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Domestiziert. Tethart Haags Gemälde „Orang Utan, Erdbeeren fressend“ (1776).

© Museum

Mensch und Tier in der Kunst: Zurück zur Kreatur

Höchste Zeit für einen „Animal Turn“: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erzählt in der Ausstellung „Tiere – Respekt, Harmonie, Unterwerfung“ die andere Geschichte der Menschheit.

Vor dem Mensch war das Tier. Wie Gott dann den homo sapiens erschuf, ist in der Genesis nachzulesen. In der Schöpfungsgeschichte heißt es weiter, dass der Mensch über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel und über alle Tiere auf der Erde herrschen solle. Der Mensch machte sich das Tier untertan, seit Anbeginn aller Zeit. Doch war das wirklich immer so? Und muss das so bleiben?

Die Ausstellung „Tiere – Respekt, Harmonie, Unterwerfung“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe versucht auf diese Fragen zwar keine letzten Antworten zu geben. Aber sie geht den Weg noch einmal ab, wie Menschen und Tiere im Laufe der Kulturgeschichte einander begegnet sind. 140 Werke auf 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche, von der Prähistorie bis zur Gegenwart. Durch den Spiegel der Kunst, der bildenden, angewandten, populären, schaut der Besucher auf die unterschiedlichsten Darstellungen vom Tier. Aber letztlich sieht er sich selbst, sein Verhältnis zu den anderen Lebensgenossen auf diesem Planeten, die ihm auf beunruhigende Weise seit jeher ebenso nah wie fern gewesen sind.

Die Fledermaus – ein Aquarell aus Dürers Umgebung.
Die Fledermaus – ein Aquarell aus Dürers Umgebung.

© Museum

Eine Rückkehr ins Paradies, in dem es die Ungleichheit noch nicht gab, ist ausgeschlossen. Wie es einmal gewesen sein könnte, davon geben die abgemalten Wandbilder von Leo Frobenius eine Ahnung. Der Frankfurter Ethnologe reiste 1929 mit Zeichnern nach Simbabwe, wo er in der Mutoko-Höhle Malereien kopieren ließ, die Mensch und Tier im gleichberechtigten, ja harmonischen Miteinander zeigen. Auf dem fast sieben Meter breiten steinzeitlichen „Wimmelbild“ herrscht kreatürliches Chaos. Gerahmt wird es von der Silhouette zweier gigantisch großer Elefanten, die wie gute Geister das dramatische Geschehen zu beschützen scheinen.

Am Ende des Ausstellungsparcours hat der gutmütige Dickhäuter noch einmal seinen Auftritt, nicht länger als Gottheit, sondern domestiziert. Der schottische Videokünstler Douglas Gordon ließ 2003 Minnie, eine Elefantenkuh aus einem Zirkus in Connecticut, nach New York in die Gagosian Gallery bringen, wo sie sich im klinisch weißen Raum auf Befehl ihres Dresseurs immer wieder hinlegt und aufrichtet, vorwärts- und rückwärtsbewegt. Es sind erbarmungswürdige Szenen. Das behäbige Tier folgt stoisch den Anleitungen aus dem Off, geradezu mit Würde. Das wirkt umso grotesker, als hier für viele Millionen Dollar nicht Kunststückchen vorgeführt werden, sondern man Kunst als Ware verhandelt. Es liegt etwas Beschämendes darin, die Elefantenkuh in Gordons Videoinstallation so fremdbestimmt zu sehen, so sehr am falschen Ort.

Ein Präparat aus dem Zoologischen Museum Hamburg.
Ein Präparat aus dem Zoologischen Museum Hamburg.

© Museum

Das Tier stellte für den Menschen immer schon das Andere, auch das Unheimliche dar. Nirgends kommt dies deutlicher zum Ausdruck als in Francisco Goyas Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ von 1799, das einen Schlafenden zeigt. Sein auf dem Tisch ruhendes Haupt umschwirren Eulen und Fledermäuse, eine Katze starrt den Betrachter mit aufgerissenen Augen an. Noch beängstigender sind die Tiere in Johann Heinrich Füsslis „Nachtmahr“ von 1790/91, bei dem ein behaartes Geschöpf mit Fledermausohren diabolisch lachend auf der Brust der dahingegossen Schlafenden hockt. Dazu schiebt sich der Kopf eines Pferdes mit glasigem Blick nach vorne ins Licht.

Im anbrechenden Revolutionszeitalter verkörperte das Tier die Angst, den Horror, das Irrationale schlechthin. Kein Wunder, dass die Künstler dieses Motiv ein Jahrhundert später wieder aufgriffen, als sie eine Darstellungsform für die Gefährdungen durch das Weibliche suchten. Schon in der Antike waren die bedrohlichsten Mischwesen zur einen Hälfte Tier, zur anderen Frau: Wer die schlangenköpfige Medusa anblickt, versteinert. Bei Franz von Stuck und Fernand Khnopff sind es Sphingen, geflügelte Frauen mit dem Unterkörper einer Raubkatze, deren schicksalshafter Kuss aus einem tödlichen Biss in die Kehle des Geliebten besteht.

Mensch und Tier, das verträgt sich nicht, so geht auch das Großstadtmärchen von King Kong. In Hamburg werden zwei Szenen aus der ersten Verfilmung von 1933 eingespielt, in der sich der Riesengorilla in der Wildnis in die schöne Blondine verliebt, anschließend in New York vom Empire State Building heruntergeschossen wird. In der Zivilisation gibt es keine friedliche Koexistenz für das Tier, es sei denn domestiziert. Im Verhältnis Mensch und Affe fokussiert sich nochmals diese Problematik. Der behaarte Bruder forderte den homo sapiens geradezu heraus, seine Überlegenheit darzustellen.

Ein Bat Bot aus dem California Institute of Technology.
Ein Bat Bot aus dem California Institute of Technology.

© Museum

Das zeigt sich auch in den besonders vielen Beispielen zu diesem Komplex. Zu den anrührendsten Exponaten gehört das Gemälde eines Orang-Utan-Weibchens, das 1776 aus Borneo als Geschenk dem niederländischen Statthalter Wilhelm V. mitgebracht wurde. Es trank Málaga-Wein, war gesellig und konnte sich selbst aus seinen Ketten befreien, damals eine Sensation. Das erste Ölbild eines Menschenaffen – gemalt 1767 von Tethart Philipp Christian Haag – zeigt den Orang Utan, wie er mit silberner Gabel Erdbeeren isst. Nach sieben Monaten starb das Tier wegen nicht artgrechter Haltung. Diese komische Nummer der Vermenschlichung musste der Affe immer wieder spielen. Von Otto Pilz stammt eine Affenkapelle aus Meißener Porzellan (1908-12), Hagenbecks Tierpark vertrieb um die gleiche Zeit höchst erfolgreich Postkarten mit bekleideten Affen, die auf einem Tandem radelten oder manierlich zu Tisch saßen.

Das Tier dient hier der Lächerlichmachung, der Selbstvergewisserung. Höchste Zeit für einen „Animal Turn“, fordert deshalb die scheidende Museumsdirektorin Sabine Schulze. „Das Verhältnis von Tier und Mensch muss neu verhandelt werden!“, schreibt sie im Katalog. „Tiere sollen endlich zu ihrem Recht kommen, ihr subjektives Empfinden, ihre Individualität und Verletzlichkeit verlangen Respekt.“ Ihre Abschiedsausstellung ist schon einmal ein guter Anfang.

Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, bis 4. 3.; Katalog (Hirmer Verlag) 39,90 €.

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