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Der Berliner Journalist und Schriftsteller Andreas Schäfer. Er wurde 1969 in Hamburg geboren und wuchs in Frankfurt auf.

© Mirella Weingarten

Mein Vater und ich: Nachgetragene Scham

Andreas Schäfer porträtiert mit „Die Schuhe meines Vaters“ einen schwierigen Menschen.

Die titelgebenden Schuhe des Vaters sind ein Paar braune Halbschuhe. Der Ich-Erzähler hält sie im Taxi in den Händen, auf der Rückfahrt von der Frankfurter Neurochirurgie. Dort liegt der 81-jährige Robert Schäfer nach einer Biopsie im Koma, infolge einer überraschend eingetretenen Hirnblutung. Da es für ihn keine Hoffnung mehr gibt, soll nun der Sohn den Zeitpunkt bestimmen, wann die Maschinen abgestellt werden.

Das ist die Ausgangssituation von Andreas Schäfers Erinnerungsbuch. Bei der Lektüre gilt es, verschiedene Zeitebenen zu unterscheiden. Da sind die Tage in der Frankfurter Klinik im Juni 2018 sowie die Wochen der Trauer danach. Da sind all die in dieser Zeit wieder lebendig werdenden Erinnerungen. Etwa an die Befürchtung des Ich-Erzählers bei ihrer letzten Begegnung, dass das zuletzt so „sorgsam austarierte Verhältnis“ zwischen Vater und Sohn kippen könnte, sollte Robert Schäfers Krebs tatsächlich zurückgekehrt sein. Oder an all die Szenen aus der Kindheit, als der Vater vor Wut schäumend die Mutter durchs Haus verfolgte, bis der Bruder des Erzählers in seiner Verzweiflung einen Zettel unter die elterliche Schlafzimmertür durchschob, „Heute bitte nicht streiten!“.

Notizzetteln und Reisetagebücher

Und dann ist da noch die Gegenwart des schreibenden Erzählers, der anfängt, aus den Aufzeichnungen des Vaters, aus seinen Notizzetteln und Reisetagebüchern dessen Leben zu rekonstruieren. In dieser Gegenwart gewinnt der Erzähler Trost aus der Selbstverständlichkeit, mit der die eigene Tochter inzwischen den massiven Metalllocher aus dem väterlichen Nachlass annektiert hat.

Jetzt, zwei Jahre später, fragt sich der Ich-Erzähler, ob er, der zeitlebens aus Scham nie über seinen Vater und ihr „mal wattiges, mal stacheldrahtiges Verhältnis“ sprechen konnte, mit seinem Buch dem Verstorbenen so etwas wie „Anerkennung verschaffen“ will, „auch vor mir selbst?“

Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters.  DuMont Buchverlag, Köln 2022, 192 Seiten, 22 €.
Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters. DuMont Buchverlag, Köln 2022, 192 Seiten, 22 €.

© promo

„Die Schuhe meines Vaters“ ist das bisher persönlichste Werk des 53-jährigen Autors. Es reiht sich ein in jene Gattung autobiografischer Texte, in denen sich Schriftsteller mit ihren Vätern auseinandersetzen, oft mit Blick auf deren Leben und Handeln in der NS-Zeit. Christoph Meckels „Suchbild: Über meinen Vater“ und Peter Härtlings „Nachgetragene Liebe“ aus den frühen achtziger Jahren wären da zu nennen, oder Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“.

Natürlich fällt die Rolle der NS-Zeit bei der Beschäftigung mit dem Vater in Andreas Schäfers Memoir nur gering aus; Robert Schäfer, 1936 in Berlin geboren, war bei Kriegsende erst neun Jahre alt.

Verschwunden ist sie aber auch in diesem Fall nicht, im Gegenteil. Denn in dieser frühen Lebensphase vermutet sein Sohn die Quelle jener rätselhaften väterlichen Wut, die die Familie zerstört hat und die Vater-Sohn-Beziehung prägen sollte. Und deren dunkler Zwilling eine extreme Kränkbarkeit war, vermeintliche Verletzungen oder Zurücksetzungen. die sich noch auf den Sohn übertrugen.

