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Kultur: Mhhhm, sehr gut!

Peter Schneider über neues Kochen in deutschen Haushalten

Würde man aus der schieren Anzahl von Kochsendungen auf entsprechende Leidenschaften und Fähigkeiten schließen, so müsste man die Deutschen für ein Volk von Gourmets halten. Wer nachmittags durch die Kanäle zappt, stößt unweigerlich auf eine jener Veranstaltungen, die sich mit der öffentlichen Zubereitung von Speisen befassen. Zwei Merkwürdigkeiten fallen dabei ins Auge: Die Häufigkeit von Kochsendungen steht in umgekehrtem Verhältnis zur Ausübung dieser Tätigkeit am heimischen Herd.

Wahrscheinlich ist in Deutschlands Haushalten nie so wenig und so schnell gekocht worden wie heute. Eltern mit den üblichen 1,4 Kindern haben allenfalls am Wochenende Lust und Zeit, ihre oft spektakulär ausgestalteten Küchen zu benutzen. Singles kochen nur, wenn sie eine Internet-Bekanntschaft zu Besuch haben. Es ist, als sei von der Lust am Zubereiten und am Essen nur die Schaulust übrig geblieben. Vergeblich wünscht man sich, dass der eine oder andere Studiogast einmal von seinem Sitz aufspringt und dem Meisterkoch den Teller entreißt, von dem dieser allenfalls einen Bissen kostet. Die Studiogäste haben sich im Zweifelsfall mit einem Hamburger oder einer Currywurst auf die Kochshow vorbereitet, um unerwünschte Reflexe unter Kontrolle zu halten.

Die zweite Merkwürdigkeit ist, dass die Mehrzahl der Koch-Gurus männlichen Geschlechts sind, obwohl es doch im weltweiten und auch im deutschen Kochalltag immer noch die Frauen sind, die für die warme Mahlzeit sorgen. Aber Sättigung ist das Letzte, worauf es den Meisterköchen ankommt. Sättigung gilt dem Fernsehkoch als die niederste Funktion des Kochens, die das noch tiefer angesiedelte Bedürfnis des Verdauens nach sich zieht.

Es geht um neue Erkenntnisse der Zunge, um nie erlebte Herausforderungen der Geschmacksnerven, um Orgasmen im Bereich des Gaumens – Frauen sind durch das zweckgebundene Kochen für die höhere Kunst des verdauungsfreien Schmeckens und Genießens nicht recht vorbereitet. Es sind Männer, die ihnen vormachen, wie man von einem saftigen Rinderbraten nur einen flüchtigen Reiz auf der Zunge übrig lässt, sozusagen den Geist des Bratens. Essen ist in Deutschland eine Art Hördisziplin geworden, ein Genuss wie eine Mozartarie. Bei diesem Prozess der Vergeistigung stört es nicht, dass die Kochgurus grundsätzlich immer mit den Fingern in die Pfanne greifen, um etwa einen Hähnchenschenkel zu wenden. Schließlich handelt es sich um virtuelle Schenkel und um virtuelle Finger.

Leider tritt die sprachliche Begleitung der neuen Kunst noch immer auf der Stelle. Außer Urteilen wie „mhhhm“, „sehr gut“, „sehr schön“, „naja, ein wenig sauer“, „nicht so ganz“ hat das Vokabular der Juroren nichts zu bieten. Man horcht auf, wenn einer sich ins Neuland vorwagt mit der Bemerkung, er wünsche sich den Kartoffelbrei etwas „schlotziger“.

Haben die deutschen Kochshows zur Verfeinerung der Sinne beigetragen? Ein italienischer oder französischer Zuschauer würde diskret mit dem Kopf schütteln – schon weil auf jedem deutschen Teller immer noch Kartoffeln und Gemüse neben dem Braten liegen. Zuschauer aus anderen Weltgegenden gelangen zu einem anderen Schluss: Dass es den Deutschen, trotz Finanz- und Schuldenkrise, offenbar unwahrscheinlich gut geht.

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin. An dieser Stelle schreibt er regelmäßig über Politik und Kultur.

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