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Väter und Söhne. Darum geht es im Stück „In My Room“ am Gorki.

© Esra Rotthoff

Maxim Gorki Theater: Vater ist ein steifer Tänzer

Eloge, Party, Requiem: Mit „In My Room“ stellt Falk Richter am Maxim Gorki Theater Männlichkeitsmuster infrage.

Der Schauspieler Taner Eahintürk steht an der Rampe des Maxim Gorki Theaters und erzählt von seinem Vater. Wie der mit 15 nach Deutschland kommt und unter Tage arbeitet, um sich irgendwann ein Studium zu finanzieren; er möchte Maschinenbauingenieur werden.

Und: wie er keinen Sprachkurs bekommt und nicht studiert. Wie er im Krankenhaus den Chefarzt anschreit, weil sein Sohn Schmerzen hat, und wie er, wenn dieser Sohn Fußball spielt, am Spielfeldrand steht und schimpft: „Vater gibt nur Anerkennung, wenn wir gewinnen, Preise nach Hause bringen, besser sind als die anderen.“

Und: dass er selbst aufpassen müsse, „nicht plötzlich in dieser Stimme des verletzten Sohnes“ zu sprechen, wenn er das erzähle. „Es macht mich wütend, selber so unbeweglich zu werden; steif wie mein Vater, wenn er tanzt.“

Es ist ein außergewöhnlicher Monolog, den Eahintürk hier in Punk-Manier aus sich herausschleudert – an einem ebenso besonderen Abend.

Der Regisseur und Autor Falk Richter hinterfragt unter dem Motto „In My Room“ die Männlichkeitsmuster, die die Gesellschaft prägen, und hat sich dafür mit fünf Schauspielern auf die Suche nach den eigenen Vätern begeben: neben Eahintürk Emre Aksizoglu, Knut Berger, Benny Claessens und Jonas Dassler.

Verachtung und Liebe

Herausgekommen ist eine Inszenierung, in der fast alles ein My intensiver ist als sonst: die Temperatur höher, die Schauspieler noch einen Tick durchlässiger, das Publikum, das später minutenlang stehend applaudiert, konzentrierter und angefasster.

Denn die individuellen (und mehr oder weniger fiktional überformten) Vater-Sohn-Geschichten, die im Zentrum dieses Abends stehen, sind schonungsfrei und persönlich, ohne privat zu sein.

[Wieder am 18., 19. und 23. 1.]

Es geht um schmerzhafte Anpassungsleistungen, für die die Söhne – selbst hineingeboren in eine andere Zeit – ihre Väter bedauern, verachten und auch ein Stück weit lieben. Um ausgebliebene Coming-outs und harte Bestrafungen für lächerliche Familienregelverstöße, die gleichzeitig mit maximaler Zärtlichkeit erinnert werden.

Um Sprachlosigkeit und das Aushalten von Ambivalenzen, das einem im Theater zurzeit ja gar nicht so häufig abgefordert wird, zumal bei diesem Thema. Und um Muster, die sich – bei aller Verschiedenheit – aus den einzelnen Perspektiven herauskristallisieren und zu Gesellschafts- und Generationenbildern zusammenpuzzeln lassen.

Platz für breit gefächerte Maskulinitätsentwürfe

Die Größe des Abends beginnt dabei scheinbar ganz klein: „Remember“ steht anfangs in Leuchtbuchstaben über Wolfgang Menardis Bühne, auf der sich stylishe männliche Schaufensterpuppen, eine Musikinstrumenten-Ecke und diverse Bildschirme drängen, die viel Platz für breit gefächerte Maskulinitätsentwürfe lassen: vom klassischen Westernhelden bis zum kindlichen Performer-Schnappschuss im gewagten Leoparden-Dress.

„Remember“ meint ganz wörtlich, dass die Schauspieler sich erinnern: wie ihre Väter laufen, wie sie telefonieren, was sie im Fernsehen wegzappen, bei welchen Gesprächsthemen sie die Blickrichtung ändern. Erstaunlich, wie viel man dabei beiläufig über „Männlichkeit“ erfährt und darüber, wie sie sich in Körper ein- und fortschreibt.

Zumal die Bühnen-Söhne gegen und für ihre Väter die Performance ihres Lebens hinlegen: Was diese fünf Schauspieler da pausenlose 130 Minuten veranstalten, ist Liebeserklärung und Anklage, Party und Requiem, Tragikomödie und Rockkonzert. Zumindest in Berlin hat man – von den jüngsten Pollesch-Abenden im Friedrichstadt-Palast und dem DT abgesehen – lange nichts gesehen, das so aus jeder Pore atmet.

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