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In den Diensten eines han-chinesischen Investors. Uigurische Arbeiter ziehen Bewässerungsgräben für eine Baumwollplantage außerhalb von Kashgar.

© imago images/Joerg Boethling

Menschenrechte in Xinjiang: Zeugen und Gegenzeugen

Im Streit um Chinas Völkermord an den Uiguren haben sich absurde Konstellationen ergeben - auch in Europa. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Die Beweise sind erdrückend. Der Umgang der chinesischen Zentralregierung mit ihren uigurischen und kasachischen Minderheiten in der Grenzregion Xinjiang erfüllt alle UN-Kriterien eines Völkermords – mit Ausnahme der unmittelbaren massenhaften Tötung. Die westlichen Assoziationen von Konzentrationslager und Gulag mögen die brutalen Sinisierungsmaßnahmen der Han-Mehrheit nicht ganz treffen. Doch als systematisch organisierter, mit ebenso hochtechnisierten wie archaischen Mitteln arbeitender Versuch, eine muslimisch geprägte Kultur auszulöschen, die Pekings Großmachtplänen im Weg steht, erfassen sie den totalitären Charakter des Geschehens.

Umso erstaunlicher ist, dass mit der Zahl der Zeugen auch die Zahl der Leugner wächst. Es ist kein Wunder, dass etwa Chinas Außenminister Wang Yi sämtliche Vorwürfe von sich weist: Auch viele Han-Chinesen würden den Genozid nicht mittragen – wenn sie denn darüber im Bilde wären. Seltsamer ist, dass Wang in Europa willige Unterstützer findet. Im März-Newsletter der Chinesischen Botschaft (de.china-embassy.org/det/zt/Newsletter) verweist er als Kronzeugen auf Maxime Vivas.

Der französische Autor, Jahrgang 1942, zeichnet in „Ouïghours, pour en finir avec les fake news“ (La Route de Soi) das Bild eines in Glück und Frieden lebenden Volkes und bestätigt dies gerne in Interviews etwa mit der englischsprachigen „Global Times“ (globaltimes.cn). Auch die von Vivas mitverantwortete Website legrandsoir.info, ein „Journal Militant d'Information Alternative“, setzt die Parteinahme für China munter fort. Vivas, der Xinjiang zweimal mit Journalistengruppen besucht hat, aber weder Mandarin noch Uigurisch spricht, scheint, wenn man nicht von Korruption sprechen will, vor allem aus einer verschwörungstheoretisch grundierten Lust an der Opposition zu agieren – und das aus einer diffusen linken Haltung heraus. Er unterstützt Jean-Luc Mélenchon von der Parti Gauche, der ihm auch ein Vorwort zu einer Textsammlung über die Gelbwesten geschrieben hat.

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Frankreich ist in Bezug auf die Uiguren ein besonderer Kampfplatz. Dort hat Gulbahar Haitiwaji, die bereits zehn Jahre im Land gelebt hatte, mit dem Buch „Rescapée du goulag chinois“ (Equateur) ein Aufsehen erregendes Zeugnis von ihrer fast drei Jahre währenden Gefangenschaft in uigurischen Umerziehungslagern abgelegt. Eine dubiose Gegenrednerin fand sie Ende März in Laurène Beaumond auf der Website des chinesischen Auslandsfernsehsenders CGTN mit „Mon ,Xinjiang´’: halte à la tyrannie des fake news" (francais.cgtn.com). Während „Le Monde“ Beaumond nach intensiven Recherchen für komplett erfunden hielt, schaffte es „Le Figaro“ immerhin, die unter Pseudonym Schreibende für ein Interview ausfindig zu machen, ohne dass ihr Profil geschärft worden wäre.

Beim Blick auf Xinjiang lohnt es sich dennoch, nicht in ein blindes antichinesisches Ressentiment zu verfallen. „The road to Uyghur repression in China“, wie sie „Ear to Asia“, der stets lehrreiche Podcast des Asia Institute in Melbourne, nachzeichnet (Episode 56, Transkription unter arts.unimelb.edu.au), skizziert die historischen Hintergründe, die terroristischen Zwischenfälle und die geopolitischen Interessen in der Region. Die komplexe Genese ändert nur nichts am akuten Menschenrechtsvergehen.

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Der in seiner Nüchternheit ergreifendste Bericht zum Thema steht im jüngsten „New Yorker“. In „Surviving the Crackdown in Xinjiang“ (newyorker.com) schildert Raffi Khatchadourian in sieben Kapiteln auf Buchlänge das Schicksal der jungen Kasachin Anar Sabit aus Kuytun im Nordwesten von Xinjiang, die sich, um ihren sterbenden Vater zu sehen, aus ihrer neuen Heimat Vancouver noch einmal in die alte Heimat locken ließ. Dort geriet sie für ein Jahr und sieben Monate ins Räderwerk der Verfolgung, bevor sie sich nach Kasachstan retten konnte. Schritt für Schritt entfaltet sich, anhand von Sabits eigenen Aufzeichnungen, ihr Leidensweg vom Verlust des Reisepasses bis zur Zelle. Ihr Trauma teilen derzeit Hunderttausende, wenn nicht bereits Millionen.

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