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In Kalauerhausen. Falilou Seck, Till Wonka, Sebastian Brandes und Taner Sahintuerk geben sich präpotent.

© DAVIDS/Dominique Ecken

Maxim Gorki Theater: Warte nur ein Weilchen

1988 hat Thomas Langhoff eine legendäre Inszenierung von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ am Maxim Gorki Theater herausgebracht. Am selben Ort versucht sich nun sein Sohn Lukas Langhoff am selben Stück.

Als Klaus Wowereit bei der Eröffnung zur neuen Intendanz am Maxim Gorki Theater vor einigen Woche eine Rede hielt, erwähnte er auch die familiären Traditionen (und Verquickungen) am Hause. Shermin Langhoff, die neue Chefin, ist die Schwiegertochter Thomas Langhoffs, der am Gorki unter anderem die legendären „Drei Schwestern“ 1978 und ein Jahrzehnt später Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ inszeniert hat, das bekanntlich eine Adaption von Tschechows Stück ist und Mascha, Olga und Irina aus dem vorrevolutionären Russland in die DDR der Siebziger Jahren verpflanzt. Lukas Langhoff ist wiederum der Sohn von Thomas und Mann der Intendantin. Und dieser Lukas werde nun die „Übergangsgesellschaft“ erneut inszenieren. Wowereit wünschte: „Viel Spaß bei der Familienaufstellung!“ Allgemeines Gelächter.

Nachdem diese Neuinszenierung jetzt über die Bühne gegangen ist, will einem das Lachen nicht mehr gelingen. Warum nimmt sich der Sohn den Stoff des Vaters vor und stellt sich vorsätzlich dem Vergleich mit einer Arbeit, an der selbst das Neue Deutschland 1988 Thomas Langhoffs „ausgeprägten Sinn für subtile Stimmigkeit der Szene und für beredte realistische Details“ lobte? Nach anderthalb irritierenden Stunden, in denen unter anderem ein tätowierter DJ zum Bumbum aus den Boxen mit dem Kopf gewackelt, Schauspieler den Samtbezug von den Stühlen gerissen und mit einer Axt die Tür zum oberen Foyer eingeschlagen haben, steht das Publikum bedröppelt am Garderobentresen, und eine junge Frau ruft: „Wer war denn dieser Frank, von dem ständig geredet wurde? Ich glaube, Frank war Godot. Man wartet, niemand kommt.“

Worauf man an diesem Abend tatsächlich vergeblich gewartet hat: auf eine wie auch immer geartete Interpretation. Dabei ist der Anfang vielversprechend. Die zentrale Frage bei einer Neuinszenierung der „Übergangsgesellschaft“, die zwar Anfang der Achzigerjahre geschrieben, aber erst 1988 in der DDR gezeigt und als Ausdruck einer traumlosen, an ihr Ende gekommenen Gesellschaft bejubelt wurde, die zentrale Frage lautet: In welchen Kontext stellt man diese Gesellschaft heute?

Das Publikum sitzt nicht im Parkett, sondern auf der Bühne. Im Rang hockt ein DJ und beginnt sogleich den Lebenslauf eines Techno-Pioniers runterzubeten, spielt als Zeichen seiner künstlerischen Weiterentwicklung Liedbeispiele ein, die freilich immer das Gleiche hören lassen. Berliner-Hinterhof-Wendeatmosphäre ist in der Luft. Vielleicht meint „Übergang“ die Entdeckung des Ostens durch das Nachtvolk? Dafür spricht, dass nun die Schauspieler in den Zuschauerraum geführt werden. Eine der drei Schwestern trägt ein Pappschild mit dem Slogan „Gorki-Tour ’91“. Doch diese Spur wird gleich wieder verlassen, stattdessen geht’s halbherzig Richtung Publikumsbeschimpfung. Die Schauspieler, alle wie klischeehafte Typen zurechtgemacht – der Philosoph mit Hornbrille, der herrische Regisseur in Lederanzug, die Schauspielerin mit Tussi-Perücke – starren uns an wie ein Bild. „Ick seh nüscht“, berlinert eine der Schwestern. „Tot“, brüllt einer. „Dood. Die sin doch alle doood.“ Offenbar sind wir, also das Publikum, der zum Witz erstarrte real existierende Sozialismus. Kann auch sein, dass wir der an sein Ende gekommene Turbokapitalismus sein sollen. Spielt aber keine Rolle, denn bald weiß man, dass die Geschichte weder vor noch nach dem Mauerfall spielt, sondern in der Zeitlosigkeit von Kalauerhausen. Die Schauspieler fläzen sich also in die Zuschauerreihen, kauen Kaugummi, schweigen, schreien rum und schauen dabei so präpotent, als wollten sie sagen: eigentlich müsst ihr uns was vorspielen.

In Brauns Stück wird jetzt Tschechow nachgesprochen, dann gibt es eine Geburtstagsfeier, auf der Dichter, Radikalkommunisten, SED-Chargen und eben die drei Schwestern sich anöden, bis eine von ihnen den Vorschlag macht, dass jeder seine Träume erzählt. Bei Lukas Langhoff kriegt man von einer Handlung gar nichts mit – aber es wird auch nicht Brauns Stück, sondern eine „Spielfassung von Lukas Langhoff und Holger Kuhla“ gegeben. „Übergang“, das meint offenbar vor allem Warten. Und aus einer sprachlichen Mücke einen szenischen Elefanten machen. Elisabeth Blonzen bekommt als Olga einen Frosch im Hals, röchelt minutenlang. Falilou Seck ruft „Endlich mal was Großes!“, und zwar 15 Mal, wobei er immer wütender wird. Taner Sahintürk zerfetzt als Dichter Paul Anton erst eine, dann noch eine Stuhllehne. Und zwischen jedem unmotivierten Ausbruch: das gähnende Nichts.

Irgendwann dämmert einem, dass mit diesem Frank, nach dem gerufen wird, möglicherweise Frank Castorf gemeint ist, dem eigentlichen künstlerischen Vater des Regisseurs. Vielleicht wollte er nicht zur Premiere kommen? Nein, solch eine Albernheit möchte man nicht einmal Lukas Langhoff unterstellen.

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