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Mauritshuis Den Haag feiert Hans Holbein: Der Pinsel des Humanisten

Bitte recht freundlich: Das Mauritshuis in Den Haag feiert den Staatskünstler und Porträtmaler Hans Holbein den Jüngeren

Der Blick ist niedergeschlagen, die Augen sind fast geschlossen. Der Mund ein schmaler Strich, doch in den Augenwinkeln erkennt man Lachfalten. Die Kleidung dunkel, doch mit kostbarem Pelzbesatz. Und das Licht freundlich, ein warmes, mildes Abendlicht. Es ist das Licht des Rationalismus, das Hans Holbein der Jüngere in seinem Porträt des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam leuchten lässt. In freundlicher Menschlichkeit sind der Denker und sein Porträtist innig verbunden.

Unweit von dessen Geburtsort Rotterdam, im kunsthistorischen Schatzkästlein der Niederlande, dem barocken Mauritshuis in Den Haag, ist derzeit eine außergewöhnliche Holbein-Ausstellung zu sehen. Rund 20 Gemälde und 15 Zeichnungen des deutschen Renaissance-Porträtisten haben den Weg nach Den Haag gefunden (allein das Mauritshuis besitzt zwei Holbein-Porträts): Angesichts des schmalen Œuvres dieses Malers ist das eine kunsthistorische Sensation.

Wenn auch eine stille. Denn marktschreierisch, sensationell ist wenig am Werk Holbeins des Jüngeren. Spektakulär allerdings war die Zeit, in die der Augsburger Malerssohn 1497/98 hineingeboren wurde: In Deutschland beginnt die Reformation mit Bildersturm und Kirchenstreit, die anglikanische Kirche wird gegründet und Heinrich der VIII. führt ein bewegtes Leben bei Hofe. Doch obwohl Hans Holbein viele der damaligen Mächtigen porträtierte, wie etwa Heinrich samt dessen Ehefrauen und Ehekandidatinnen, die Würdenträger am englischen Königshof und die humanistischen Leitfiguren, blieb er ein bescheidener Maler. Ein Chronist, ein Meister des genauen Blicks, der so vollständig hinter sein Werk zurücktreten konnte, dass Zeitgenossen ihm den Vorwurf des Opportunismus machten.

Die Rassel als Szepter

Wahr ist: Holbein hat sie alle gemalt. Den englischen Humanisten Thomas Morus in der Blütezeit seiner Macht als Lordkanzler, und dann, nachdem Morus am Königshof in Ungnade gefallen war, auch die Ehefrau von dessen Nachfolger Thomas Audley. Jane Seymour, die dritte Ehefrau Heinrichs VIII. und Anna von Kleve, ihre kurzzeitige Nachfolgerin. William Fitzwilliam, einen Jugendfreund Heinrichs VIII. und ziemlichen Haudegen, und den skrupellosen Höfling Richard Southwell, der in mehrere Mordkomplotte verwickelt war. Und eine unbekannte Frau in holländischer Tracht sowie deutsche Kaufleute aus dem Stahlhof, der Londoner Hanse-Vertretung, den Falkner des Königs und den deutschen Reformer Philipp Melanchthon.

Es sind freundliche Bilder. Ein wenig scheinen sie alle zu frieren, diese blassen nördlichen Gestalten in ihren kostbaren Pelzen und Baretten. Das Motto „In als gedoldig“ (In allem geduldig), das sich der Kaufmann Cyriacus Kale auf sein Porträt malen ließ, könnte für sie alle gelten. Keiner der Porträtierten wird denunziert oder karikiert. Holbeins stupende malerische Genauigkeit erstreckt sich bis auf Adern, Bartstoppeln, Runzeln und Narben. Er malt Staatsporträts, als seien es Miniaturen, mit einer unerschöpflichen Detailgenauigkeit, die ihn zu einem würdigen Nachfolger Jan van Eycks macht. Doch vom neuen Selbstbewusstsein der Renaissance und des Humanismus, die den Menschen, den Künstler in den Mittelpunkt stellte, ist Hans Holbein noch weit entfernt. Er ist Auftragsmaler, Hofmaler, weniger Künstler als Handwerker. Aber was für einer.

