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Prunkstück: "Das gelbschwarze Trikot" (1910) von Max Pechstein.

© Brücke-Museum/Dauerleihgabe von Privat

Max Pechstein im Brücke-Museum: "Mir kommt es vor, als sei ich sehend geworden"

Ein genauer Beobachter: Die Ausstellung "Pionier der Moderne" im Brücke-Museum widmet sich Max Pechstein.

Er war der geübteste, eleganteste, vielleicht auch anpassungsfähigste Künstler der „Brücke“-Gruppe. Während die Gründer Erich Heckel, Fritz Bleyl, Ernst-Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff Architektur studiert hatten, war Max Pechstein zum Studium an die Kunstakademie Dresden aufgebrochen. Erich Heckel erkannte sofort die Geistesverwandtschaft mit ihm, als er das Deckengemälde mit „brennend roten Tulpen“ bei der Internationalen Raumkunstausstellung sah. 1906, ein Jahr nach Gründung der „Brücke“, trat Max Pechstein bei.

Die große Ausstellung „Max Pechstein – Pionier der Moderne“ im Brücke-Museum zeigt eher Pechsteins eigenen Weg als die gemeinsame Handschrift. Vor allem die Arbeiten auf Papier stellen die Unterschiede heraus. Da ist zum einen Pechsteins Humor. Fast wie eine Karikatur wirkt der Linolschnitt „Die neue Kappe“ von 1906. Eine Bäuerin in Kittelschürze wendet sich dem Betrachter zu. Auf dem Kopf eine Fellmütze, in der Bewegung fliegen die Ohrenklappen. Zwei gebogene Striche genügen, um den Holzclogs Gewicht zu verleihen.

„Unmittelbar und unverfälscht“: Mehr noch als das berühmte Motto der „Brücke“ beeinflusst die Malerei von Vincent van Gogh Pechsteins Arbeiten. Die Skizzen von der Italienreise 1907 wirken noch pflichtbewusst. In Paris aber ändert sich der Stil. Bei den Lastkähnen, die auf der Seine schaukeln, beben die Planken, die Luft flirrt, die Bäume zittern. „Mir kommt es vor, als sei ich sehend geworden“, schreibt Pechstein an einen Freund. Die spannungsgeladenen Tuschzeichnungen vermitteln die Aufregung dieses ersten Sehens. Nach Paris werden Boote Pechsteins Lieblingsmotive.

Erst-Ludwig Kirchner porträtiert er als kapriziösen Zeitgenossen mit spitzem Kinn

Er ist ein genauer Beobachter. Seine „Brücke“-Kollegen porträtiert er mitfühlend, aber scharfäugig: Erich Heckel als Melancholiker, Karl Schmidt-Rottluff mit dem Blick eines Studienrats und Ernst-Ludwig Kirchner als kapriziösen Zeitgenossen mit schmalen Augen und spitzem Kinn. Überraschend, dass der gewiefte Zeichner bei den gemeinsamen „Viertelstundenakten“ an den Moritzburger Teichen ins Stocken gerät. Die Körper wirken befangen, die Bewegungen kantig, immer wieder muss er verbessern. Im zentralen Gemälde der Ausstellung, dem „Gelbschwarzen Trikot“ von 1910, befreit er sich vom Gruppendruck mit Humor. Hinter dem großen Mädchen im bienenfarbenen Badeanzug hüpfen fünf nackte Lausbuben durchs Gras.

Seit 1909 wohnt Pechstein in Berlin. Zwei Jahre später kommt Kirchner aus Dresden nach und mietet Wohnung und Atelier im selben Haus, in der Durlacher Straße 14. Die beiden gründen das MUIM-Institut, das „Modernen Unterricht in Malerei“ verspricht. Allerdings machen nur zwei Studenten von dem Angebot Gebrauch, das Institut schließt schnell wieder. Immerhin reicht die Zeit, Anton von Werner, den Berliner Akademiedirektor zu provozieren. Der findet die von Kirchner gestaltete Anzeige schamlos. Auch die Berliner Secession rümpft die Nase über die Expressionisten. Als eines seiner Bilder bei der Sommerausstellung abgelehnt wird, gründet Pechstein mit anderen Zurückgewiesenen die Neue Secession. Das Plakat zur ersten Ausstellung in der Rankestraße 1 zeigt Pechsteins Frau Lotte als nackte Südseeschönheit mit Pfeil und Bogen.

In den Zeichnungen von Fischern und Badenden ist Pechstein ganz bei sich

Den eigentlichen Höhepunkt der Ausstellung bilden die Skizzen von der Reise auf die Palau-Inseln 1914. In den Zeichnungen von den Fischern und Badenden ist der Künstler ganz bei sich. Die arabische Schute, die Auslegerboote, das Kanu wirken leicht wie Luftspiegelungen. Wegen des Ersten Weltkrieges müssen Max und Lotte Pechstein jedoch den Aufenthalt vorzeitig abbrechen. Ein Großteil der Bilder geht im Chaos der überstürzten Rückreise verloren. Ausgerechnet das Konvolut, in dem sich die Quintessenz von Pechsteins Werk bündelt, existiert nicht mehr.

Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg malt Pechstein wieder und wieder die Erinnerungen an Palau, wie um das verlorene Paradies zu beschwören. Aber: „Es war ein dicker Strich, den der Schützengraben durch mein Leben gezogen hat“, schreibt er in einem Brief. Ein Selbstporträt von 1917 zeigt die Veränderungen, die zerfurchte Stirn, die zweifelnden Augen. Humor, Leichtigkeit, Begeisterung sind dahin.

Noch einmal schließt sich Max Pechstein einer Künstlervereinigung an, der Novembergruppe, die sich 1918 in Berlin gründet. Doch die Arbeiten aus den zwanziger Jahren wirken unsicher, angestrengt, bemüht. Bei einer Italienreise beobachtet er Steinträger, Männer, die sich unter der schweren Last krümmen, Nachfahren von Sisyphos. Die Sommer verbringt der Künstler in Leba an der Ostseeküste. Hier verkriecht er sich auch vor den Nazis, als seine Kunst als entartet diffamiert wird. 1943 wird sein Atelier von Bomben zerstört, noch einmal verliert er Teile seines Werkes.

Im Spätwerk, den Stillleben und Sonnenblumen, kehrt Pechstein zu seinem frühen Vorbild van Gogh zurück. Bereits 1945 wird er zum Professor an die Berliner Hochschule der Künste berufen. Die Heftigkeit des Aufbruchs hat sich beruhigt, der Ansporn durch die Gruppe, auch die Konkurrenz fehlen. Pechsteins Malerei übt sich meditativ in der Wiederholung des Vertrauten. Und wirkt dabei ganz zufrieden.

Max Pechstein – Pionier der Moderne bis 13.3. Brücke-Museum, Bussardsteig 9, 14195 Berlin. Tgl. außer Di 11–17 Uhr

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