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Max Beckmanns Triptychon „Schauspieler“ aus den Jahren 1941/42 befindet sich heute im Besitz der Harvard Art Museums.

© President and Fellows of Harvard College / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Max Beckmann im Museum Barberini: In den Kulissen spielt das Leben

„Welttheater“: Das Potsdamer Museum Barberini zeigt einen bedeutenden Ausschnitt aus dem Werk des großen Kulissenschiebers Max Beckmann.

„All the world’s a stage“, beginnt der Melancholiker Jacques seinen Monolog in Shakespeares „Wie es euch gefällt“ – „Die ganze Welt ist Bühne, und alle Fraun und Männer bloße Spieler./Sie treten auf und gehen wieder ab,/...“, wie es in der berühmten Schlegelschen Übersetzung heißt. Die Bühnenmetapher war also schon betagt – und bestens eingeführt –, als Max Beckmann (1884 – 1950) seine Bilder zu den Themen Bühne, Zirkus, Auftritt, zu Wahrheit und Verstellung malte. Er selbst hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er die Welt als Theater sieht und sich selbst als Rollenspieler. Und so liegt es nahe, dass das Potsdamer Museum Barberini seine an diesem Donnerstag eröffnende Beckmann-Ausstellung mit „Welttheater“ überschreibt.

Der 1884 in Leipzig geborene und 1950 am Rande des New Yorker Central Park an Herzinfarkt verstorbene Künstler hat genügend Bilder hinterlassen, um die Potsdamer Ausstellung fast zu einer vollgültigen Retrospektive zu machen. Denn zeitlebens begeisterte sich der Maler für Aufgeführtes und Vorgestelltes, weniger augenscheinlich für das eigentliche Theater als für Varieté, Cabaret, Zirkus und Tingeltangel, gern auch für das Abseitige und Halbseidene. Eines der Hauptwerke der Ausstellung, der „Apachentanz“ von 1938, hat denn auch den aus dem Rotlichtmileu hervorgegangenen Modetanz zum Gegenstand, an dem sich die Pariser Gesellschaft delektierte.

Natürlich hat Beckmann unendlich viel mehr gemalt als im weitesten Sinne die Bühne, er hat eindringliche Portraits gemalt, Stillleben und zauberhafte Landschaften, im Laufe seines turbulenten Lebens mehr und mehr mythologische und allegorische Szenen, die einer nicht abreißenden Buchproduktion willkommene Gegenstände der Interpretation und Spekulation liefern. Aber er hat eben in seinen Theaterszenen immer auch zugleich anderes gemalt, hat ihm nahestehende Menschen porträtiert, hat Blumen, Gläser, Requisiten eingebaut, hat oft Haupt- und Nebenbühnen simultan dargestellt.

Das berühmte "Schauspieler"-Triptychon kommt aus den USA

So wie in einem weiteren Spitzenwerk der Ausstellung, dem „Schauspieler“-Triptychon von 1941/42, das – Respekt, Respekt! – aus dem Kunstmuseum der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge ausgeliehen werden konnte. Seit seinem Untertauchen in Berlin nach der Nazi-Machtergreifung wagte sich Beckmann an die anspruchsvolle Form des Dreiflügelbildes, das er insgesamt neun Mal vollenden konnte; ein zehntes stand angefangen in seinem New Yorker Atelier, als er vom Spaziergang kurz nach Weihnachten 1950 nicht mehr zurückkehrte. Just tags zuvor hatte er sein Triptychon „Argonauten“ vollendet – auch das nun in Potsdam zu sehen, ausgeliehen von der National Gallery in Washington, der es die Witwe Mathilde „Quappi“ Beckmann zum Dank für die Aufnahme des Paares in den USA zum Geschenk machte.

