bis zum Cyber-Thriller „Blackhat“ (2015) sind nun im Rahmen einer Werkschau im Kino Arsenal zu sehen.

Der Titel der Reihe ist doppelt zu verstehen: „The Professional“ meint zum einen Manns handwerkliche Präzision, zum anderen die totale Hingabe seiner Filmfiguren an ihren Beruf. Eine spezielle Form der Paarbeziehung macht den Kern eines jeden Mann-Films aus: die zwischen Jäger und Gejagtem.

Anders als in den meisten Thrillern sind diese beiden Figuren geradezu spiegelbildlich aufeinander bezogen. In der Thomas-Harris-Verfilmung „Manhunter“ (1986) fühlt sich der FBI-Agent Will Graham auf derart mimetische Weise in die kranke Psyche des gesuchten Serienkillers ein, dass man fürchtet, er selbst werde irre.

[Arsenal Kino, bis 28. September]

In „Heat“ wendet Mann die symbiotische Konstellation fast schon ins Romantische. Die von Al Pacino und Robert de Niro verkörperten Gegenspieler stehen sich nach mehr als eineinhalb Stunden erstmals leibhaftig gegenüber – und gehen Kaffee trinken. Cop und Gangster erkennen sich im jeweils anderen.

Auch der Showdown in „Collateral“ (2004), einem Pionierwerk des digital gedrehten Nachtfilms, endet mit weichen Blicken zwischen zwei schicksalshaft aneinandergeketteten Profis (Auftragskiller, Taxifahrer). Für die Frauen ist in dieser Anordnung meist nur die Rolle der entweder loyalen oder irgendwann frustrierten Begleiterin übrig.

Erst in der Kinoadaption „Miami Vice“ (2006), die mit wunderbar matschigen Schwarztönen zum slicken Design der TV-Serie auf Distanz geht, weicht er die harten Konturen des Thrillers mit einer Romanze zwischen Sonny Crocket und einer von Gong Li gespielten Drogenhändlerin auf. Und in „Blackhat“ stürzen der Hacker und seine Gefährtin vom zerwühlten Bett direkt an die Rechner, um die Spur eines Cyberterroristen aufzunehmen.

In „Blackhat“, einer extrem physischen Auslegung virtueller Kriminalität, sind die Mythologien des Gangsterkinos nurmehr poröse Reste. Hübsche Gesichter hinter Sonnenbrillen und Actionszenen, die roh wie Nachrichtenbilder wirken, reihen sich an Mikroansichten von Prozessoren, Glasfaserkabeln und Schaltkreisen. Mann zeigt sich in diesem collagenartigen Gebilde weniger als ein vulgärer denn als ein abstrakter Auteur.

Esther Buss

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