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"Mittelreich" stellt eine Inszenierung von 2015 nach – mit schwarzen statt mit weißen Darstellerinnen und Darstellern.

© J. Buss

Matthias Lilienthal beim Theatertreffen: Kopieren und rebellieren

Die Münchner Kammerspiele zeigen die Inszenierungen „Mittelreich“ und „Trommeln in der Nacht“. Eine Begegnung mit Intendant Matthias Lilienthal, der die Stadt verlassen wird.

Die Maximilianstraße ist an diesem Frühlingssamstag Kampfgebiet. Polizeieinheiten drängen Demonstranten des schwarzen Blocks in Seitenstraßen ab, das Hotel Vier Jahreszeiten hat einen Ferrari vorsichtshalber unters Vordach geparkt, Boutiquenverkäuferinnen lugen neugierig aus ihren Glastüren, eine Fraktion der Jusos skandiert: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“. Und da kommen sie auch schon, die Menschen mit den Deutschlandfahnen und den vielen Sorgen. Lutz Bachmann und seine Dresdner Pegida-Anhänger sind auf PR-Tournee für den neuen Nationalismus, Station München.

An der Fassade der Kammerspiele, die ja bekanntlich auch an der Nobelmeile beheimatet sind, hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Die Ärzte kommen! Wir helfen euch!“ Es ist Teil einer Aktion, die von den Initiativen Bellevue di Monaco und München ist bunt! organisiert wurde und Heilmittel gegen grassierende Xenophobie verspricht: „Wir lindern die historische Demenz und kurieren dumpfe Gefühle“. Promis wie der Kabarettist Alfred Dorfer oder der Ex-Fußballer Mehmet Scholl unterstützen sie. Und natürlich Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele.

Der sitzt ein paar Stunden nach den Tumulten in der Kantine seines Hauses und sagt auf die Frage, wie viel konkrete politische Einmischung ein Theater eigentlich leisten solle: „Wir veranstalten Welcome- Cafés für Geflüchtete, wir haben ein Open-Border-Ensemble gegründet, ich organisiere Demos mit – das ist meine Art von Kunstverständnis.“ Stichwort OpenBorder- oder Exil-Ensembles: „Das Land braucht tausend davon und nicht die Diskussion darüber, ob sie notwendig sind.“

Öffentlich äußert er sich bis heute nicht zu seinem Abgang

Ja, so kennt man Lilienthal. Und eigentlich müsste der Mann hier in seinem Element sein. Eine im Herzen konservative Stadt, die ihm Reibungsflächen bietet. Eine Theaterszene, die mit neuen Impulsen nicht grade verwöhnt wird. Und jetzt sind die Kammerspiele gleich zweifach zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Mit einer „Mittelreich“-Adaption von Anta Helena Recke und mit Christopher Rüpings Brecht-Beleuchtung „Trommeln in der Nacht“. Nominierungen aus Qualitätsgründen und nicht Stützung seiner in München umstrittenen Arbeit, davon ist Lilienthal überzeugt: „Ich glaube keine Sekunde, dass eine Theatertreffen-Jury quotenpolitische Spiele treibt.“

Zwei Tage nach der Begegnung, an einem tristen Montag, geben die Kammerspiele bekannt, dass der Intendant seinen bis 2020 laufenden Vertrag nicht verlängern will – weil die CSU-Fraktion sich gegen ihn gestellt hat. Okay, Widerstände und Querelen begleiten seine Münchner Zeit. Lilienthal hatte Teile der Presse von Beginn an gegen sich, prominente Ensemblemitglieder – darunter Brigitte Hobmeier und jüngst auch Thomas Schmauser – haben gekündigt, die Auslastung lag in der Saison 2016/17 lediglich bei 63 Prozent. Aber deswegen einknicken vor den Gamsbart-Patrioten, die nicht mal das Sagen haben in der Stadt? Hatte Lilienthal nicht vor Kurzem noch auf die typisch bajuwarische Publikumsbewegung vertraut – erst mögen sie einen nicht, dann wollen sie einen nicht mehr gehen lassen?

