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Der Berliner Schriftsteller und Journalist Maxim Biller

© Christian Werner/Verlag

Maxim Billers Roman "Biografie": Solomons Vermächtnis

Viel Sex, viel Psychokram, viel Familie, viel Humor, viel Pop: Maxim Billers großer deutsch-jüdischer Roman "Biografie", ein Solitär in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Humor hat Maxim Biller, selbst wenn der auf seine Kosten geht. „Die Jeckes lieben dich für deine zwanghafte Zwanglosigkeit...“, sagt so ziemlich am Ende von Billers Monumentalroman „Biografie“ Awi „Blumenschwein“ Blumenstein zu Solomon Karubiner, dem Ich-Erzähler des Romans und Billers mutmaßliches Roman-Alter-Ego, „nur Deine Bücher kaufen sie nicht.“ Ob die Israelis und insbesondere die in Israel lebenden, zudem nicht mehr ganz jungen Jeckes überhaupt schon einmal von Maxim Biller gehört haben? Oder gar eins seiner Bücher kennen?

Billers Alter ego hat Romane wie "Schwönzchen" und "Ihr wollt nur unsere goldenen Eier geschrieben"

Egal. „Der wichsende Heine“ oder „der deutsche Polanski“, wie Blumenstein Karubiner gleichfalls tituliert, solche Zuschreibungen sind ja auch so mancher Ehren wert. Überhaupt ist „Biografie“ keine Biller-Biografie wie „Mein gebrauchter Jude“, sondern ein explizit fiktionales Werk. Wenn gleich rein äußerlich, also formal-biografisch, Soloman Karubiner so einige Ähnlichkeiten mit seinem Schöpfer aufweist: geboren in Prag, allerdings drei Jahre später, 1963, nicht 1960, wie Biller, Sohn einer russischen-jüdischen Familie, der 1970 mit dieser nach Hamburg kommt und Schriftsteller wird, mit Romanen wie „Schwönzchen“, „Post aus dem Holocaust“ und „Ihr wollt nur unsere goldenen Eier“ leidlich erfolgreich ist.

Zudem hat er in der eigenen Familie viel Konkurrenz: Mutter und Schwester Serafina schreiben ebenfalls, so wie in Billers richtigen Leben Rada Biller und Elena Lappin. Und 1999 bekommt dieser Solomon Karubiner sogar einen Preis in Deutschland, den „Anti-Büchner-Preis“, nämlich „für den bösesten Deutschenhasser-Satz des Jahres“. Karubiner hatte in einem Novalis Geburtstagsartikel geschrieben, „wer einmal aus der Gulaschkanone der Romantiker probiert habe, hätte für den Rest seines Lebens Gulasch im Kopf (oder so ähnlich).“

Noah Forlani und Solomon Karubiner sind "ausgekochte Buczacz-Boys"

Ja, Biller hat Humor – und ja, Biller selbst ist in Deutschland nicht einer der beliebtesten Autoren, geschweige denn, dass er viele Bücher verkauft. Weil er nämlich nur allzu gern stört, weil er nervt, weil er der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur regelmäßig die Leviten liest und sie als öde und feige und schlapp beschimpft und er das darüberhinaus inzwischen sogar als Kritiker des neu aufgelegten Literarischen Quartetts im Fernsehen machen darf. Ob „Biografie“ ihm nun ein paar Punkte auf der bei ihm nach oben sehr offenen Beliebtheitsskala beschert? Die vielen Verrisse des Buches, die es bisher gegeben hat, deuten nicht darauf hin.

Dabei ist „Biografie“ nicht nur dick an Seiten (896), sondern es steckt auch sonst eine Menge drin: Viel deutsch-jüdisches Leben nach dem Holocaust, viel Sex, viel Psychokram, viele jüdische Familiengeschichten, viel Kommunismus, ein paar jüdische Selbsthass-Syndrome, viel Pop, viel Popcorn. Biller erzählt, wie es seiner zweiten Hauptfigur Noah Forlani, dem besten, brüderlichen Freund von Solomon Karubiner, auf seiner Berlin-Sudan-New-York-Buczacz-Odyssee ergeht. Und er erzählt, im steten Wechsel, auch zwischen auktorialer und Ich-Perspektive, was Karubiner so zwischen Berlin, Tel Aviv und schließlich ebenfalls im westukrainischen, ehemals galizischen Stetl Buczacz erlebt (sie sind beide „ausgekochte Buczacz-Boys“), ja, vor allem wie diesem ein sogenanntes Wichsvideo in einer Sauna, der Elstar-Sauna, zum Verhängnis wird, er nach Tel Aviv entschwindet und glaubt, seine Mord-Fantasien über einen erpresserischen deutschen Kollegen in die Tat umgesetzt zu haben.