Zu den frühen Traumata des kleinen Roberts gehörte es zu erleben, einmal von den Eltern einer Tante mitgegeben zu werden, die vom Bodensee nach Berlin zu Besuch gekommen war. Vor allem aber siebenjährig von den Eltern zurückgelassen aus einem Schutzbunker zu klettern, um lange wie erstarrt vor dem brennenden elterlichen Wohnhaus zu stehen – bis eine Nachbarin den Jungen endlich zu seinen unversehrten Eltern führen konnte.

„Sein nervöses, flatterndes Herz, das schnelle Außer-sich-Geraten“, schreibt Schäfer, „bis heute besteht in meinem Vater-Bild ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem in Flammen stehenden Haus und seiner eigenen, jeden Moment möglichen Entflammbarkeit. Als sei damals eine innere Schutzmembran eingerissen, die er nie wieder ganz hatte flicken können und deren Durchlässigkeit ihn Zeit seines Lebens eine kraftraubende Habacht- und Verteidigungsstellung hat einnehmen lassen.“

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Das Erleben von Zurücksetzung und Fragilität wurde zur wiederkehrenden Erfahrung im Leben Robert Schäfers. Als der junge Mann in der Adenauerzeit seine Verlobte, eine junge Griechin, die spätere Mutter des Autors, erstmals mit nach Hause brachte, war für die Eltern der Umstand, dass ihr Sohn eine „Ausländerin“ heiraten wollte, so unvorstellbar, dass sie den Kontakt mit ihm abbrachen, ihn sogar enterbten.

Das Selbstbild des Vaters als „Verstoßener“ sollte nicht nur die Ehe der Eltern von Anfang an belasten, sondern sich auch auf seinen Sohn auswirken, schreibt Schäfer: „Selbst ich habe mich lange wie im Bann der Enterbung gesehen; meine Freiheitsbestrebungen und zuweilen schroffen Distanzierungen von ihm waren stets von dem schalen Gefühl begleitet, dass auch ich ihn also verstieß.“

So wird das Schreiben über den Vater immer auch zum Schreiben über sich selbst. Denn „im Halbschatten hinter seiner Schulter, einen verächtlichen Ausdruck im Gesicht“, entdeckt der Ich-Erzähler sich selbst, „durch ein undurchdringliches Fadennetz aus Mitgefühl und Wut an ihn gebunden.“ Es ist somit ein heikles Unterfangen, sich wie Andreas Schäfer schreibend nachträglich seiner lebenslangen „Vaterscham“ zu stellen. Eine Scham, die sich etwa bestätigt sah, als der Sohn, in einer absurden Wiederkehr des Familientraumas, seine eigene Freundin dem Vater vorstellte und dieser, weil er sich mal wieder provoziert fühlte, mit seiner mühsam unterdrückten Wut den Abend ruinierte. Das Urteil der Freundin sei so vernichtend ausgefallen, schreibt Schäfer, dass er sich in seiner Scham endgültig bestätigt sah.

Sprachmagische Hoffnung

Umso wichtiger nun die „sprachmagische Hoffnung“ des Ich-Erzählers, dem toten Vater schreibend Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Großvater habe doch „auch ein schönes Leben gehabt“, wirft früh die Tochter des Erzählers ein, zu Recht. In der Rekonstruktion wird das Bild eines komplizierten Menschen sichtbar, der sich zwar immer wieder selbst im Weg stand, aber auch voller Lebensfreude war. Robert Schäfer war nicht nur ein Wut-, sondern auch ein „Fernweh- und Reisemensch“, ein „freiheitsliebender Vagabund“, der morgens sein Frühstück im Café zelebrierte und dessen Selbstbewusstsein gerade im Alter den Freundeskreis des Autors staunen ließ.

Hinzu kommt die bittere Einsicht, dem Menschen, dem man sein Leben verdankt, offenbar mehr zu ähneln, als einem lieb ist. „,Ich habe noch nie keine Angst vor dir gehabt’, hatte meine Tochter mal gesagt“, gesteht der Ich-Erzähler, „als wir uns nach einem Streit wieder vertragen hatten und ich sie fragte, ob sie sich manchmal vor mir fürchte.“

Möge dieses sehr lesenswerte, bewegende Buch neben der „Vaterscham“ auch dessen „unerschöpfliche Wut“ mit ausgetrieben haben.

Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters. DuMont Buchverlag, Köln 2022, 192 Seiten, 22 €.

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