Öffentlich äußert er sich bis heute nicht zu seinem angekündigten Abgang. Er sagt, das habe er von seinem Freund Frank Castorf gelernt, der sich ja zu seiner Nichtverlängerung an der Volksbühne auch beharrlich ausschwieg. Aber natürlich sind die Anwürfe und Turbulenzen schon Thema während des Gesprächs in der Kantine. Die Bitte, Halbzeitbilanz zu ziehen, schlägt Lilienthal aus. Er sagt nur: „Ich finde, dass wir in der vergangenen Saison ein super Programm hingekriegt haben, darauf bin ich stolz, und in vielen Fragen sind wir auch auf die Fresse gefallen. Diese Mischung aus großen Erfolgen und schiefgegangenen Experimenten gefällt mir erst mal gut.“

Zu viel Performance, zu wenig klassisches Schauspiel?

Und auf die Frage, ob er in München letztlich einem kulturellen Missverständnis erlegen sei, ob er sein Programm zu sehr aus dem Hallraum von Kreuzberg und Neukölln mit ihren freien und subkulturellen Szenen heraus entwickelt hat, statt Schwabing und das Glockenbachviertel mitzudenken, entgegnet er: „Wir haben uns doch extrem auf die Stadt eingelassen.“ Stefan Puchers Feuchtwanger-Adaption „Wartesaal“, die Adaptionen von Bierbichlers „Mittelreich“, die Inszenierungen von Nicolas Stemann – alles „extreme Gegenentwürfe zum Programm am HAU“. Und dann fügt er noch an: „Ich weiß ja gar nicht, wann ich was richtig oder falsch mache. Ich war an der Volksbühne und am HAU nicht so gut, wie alle dachten – und ich bin in München bei Weitem nicht so schlecht, wie viele denken.“

Zu viel Performance, zu wenig klassisches Schauspiel – das ist einer der Hauptvorwürfe, die Lilienthal gemacht werden. Mit „Mittelreich“ und „Trommeln in den Nacht“ sind ausgerechnet zwei radikal formstrenge konzeptionelle Setzungen beim Theatertreffen zu Gast.

Die junge afrodeutsche Regisseurin Anta Helena Recke nimmt sich die musikalische „Mittelreich“-Inszenierung von Anna-Sophie Mahler an den Kammerspielen vor – und kopiert sie bis auf die Geste genau. Nur eben durchweg mit schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt, mit Moses Leo, Jerry Hoffmann, Ernest Allan Hausmann, Isabelle Redfern, Victor Asamoah und Yosemeh Adjei. Appropiation art also. Die Ausstellung eines Kunstwerks mit anderer Signatur, was natürlich den Blick verändert auf diesen urbayerischen Stoff und Diskussionen anstößt über Heimatbegriffe, über Zugänge in den deutschen Kunstbetrieben – oder darüber, wie schwarz die Ensemblemitglieder denn nun wirklich sind. So geschehen in München.

Ein bisschen Bunt steht der Republik gut zu Gesicht

Christopher Rüping wiederum nimmt sich mit Brechts „Trommeln in der Nacht“ ein Stück vor, das anno 1922 seine Premiere an den Kammerspielen feierte. Von der Uraufführung ist wenig überliefert, aber der Regisseur behauptet ziemlich smart das Reenactment in Originalkulissen – und hebt von diesem Theatermuseum in eine immer freiere Pop-Oper mit Revoluzzer-Pathos zur Musik von Damian Rebgetz ab. Brechts Herz-gegen-Politik-Stück, das vor dem Hintergrund des Spartakusaufstandes in Berlin spielt, wird dabei mit zwei verschiedenen Enden angeboten: mit der Entscheidung für die Liebe oder für die Revolution.

Ganz nebenbei: Dass Wiebke Puls für ihre Leistung bei Rüping mit dem 3sat-Preis des Theatertreffens ausgezeichnet wird, darf man durchaus als Beleg dafür nehmen, dass Schauspieler an den Kammerspielen eben nicht nur willfährige Performance-Marionetten sind.

„Das Experiment fängt gerade erst an.“ Das ist ein berühmter Satz von Matthias Lilienthal, gesprochen (auch im Trotz) auf einer Diskussionsveranstaltung in den Kammerspielen und „bis zum heutigen Tage mein Selbstverständnis“, wie er betont. Zwei Spielzeiten lang ist das Experimentierfeld noch die teuerste Meile der Republik, der ein bisschen Bunt, eben nicht in Gestalt von Deutschlandfahnen, gut zu Gesicht steht. Und dann?

„Nach der Volksbühne und nach dem HAU hat es jeweils zwei Jahre gedauert, bis neue Pläne da waren“, sagt Lilienthal.

„Trommeln in der Nacht“: 10./11.5., 19.30 Uhr, Deutsches Theater. „Mittelreich“: 17./18.5., 19.30 Uhr, Deutsches Theater

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