„Vollendet“ – mit diesem Wort muss man bei Beckmann vorsichtig sein, der die Bilder – seine Tagebücher zeugen davon – wieder und wieder zu verändern pflegte, der ganz im Gegensatz zum Eindruck des genialisch hingehauenen Pinselstrichs auf das Sorgfältigste erwog, wie Farben und Formen zu setzen waren. Und immer wieder greift der Maler ältere Motive auf und bringt sie in neue Zusammenhänge. So bei den „Schauspielern“ die geliebten Strelitzien, diese großblütigen Blumen, oder der Hotelboy im Hintergrund, der bei Beckmann die irdische Gestalt des Götterboten Hermes ist, und natürlich die schöne junge Frau mit dem Spiegel als Vanitas-Symbol. Musikinstrumente spielen seit jeher eine große Rolle, so bereits in den frühesten Werken der Ausstellung, etwa dem düster-melancholischen „Familienbild“ von 1920, einer zur Guckkastenbühne verengten Dachkammer, wie sie Beckmann in Frankfurt, wohin er nach den schrecklichen Erlebnissen des Ersten Weltkriegs regelrecht geflohen war, mit Verwandten teilte. Da hält Beckmann, Verband um den Kopf, Zigarette im Mundwinkel, ein Horn; und Blasinstrumente, diese archaischen Künder oder gar Verursacher des Unheils, besetzen immer wieder dominante Stellen seiner Kompositionen.

Selbstbildnis aus dem Jahr 1930 (Ausschnitt).
Selbstbildnis aus dem Jahr 1930 (Ausschnitt).

© Lars Lohrisch /VG Bild-Kunst, 2018

1938 beteiligte sich Beckmann an der Londoner Protestausstellung deutscher Kunst. Sein junger Freund und Förderer, Stephan Lackner, Emigrant wie der Maler selbst, verfasst aus diesem Anlass den Aufsatz „Das Welttheater des Malers Beckmann“, und damit war für alle Zeit der Blickwinkel bestimmt, unter dem Beckmanns Kunst gesehen wurde und wird. Beckmann, schreibt Lackner, sei „Verfasser des Dramas, sein eigener Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber, mischt sich bisweilen auch selbst in wechselnder Kostümierung unter die Schauspieler.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, und alle Beckmann-Literatur hat sich seither auf diesen Essay gestürzt und gestützt. Besonders treffend ist der Begriff „Kulissenschieber“, denn was Beckmann im tiefsten Innersten mit dem Theater verbindet, ist das Improvisierte und darum auch Durchschaubare mehr der Schaubuden als der -bühnen.

Das hochkulturelle Theater hat demgegenüber bei Beckmann wenig Spuren hinterlassen. Das Porträt Heinrich Georges, aus der Berliner Nationalgalerie wohlbekannt, ist die direkteste Folge. Den Maler mag die titanische Natur des Schauspielers beeindruckt haben, und er selbst inszenierte sich gern als Machtmensch, der die Welt in ihrem Innersten durchschaut.

In New York malte Max Beckmann unter grellem Neonlicht

Dazu musste auch er erst reifen, und von diesem künstlerischen Reifeprozess legen die rund 80 Leihgaben der Ausstellung Zeugnis ab. Allerdings ist die Potsdamer Auswahl nicht chronologisch aufgebaut, sondern thematisch geordnet, nach insgesamt sieben Bereichen, die sich freilich überlappen und wohl eher den Räumlichkeiten im Palais Barberini geschuldet sind. Denn genauso gut könnte man alle gezeigten Werke in einer einzigen Halle versammeln, etwa der auf Jahre geschlossenen Neuen Nationalgalerie.

Interessant ist der Hinweis, den Mayen Beckmann, die Enkelin des Malers, bei der Vorbesichtigung gab. Max Beckmann habe in New York unter grellem Neonlicht gemalt, das bis dahin in Europa noch unbekannt war; die Farben des letzten Triptychons, der „Argonauten“, die auf den diesmal schwarzgrünen Wänden des Barberini sehr gedämpft daherkommen, hätten viel kräftiger geleuchtet.

Das ist bei einem so entschiedenen Koloristen, wie es Beckmann war – auch im Idealwettstreit mit den großen Pariser Künstlern seiner Zeit, Picasso und Matisse – ein wichtiger Hinweis. Überhaupt lohnt es – so fern die empfindlichen Warnanlagen in Potsdam nicht gleich anschlagen –, die Gemälde aus der Nähe zu betrachten, den schichtenartigen Aufbau der Farben, ihr Leuchten oder auch ihre Stumpfheit, ganz wie Beckmann, dieser Theaterdirektor der Kunst, es wollte.

Potsdam, Museum Barberini, bis 10. Juni. Katalog bei Prestel, im Museum 29,95 € – Umfangreiches Rahmenprogramm, mehr unter www.museum-barberini.com

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