Wobei von erzählerischer Stringenz auf diesen fast 900 Seiten nicht gerade die Rede sein kann: Die Abschweifung regiert, bei Karubiner wie bei Forlani. Spiralenförmig geht es oft tief in die Vergangenheit der Familien der beiden, nach Moskau und Prag, nach Hamburg und Berlin. Biller zeichnet quasi im Zickzack das Leben der Väter Schloimel (von Noah) und "Wowa dem Schrecklichen" (Solomon) und auch Solomons Mutter nach, deren Unternehmer- oder Kommunisten-oder Schreiber-Dasein. Ja, es gibt hier wirklich nur annäherungsweise eine dramaturgisch fein ausbalancierte Großgeschichte, keinen erkennbar dunkelroten Erzählfaden. „Biografie“ lebt von seinen Mini-Geschichten, Anekdoten und Episoden, von seinen Kalauern, Witzchen und sexuellen, immer wieder auch von Deutschlands Nazi-Vergangenheit durchsetzten Anspielungen, das aber wirklich gut.

Die "Tempojahre" dauern bei Biller weiterhin an

Natürlich nervt das Namengeknatter bisweilen, die bei allem realistischen Erzählen oft undurchdringliche Bindestrich-Prosa, das dauernden Droppen von Label- und Markennamen – Biller ist ein Mann der Popkultur, die „Tempojahre“ scheint er nicht vergessen zu haben, die dauern an, Alter hin oder her - , da braucht es Durchhaltevermögen und, eben: Nervenstärke. Und klar, der Eindruck, es hier mit einer XXXL–Version seiner Kolumnen zu tun zu haben, drängt sich auf, die hat Biller in den acht Jahren, in denen er an diesem Roman gesessen haben soll, ja in schöner Angestellten-Regelmäßigkeit geschrieben. Gegenseitige Durchdringung schließt sich da nicht aus.

Trotzdem gibt es viele verblüffende, starke, lustige und auch berührende Szenen: die mit Bruder Solomon und Schwester Serafina im Schwimmbad des Prager Hotels Olsanka, die auf den politischen und psychischen Urgrund der komplexen Familiengeschichte führt; die mit Noah erst in seinem Appartment in New York City und dann mit seiner (und der von Solomon) großen Liebe Natascha auf einer Taxi-Fahrt durch Manhattan, da dem Noahle ständig seine Mamili als Über-Ich in die Quere kommt; oder auch die am Ende mit dem Jour Fixe von Wowa und seinem früheren Geheimdienst-Führungsoffizier Kostja (und einigen anderen) im Café Slavia, die in die Kalte Kriegszeit der fünfziger und sechziger führt. Ja, die Fülle dieses Romans ist enorm, genauo so wie sein nervöses Hin- und Hergezappe, wobei es überhaupt nichts macht, dass „Biografie“ manchmal gar nicht vom Fleck wegzukommen scheint (und man selbst, wie jetzt gerade, Fleck hin, Fleck her, selbst zu pornografischen Assoziationen neigt).

"Würden die schmutzigen Germanskis meine Offenheit lieben?"

Seine Hoffnung sei es, hat Biller in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt, „dass das Buch Bewegung bringen kann in das erstarrte Verhältnis, dass die Deutschen zu ihrer Vergangenheit haben“. Das ist eine schöne Hoffnung, wird aber schätzungsweise eine fromme bleiben: bei dem vielen Sex, bei dem vielen jüdischen und nur wenigem deutschen Leben, bei dem hohen Biller-Pop-Tempo in „Biografie“. Aber wie sieht das die zweite Generation der Holocaust-Überlebenden, auf die dieser Roman abzielt, aus der seine beiden Hauptfiguren stammen? Oder noch viel interessanter: die Generation, die dieser nachfolgt?

Denn so wie Biller seinen Philip Roth und seinen Saul Bellow gelesen und verinnerlicht hat (und seine Figuren einen Namen wie Portnoy selbstverständlich im Mund und sonstwo führen), wie er denen nacheifert, nicht zuletzt in der Fixiertheit seiner Figuren auf die Psychoanalyse (ohne Therapien, ohne Freud, ohne Couch geht hier gar nichts), hat „Biografie“ auch was ganz schön Altmodisches: siebziger Jahre revisited. Da nützt alles Tempo und aller moderner, trotzdem immer noch sehr maßvoller Porno nichts. Gut möglich, dass junge Deutsche und junge Israelis da schon viel weiter und viel entspannter sind, als der 1960 geborene Biller so glaubt.

„Was wäre, wenn ich, Soli Karubiner, die reine Hand der schmutzigen Germanskis, öffentlich gestehen würde, dass ich in der Elstar-Sauna ziemlich übel an mir herumgespielt habe – aus Einsamkeit, aus Entwurzelung und wegen der bösen, bösen Emigration?“, fragt einmal der „alleswissende, nichtsverstehende“ Karubiner. „Würde ich danach endlich von ihnen als der verwundete, verwundende, undeportierbare Autor von ’Post aus dem Holocaust’ erkannt werden? Würden sie meine Offenheit lieben?“ Die Offenheit von Maxim Biller jedenfalls, seine deutsch-jüdischen Obsessionen harren noch einem großen Liebesentgegenkommen der bösen, vielleicht auch bloß gleichgültigen „Germanskis“ – sein Roman „Biografie“ aber ragt raus aus dem Allerlei der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur der letzten und wohl auch der kommenden Jahre heraus. Der ist ein Solitär.

Maxim Biller: Biografie. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 896 Seiten, 29, 99 €.

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