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Jubilar mit Gemüse. Bruno Ganz als Altkader Wilhelm Powileit.

© X-Filme

Matti Geschonnecks „In Zeiten des abnehmenden Lichts“: Würstchen-Dämmerung

Keine Ostalgie: Matti Geschonneck verfilmt Eugen Ruges Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ über die Geschichte einer Familie und eines Landes.

Also, wenn sie im Sozialismus was hatten, dann hatten sie Würstchen. Gleich mehrere der zu Wilhelm Powileits 90. Geburtstag aufgefahrenen Kalten Platten sind damit gefüllt. Und beim Versuch der Urenkels Markus, sich ein Würstchen zu angeln, kracht mit lautem Geschepper der Ausziehtisch zusammen. Der Nagel, den der greise Patriarch mit dem routinierten Schlag eines einstigen Arbeiters der Faust beim Aufbau des als „Nazi-Tisch“ verfemten Möbels ins Holz getrieben hat, konnte das Zusammensacken offensichtlich nicht verhindern. Die zur Gratulationscour angerückten Parteihonoratioren schauen betreten. Ganz klar: An diesem Schicksalswürstchen zerbricht nicht nur ein Buffet, sondern ein ganzes System. Es ist Herbst, die Zeit des abnehmenden Lichts, der 1. Oktober des Jahres 1989 in Ost-Berlin.

Da wo Eugen Ruges rund um den Geburtstag herum montierte Romanvorlage fragmentarisch satte 50 Jahre durchmisst, nutzen Regisseur Matti Geschonneck und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase den Geburtstag als Brennglas, in dem sich die Geschichte einer Familie und eines Landes konzentriert. Das ist ein dramaturgisch konsequenter Kniff, der den leisen Humor von Ruges 2011 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten, bereits für die Theaterbühne adaptierten Bestsellers deutlich verstärkt. Darüber gehen allerdings auch differenzierte Figurenzeichnungen flöten, was etwa zulasten der Charakterisierung des republikflüchtigen Enkels Sascha (Alexander Fehling) geht.

Diszipliniert unterdrückte Aggression

Den mitsamt der Villa einst aus dem Besitz eines NS-Parteibonzen in den des SED-Funktionärs Powileit übergegangenen Tisch hat sonst immer Sascha an Opas Ehrentag zusammengebaut. Doch diesmal entschuldigt er sich morgens telefonisch bei Vater Kurt, einem Geschichtsprofessor. Er hat in den Westen rübergemacht! Mutter Irina (Evgenia Dodina) ist dem wegen einer Nichtigkeit zehn Jahre im sowjetischen Gulag internierten Kurt nach dessen Freilassung in die DDR gefolgt. Saschas Flucht trifft sie ebenso hart wie Großmutter Charlotte Powileit. Acht Jahre hat die als Frau eines Kommunisten und Nazi-Gegners in Mexiko im Exil ausgeharrt, und nun hauen die undankbaren jungen Leute einfach aus ihrem besseren Deutschland ab!

Den Kalten Ehekrieg, der zwischen ihr und Wilhelm läuft, haben die Jahre immer bitterer gemacht. Nicht mal mehr die gemeinsame politische Überzeugung, sondern nur noch die Form ist es, die sie bei dem zusehends verwirrten, aber ungebrochen selbstverliebten alten Grantler hält. Über diese zwiespältigen, von Hildegard Schmahl in höchst diszipliniert unterdrückter Aggression verkörperten Gefühle kann auch das bräutlich reine Weiß von Charlottes Festtagskleid nicht hinwegtäuschen.

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„Bring das Gemüse auf den Friedhof!“ Diesen jovialen Schlachtruf schmettert Wilhelm Powileit jedem Blumen bewehrten Gratulanten entgegen, wohl wissend, dass sich der Sensenmann auch vom frisch an seine Brust gehefteten Goldenen Stern der Völkerfreundschaft nicht verjagen lassen wird. Dass Matti Geschonneck ihn mit dem verschmitzt agierenden Bruno Ganz besetzt hat, verschafft dem bornierten und im deutlich kühler temperierten, DDR-kritischeren Roman eigentlich nur an der eigenen Denkmalspflege interessierten Gerontokraten Sympathie- und Melancholiepunkte.

Überhaupt lebt „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von der sorgfältigen Besetzung, zu der Gabriela Maria Schmeide, Thorsten Merten und Angela Winkler gehören. Überragend auch Sylvester Groth als von Zweifeln geplagter Opportunist und ewiger Frauenfreund Kurt Umnitzer.

Jedes Detail im Dekor stimmt

Dass sich Matti Geschonneck, der der DDR nach der Biermann-Ausbürgerung 1978 den Rücken zukehrte, bestens auf historische Aromen versteht, hat er jüngst im Fernsehen mit „Das Zeugenhaus“ und zuletzt im Kino mit der Tragikomödie „Boxhagener Platz“ bewiesen. Letzteres war ein von Originalen überbordender Heimatfilm, dessen kuscheliges Alt-Berlin-Sepia bisweilen hart an der Ostalgie vorbeischrammte.

In diese Gemütlichkeitsfalle tappt Szenenbildner Bernd Lepel, der bereits Geschonnecks Nürnberger-Prozesse-Kammerspiel „Zeugenhaus“ ausgestattet hat, nicht. Hier stimmt bis zum Abnutzungsgrad von Läufern und Tapeten jedes Detail im Dekor. In der von Kameramann Hannes Hubach weidlich in Szene gesetzten dunklen Holzvertäfelung der Powileit-Villa wohnt die Stagnation soignierter Bürgerlichkeit, die jetzt die der abgewirtschafteten Kader ist. Und in Charlottes „kleinem Mexiko“, ihrem mit tropischen Gewächsen bestückten Wintergarten, blüht die Tragik einer Generation, die den richtigen Kampf für das falsche System gekämpft hat und ihren Irrtum nicht einsehen kann und will.

Dafür bestraft sie die Ironie des Schicksals prompt mit dem Besuch einer Abordnung des Molkereikombinats Wiesengrund. „Wir wollen dem Briekäse in Brandenburg eine zweite Heimat geben“, beteuern die mit einem Präsentkorb angerückten Geburtstagsgratulanten, als sie untertänigst vor dem Jubilar stehen. „Das Ziel ist Ostkäse, der wie Westkäse schmeckt.“ So gaga kann es klingen, wenn Epochen untergehen.

In elf Berliner Kinos

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