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Zu groß für Kleine-Finger-Übungen. Stefanie Reinsperger (li.) und Annika Meier sind am BE Max und Moritz.

© david baltzer / bildbuehne.de

"Max und Moritz" am BE: Regressiv und toller

Verkasperung: Antú Romero Nunes inszeniert am BE „Max und Moritz“.

Den Schneider Böck erwischt es eigentlich schon am härtesten. Jedenfalls gemessen daran, wie unnett die „bösen Buben“ Max und Moritz in Wilhelm Buschs Bildergeschichte einen ganzen Steg ansägen, damit er ins Wasser fällt. Im Berliner Ensemble begnügen sich die Jungs damit, dem verhuschten Schneiderlein eine kleine Wasserdusche angedeihen zu lassen. Aber immerhin so, dass es anschließend von seiner Gattin trockengebügelt werden muss: Eine Plättungsmaßnahme, die für den Handwerker (Tilo Nest) vor allem deshalb so demütigend ist, weil seine ausdrücklich matronenhaft auftrumpfende Gattin (Sascha Nathan) sich dabei als übergriffiger Telefonjunkie betätigt. Frau Böck plaudert ihre rheinisch gefärbten Interna gleich an mehreren Kommunikationsgeräten aus, das dafür eigentlich nicht vorgesehene Bügeleisen, nun ja, inklusive. An der Strippe, unter anderem: Schwester Bolte, die aufgeregt berichtet, dass ihr gerade der komplette Hühnerhof hingemeuchelt und anschließend auch noch aus der Bratpfanne geangelt worden war.

Gesprochen wird in einer Art Trickfilm-Fantasie-Gebrabbel

Ja: Es ist eine bewusste und offensive Verkasperung, die der Regisseur Antú Romero Nunes der „Bubengeschichte in sieben Streichen“ von Wilhelm Busch aus dem Jahr 1865 angedeihen lässt. Mit Extra-XXL-Sympathiepunkten für die Titelhelden, die hier statt fieser Streiche eher eine Art Infantile-Jungs-Regressionsparty abfeiern. Und die von so dominant-verknöcherten Pädagogen wie dem Lehrer Lämpel (Constanze Becker) einfach derart genervt werden mit doofen Schulkonzert- und Flötenspiel-Auflagen, dass sie gar nicht anders können als sich neckisch zur Wehr zu setzen.

Mit Stefanie Reinsperger als Max und Annika Meier als Moritz treten zwei absolute Hochkaräterinnen ihres Fachs in den Titelrollen auf – und zunächst zum einführenden Penis-Vergleich an: Wer hat den längeren Unterarm? Und wer kann ihn zielgerichteter aus dem Kostüm schnellen lassen? Im Prinzip also, leider, nur Kleine-Finger-Übungen für derartige Schauspielkünstlerinnen; und verbaler Klärungsbedarf herrscht logischerweise nicht. Gesprochen wird in einer Art Trickfilm-Fantasie-Gebrabbel, aus dem sich bisweilen vereinzelte Vokabeln wie „MeToo“ oder „Marie Kondo“ herausschälen: Alles, was die Leute heute halt so umtreibt; vom Gender-Diskurs bis zur globalen Aufräumikone.

Das Publikum teilt sich in zwei unversöhnliche Humorlager

Apropos Leute: Die interessanteste Performance ereignet sich an diesem Abend eigentlich im Parkett. Es gibt jedenfalls wenige Theateraufführungen, die das Publikum in zwei derart unversöhnliche Humorlager spalten wie diese Koproduktion des BE mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, die nur wenige Tage nach der dortigen Premiere in Berlin angekommen ist. Ganz gleich, ob das Bügeleisen klingelt oder mal wieder jemand mit dem Akkuschrauber an die Rampe tritt: Die Nachbarin wirft sich mit ihrem kompletten Körpergewicht abendfüllend hin und her vor Lachkrämpfen. Hier wird, von wegen Bohrmaschine, nämlich auch am Framing gearbeitet. Immer wieder frieren die Schauspielerinnen und Schauspieler in Victorias Behrs ausdrücklich am Original geschulten Kostümen zu Stillleben aus der Buchvorlage ein – in einem riesigen Holzbilderrahmen, der ständig nachjustiert wird. Dabei löst Frau Bolte (Sascha Nathan) gern den Handy-„Klick“ aus – und verursacht bei der Nachbarin den nächsten Lachkrampf.

Der Nachbar hingegen kann schon angesichts der frühen Hühnerhofchoreografie keinen Mundwinkel verziehen. In deren relativ ausdauerndem Verlauf treten die Ensemblemitglieder in lebensgroßen Federviehkostümen auf, um einander zu begackern, aufzuscheuchen und immer wieder aus dem Einzugsbereich des Alpha-Hahnes zu flüchten, bevor sie alle getötet werden. Die Zuschauerfraktion mit den Lachschwierigkeiten wartet irgendwie auf eine Pointe, die aber bei dieser Humorvariante scheinbar gar nicht vorgesehen ist. Bis zum bitteren Ende, als aus der Kleine-Jungs-Geschichte fast eine Tragödie wird und Max und Moritz den Rampentod sterben.

nächste Vorstellungen am 26. Mai, sowie am 1. und 2. Juni

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