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Kräftemessen. Marlene (Anke Engelke) und Sohn Jason (Jonas Dassler).

© Warner Brothers

"Mein Sohn" mit Anke Engelke: Mama war auch mal Punk

Was wissen wir wirklich voneinander? Mit der Rolle in dem Mutter-Sohn-Roadmovie "Mein Sohn" etabliert Anke Engelke sich endgültig als Charakterdarstellerin.

Mutter und Sohn, das Urmotiv setzt Bilder frei. Auf der Bühne, im Film. Sie reichen von der Antike bis zur Popkultur. Ödipus, „Psycho“, „Terminator“. Die sexualisierte Mutter, die Mutter als pathologisches Kontrollmonster, derer man sich nur durch Mord entledigen kann, die Mutter als Kampfmaschine mit Beschützerinstinkt, als um sich ballerndes Muttertier.

Lena Stahls feinnerviges Spielfilmdebüt hält nichts von dieser Art übersteigertem Mutterkult und reflektiert trotzdem die Klassiker Kontrollwahn und Fürsorge – nur die erotisierte Mutter lässt sie aus. „Mein Sohn“ ist ein ruhig erzähltes Roadmovie, das sich Pausen und Auslassungen erlaubt und nach dem konventionellen Anfang eine gewisse Ruppigkeit entwickelt.

Die Leerstellen in den Gesprächen zwischen Marlene, einer Berliner Fotografin, und Jason, ihrem Sohn treffen punktgenau den Ton des Generationen-Unverständnisses, der so oft zwischen Eltern und ihren rebellischen Kindern herrscht, die Anfang 20 sind und ihr eigenes Ding machen wollen. Was wissen wir wirklich voneinander? Diese unausgesprochene Frage wird zwischen Marlene und ihrem Sohn Jason plötzlich konkret. Der Profi-Skater, der zu Beginn in Zeitlupe als cooler Überflieger über die Warschauer Brücke und das Kulturforum rollt, klatscht nach einer drogenschwangeren Partynacht im Tran gegen ein Auto.

Lichter tanzen, das Board fliegt in Slowmotion davon, auf Furchtlosigkeit und Übermut folgen Beatmungsgerät und Koma. Mutter und Lebensgefährte eilen ins Urbankrankenhaus.

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Bei Anke Engelke, die nie ernster und konzentrierter aufspielte als hier und sich mit „Mein Sohn“ endgültig das Charakterfach erobert, sitzt in der Verzweiflung und Ratlosigkeit, mit der sie dem schwer Verletzten begegnet, jede Geste. Kindskopf Jason dagegen, den Jonas Dassler als dreisten, blondierten Oberchecker spielt, fotografiert seine Narben wie Trophäen, sobald er sich wieder obenauf glaubt.

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Dass Marlene, wie er seine Mutter nennt, ihm einen Platz in einer exklusiven Schweizer Reha-Klinik erobert und finanziert hat und ihn auch noch in ihrem alten Volvo hinfahren will, ist für ganz bestimmt kein Grund zur Dankbarkeit. Lieber regt er sich lautstark über Mutters Übergriffigkeit auf.

Wie viele Jahre hast Du nichts gegessen?

Die Autofahrt in die Schweiz gerät zum absehbar auf eine Wiederannäherung hinauslaufenden Schlagabtausch zwischen dem jugendlichen Provokateur und der besorgten Mutter. Die (Entwicklungs-)Reise beleben lakonische Spurenelemente, wie Marlenes Frage „Sag mal, Jason, wieviele Jahre hast du nichts gegessen?“, mit dem sie sein Geschlinge in der Raststätte kommentiert.

Oder die Episode mit dem geraspelten Mutterkuchen, den sich die Hippiekommune auf dem Selbstversorgerhof von Freundin Sarah (Hannah Herzsprung), wo sie Station machen, zu Marlenes Entsetzen auf den Auflauf streut.

["Mein Sohn" läuft in sieben Berliner Kinos]
„Eine Geburt ist ein Moment zwischen Leben und Tod“, pfeift Marlene die schwangere Sarah an, die das Baby zu Marlenes Entsetzen nicht in der Klinik, sondern auf dem Aussteigerhof bekommen will. Der tödliche Ernst, der in ihren Worten liegt, macht klar, dass die damals alleinerziehende Marlene nicht nur mal selber Punk war und ihrem Sohn zuliebe auf eine Karriere in New York verzichtete, sondern ein tiefer greifendes Geburtstrauma mit sich trägt.
Die Psychogramme einer Furchtsamen und eines Furchtlosen, denn nichts anderes scheint Jason zu sein, entfalten sich in Lena Stahls klugem Drehbuch wie nebenbei.

Die Kamera von Friede Clausz verstärkt die Intimität des begrenzten Raums im Auto und erforscht die einander unablässig verstohlen befragenden Mienen. „Mein Sohn“ ist mit Max Hopp und Golo Euler bis in die Nebenrollen fein besetztes Schauspielerinnenkino. Nur die Schweizer Berge scheinen viel zu viele Tagesreisen entfernt zu sein.

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