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Ein Mann, ein Mythos. Nelson Mandela wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden.

© Kim Ludbrook/dpa

Memoiren seines Enkels Ndaba Mandela: Nelson Mandela - der Übervater der Nation, ein distanzierter Großvater

Nelson Mandela war ein Messias der säkularisierten Moderne. Sein Enkel Ndaba Mandela porträtiert in "Mut zur Vergebung" den schwierigen Familienmensch im Schatten der Öffentlichkeit.

Er ging als Mensch in Gefangenschaft und kehrte als Mythos zurück. Leicht ergraut, die Faust kämpferisch zum Himmel gereckt. Nelson Mandela, der Held des südafrikanischen Widerstandes, hatte 27 Jahre für seinen Kampf gegen die Apartheid in politischer Haft verbüßt. Manche beschrieben den ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, der zu offiziellen Banketts gern bunt schimmernde Seidenhemden trug, als merkwürdig aus der Zeit gefallen. Viele, vom Rapper R. Kelly bis zur englischen Queen Elizabeth II., die Massen und die Medien, verehrten ihn. Als Mandela 2013 im Alter von 95 Jahren starb, war er ein Messias der säkularisierten Moderne. Befreier, Versöhner, Anführer und Aktivist – ein übermenschliches Monument der Menschlichkeit. Wie nähert man sich solch einer Gestalt?

Im Reigen seines 100-jährigen Geburtstages gibt es viele Versuche. Neue Biografien werden geschrieben, Briefe aus der Gefängniszeit veröffentlicht. Auch Ndaba Mandela, einer der vielen Enkel, hat mit „Mut zur Vergebung“ ein Buch vorgelegt. Es ist die vielleicht persönlichste Auseinandersetzung, wenn auch sicherlich keine Dekonstruktion des Mythos Mandela.

Ndaba Mandela wächst während der Apartheid in den Slums von Soweto auf. Als Nelson Mandela Präsident wird, nimmt er den damals Elfjährigen in seine Obhut. In dessen Memoiren begegnet einem weniger der oft beschworene Vater der Nation als der Großvater, der vielfach vergessene Familienmensch, der auch nach den langen Gefängnisjahren schmerzhaft abwesend bleibt, emotional distanziert. Ein gutmütiger Patriarch, flamboyant, aber streng.

Er bläut dem Enkel Traditionsbewusstsein ein, fordert gute Leistungen in der Schule, während dieser lieber kifft und feiert. Über weite Strecken folgt das etwas grobmaschige Porträt eines generationellen Scheidewegs. Ndaba Mandela gelingt es aber stellenweise, die tragischen Seiten seines Großvaters einzufangen. Ganz besonders in der Konfrontation mit der Aidsepidemie, die sich in Südafrika ausbreitet wie in keinem anderen Land der Welt.

Mandela geht als Präsident halbherzig gegen sie vor. Er fürchtet das sexuelle Stigma der konservativen Gesellschaft. Später verliert er seinen eigenen Sohn, Ndaba Mandelas Vater, an das HIV-Virus. Erst da setzt ein richtiger Wandel ein. Es ist eine Binsenweisheit der Geschichtsschreibung, dass kritische Aufarbeitung oft Abstand braucht. Mandelas Tod liegt erst fünf Jahre zurück. Das Buch seines Enkels ist ein interessantes Zeitdokument und eine legitime Frage nach dem, was vom Mythos bleibt. Es ist aber auch Sinnbild für die Vereinnahmung seiner Geschichte, die allseitig stattfindet. Man könnte auch sagen: Nelson Mandela begibt sich in eine zweite Gefangenschaft. Wenn auch diesmal nur als Mythos, nicht als Mensch.

Ndaba Mandela: Mut zur Vergebung. Das Vermächtnis meines Großvaters Nelson Mandela. DuMont, Köln 2018. 224 Seiten, 20 €.

Giacomo Maihofer

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