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Der gebremste Attentäter. Maurice Bavaud hatte mehrmals Pech. Sonst wäre die Weltgeschichte vermutlich anders verlaufen.

© mauritius images / Historic Coll

Maurice Bavaud scheiterte mit Hitler-Attentat: Erinnerung an einen Mutigen

Maurice Bavaud wollte die Welt von Adolf Hitler befreien. Doch das geplante Attentat scheiterte an einer Serie von Zufällen. Er starb vor achtzig Jahren in Plötzensee unter dem Fallbeil.

Die Welt erinnert sich zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl an den Mut der Wenigen, die der nationalsozialistischen Verbrechensherrschaft unter Einsatz ihres Lebens widerstanden. Zu ihnen zählt auch ein Schweizer Theologiestudent, der am 9. November 1938 Hitler vor der Münchner Feldherrnhalle zu erschießen versuchte und vor achtzig Jahren am 14. Mai 1941 in Plötzensee hingerichtet wurde.

Er hieß Maurice Bavaud, wurde 1916 in Neuenburg geboren. Sein Vater war Postangestellter. Maurice wollte Missionar in Afrika werden. Sein Name ist heute völlig vergessen, auch wenn Rolf Hochhuth und Niklas Meienberg über ihn geschrieben haben. Bavaud hatte in der Schweiz heimlich den Plan gefasst, die Welt von Hitler zu befreien, und zu diesem Zweck im Oktober 1938 in Basel eine Pistole samt Munition erworben, um anschließend mit dem Zug nach Berlin zu reisen. Als er erfuhr, dass Hitler am 9. November in München den Gedenkmarsch zum 15. Jahrestag des Hitler-Ludendorff-Putsches anführen würde, reiste auch Bavaud nach München. Ihm gelang es, einen Platz in der ersten Reihe einer Ehrentribüne auf der Marschroute zu ergattern.

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Doch sein Plan, bei Hitlers Vorbeimarsch die in der Manteltasche verborgene Waffe zu zücken, scheiterte an einem banalen Umstand: Hitler passierte die Stelle an der katholischen Heilig-Geist-Kirche, vor der die Tribüne errichtet war, auf der gegenüberliegenden Straßenseite statt in der Fahrbahnmitte, und die ausgestreckten Arme der Heil-Hitler-Rufer nahmen dem jungen Schweizer die Sicht. Daraufhin ließ Bavaud von seinem Plan ab, den Diktator auf offener Straße zu erschießen, und verließ München.

Die Frage, warum dieses verhinderte Attentat heute vollständig in Vergessenheit geraten ist und gar nicht mit dem Datum des 9. November in Verbindung gebracht wird, erklärt sich aus den Anforderungen des Jubiläumskultes: Bavauds Attentat fehlt die gegenständliche Erzählbarkeit, weil es bei der Absicht blieb, und es fehlt ihm an der narrativen Eindeutigkeit, die das Gedenkjubiläum braucht.

Reise zum Obersalzberg

Schon die Umstände von Bavauds Enttarnung bieten ein trostloses Schauspiel tragischer Zufälligkeit. Von seinem Fehlschlag nicht entmutigt, war er von München aus in der Hoffnung nach Oberbayern gereist, Hitler etwa auf dessen Berghof bei Berchtesgaden vor die Pistole zu bekommen. Erst als auch seine dilettantischen Bemühungen, in Hitlers private Umgebung vorzudringen, schon im Ansatz scheiterten, gab er endgültig auf. Da auch seine bescheidenen finanziellen Mittel mittlerweile erschöpft waren, bestieg Bavaud ohne Fahrkarte den Schnellzug nach Paris und wurde prompt in Augsburg von der Bahnpolizei aus dem Zug geholt.

Den Schweizer Schwarzfahrer, der sich obendrein in unbegreiflichem Leichtsinn nicht einmal seines Revolvers entledigt hatte, verurteilte das örtliche Amtsgericht zu einer zweimonatigen Haftstrafe wegen Fahrkartenbetrugs und unbefugten Waffentragens.

In das Visier der nationalsozialistischen Verfolgungsmaschinerie geriet Bavaud allerdings erst anschließend, als nämlich die Gestapo auf den Häftling aufmerksam wurde, der neben einer Pistole auch noch ein gefälschtes Empfehlungsschreiben für Hitler und eine Umgebungskarte von Berchtesgaden mit sich führte. An seiner Verurteilung und Hinrichtung wiederum trug die Schweiz nicht unerhebliche Mitverantwortung. Sie verweigerte ihrem Staatsbürger Schutz und Anwalt und nach der Verurteilung in den letzten siebzehn Monaten seines Lebens auch jeden Beistand und Besuch in der Berliner Gefängniszelle.

Kein Protest aus der Schweiz

Die Schweizer Bundespolizei hatte auf Ersuchen der deutschen Behörden selbst gegen Bavaud ermittelt und ließ den NS-Staat durch ihren Botschafter Hans Frölicher auch wissen, dass sie gegen das verhängte Todesurteil keinen Protest erheben würde. Am 14. Mai 1941 wurde Maurice Bavaud in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.

Der einzige Aufrechte in diesem Justizmord war der Pflichtverteidiger Dr. Franz Wallau, ein Nazi, der sich zur Überraschung des Gerichts vehement für seinen Mandanten ins Zeug legte und seine Forderung, ihn freizulassen, mit der eigenen Überstellung in ein KZ zu bezahlen hatte. Und derjenige, der dieses Attentat vielleicht am dauerhaftesten im Blick behielt, war der nationalsozialistische Diktatur selbst. Wenige wenige Wochen nach der Maurice Bavauds Hinrichtung ließ er die weitere Aufführung von Schillers Freiheitsdrama „Wilhelm Tell“ und dessen Behandlung in der Schule vorübergehen untersagen, um der Figur des mutigen Schweizer Tyrannenmörders keine weitere Bühne zu geben.

Martin Sabrow leitet das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Martin Sabrow

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