Und doch gelang es ihm, ohne dass er es darauf angelegt hätte, Charakter und Charakterschwächen seiner Modelle einzufangen. Da ist der milde Ernst, die kontemplative Intelligenz, mit der ein Erasmus ans Werk ging. Oder die Strenge eines Philipp Melanchthon. Jane Seymours zusammengekniffene Lippen verraten einiges über das harte Leben dieser ehemaligen Hofdame, die ihrer Herrin Anna Boleyn in der Gunst des Königs nachfolgte. Ihren Sohn Edward porträtiert Holbein – in einem der Glanzstücke der Ausstellung – als fünfzehnmonatiges rosiges Baby. Und doch ist er schon der künftige Herrscher: Die Rassel ist das Szepter, die rechte Hand grüßend gehoben. John Chambers, den Hausarzt des Königs, malt er dagegen voller Weisheit, aber auch Müdigkeit des Alters. Es war eines von Holbeins letzten Porträts, bevor er 1543 wahrscheinlich an den Folgen der Pest starb.

Das alles kennt man. Holbeins wenige Bilder – vieles fiel den Wirren der Reformation zum Opfer – gehören zum Inventar humanistischer Bildung, haben unser Bild des 16. Jahrhunderts geprägt. Weniger bekannt und hier schön nachzuvollziehen ist der Entstehungsprozess der Porträts. Da die Queen von England aus ihrer Sammlung etwa 15 Vorzeichnungen nach Den Haag verliehen hat, ergibt sich die seltene Gelegenheit, Vorzeichnung und Original Seite an Seite zu vergleichen.

Die Sitzungen mit dem Modell konnten fünf Stunden dauern. Holbein arbeitete also schon in der Vorzeichnung sehr exakt, um sich bei der Ausführung geradezu pedantisch an den Entwurf zu halten. Nutzte er zunächst kleine Nadelstiche, um die Vorzeichnung auf die Holztafel zu übertragen – die schöne Kreidezeichnung von Thomas Morus von 1527 lässt die durchstochenen Konturen deutlich erkennen –, übertrug er die Zeichnung später mit Hilfe eines zwischengelegten Pauspapiers. Die scharfen Konturen der Porträts von William Reskimer oder Richard Southwell künden davon. Und die starke Linearität der Bilder begünstigte das Verfahren.

Die Augen ein wenig gelblich

Wo jedoch Bildaufbau und -gegenstand identisch scheinen, liegt der Witz in den Nuancen. Nicht nur, dass Holbein etwa beim Porträt des englischen Edlen Simon George oder in der Darmstädter Madonna Haar- und Barttracht nachträglich veränderte: Die Vorzeichnungen wirken auch insgesamt spontaner, lockerer, atmen noch den Geist der persönlichen Begegnung während der Porträtsitzungen, der über der peniblen Ausführung der Porträts später verloren ging. Sie zeigen einen Holbein, der locker am Rand Bemerkungen wie „Damast“, „Atlas“ oder „Die Augen sind ein wenig gelblich“ anbringt und aus dessen flotter Straffur von links oben nach rechts unten man schließen will, dass der Maler Linkshänder war. 60 Holbein-Zeichnungen, die nach seinem Tod im Atelier in London gefunden wurden, besitzt die Queen: Sie einmal alle zu zeigen, wäre eine Holbein-Entdeckung erster Güte.

Aber auch so gibt es in Den Haag Entdeckungen zuhauf. Die „Darmstädter Madonna“, die in den letzten Wochen durch die Schlagzeilen ging, weil ihre Eigentümer, die Grafen von Hessen-Darmstadt, sie ins Frankfurter Städel verlagern möchten, war lange Jahre im Darmstädter Schlossmuseum fast vergessen. Nun erlebt das Votiv-Werk für den Baseler Kaufmann Jakob Meyer zum Hasen, das Anfang der 1870er Jahre Anlass zum so genannten „Holbeinstreit“ gab – Dresden und Darmstadt stritten um die Zuschreibung von Original und Kopie – eine Renaissance. Auch das frisch gereinigte Bild des königlichen Falkners Robert Cheseman ist nicht mehr wiederzuerkennen. Der für Holbein typische blaue Hintergrund samt Goldschrift ist wiederhergestellt, das prachtvolle Gefieder des von Cheseman zärtlich getreichelten Falken glänzt schöner denn je. Ein ehemals Holbein zugeschriebenes Bild einer jungen Frau von 1520 ist hingegen in die Ausstellung nicht mehr aufgenommen und hängt im Treppenhaus. Um die Zuschreibung einiger Werke werden Fachleute bei diesem so bruchstückhaft überlieferten Malerleben noch lange streiten. So umfassend, so prachtvoll bekommt man sein Werk jedoch wohl so schnell nicht wieder zu sehen.

Mauritshuis Den Haag, bis 16. November, täglich 10 bis 17 Uhr, Katalog 25 Euro.

Christina Tilmann

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