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Lederjacke ist Pflicht. Dieter Birr alias Maschine.

©  Ben Wolf

Maschine: Wenn ein Mensch lebt

Puhdys-Frontmann Dieter „Maschine“ Birr bringt zu seinem 70. Geburstag ein Solo-Album und eine Biografie heraus.

Echt jetzt? Maschine heißt gar nicht Maschine, sondern Adriano Celentano? Sagt jedenfalls Mario Janello, Kellner in Schöneiche, beim Stammitaliener von Dieter Birr. Da erscheint der Puhdys-Frontmann seit 13 Jahren mit Ehefrau Sylvie und Freunden allwöchentlich und bestellt am liebsten Scaloppa Limone und ein eisgekühltes Bier. Ein Volksheld weiß, was sich gehört: gibt willig Autogramme, lässt sich Adriano heißen, ist „ein ganz lieber Kerl“, wie der Kellner bezeugt.

Die Episode ist nur eine der knuffigen Enthüllungen von und über Dieter Birr, die die Galionsfigur des ostdeutschen Rocks in seiner Autobiografie „Maschine“ rauslässt. Gemeinsam mit seinem genauso betitelten Solo-Album erscheint sie zum heutigen 70. Geburtstag des Sängers und Gitarristen. Dass der für ihn eher ein Grund zu einer Multimediaoffensive statt zu stiller Einkehr ist, zeigt er auch mit dem in einer Woche folgenden Record-Release-Konzert in der Kulturbrauerei, wo Maschine samt Gästen wie Wolfgang Niedecken, Julia Neigel und Toni Krahl auf der Bühne steht.

Die drei gehören ebenso wie Dirk Michaelsen und Silly- Gitarrist Uwe Hassbecker zu der Musikertruppe, die Dieter Birr auf dem zweiten Solo-Album („Intim“ war 1986 das erste) seiner rund fünf Jahrzehnte umfassenden Karriere um sich schart. Die durch das kürzlich für 2015 angekündigte Ende der Puhdys gebeutelten Fans werden aufatmen: Bis auf drei neue stammen alle Songs aus dem 250 Titel umfassenden Liederstock, den Dieter Birr in seinen 45 Jahren mit dieser Band komponiert hat.

Aber wie sich das für eine Werkschau nach 22 Millionen verkauften Tonträgern und über 4000 gespielten Konzerten gehört, hat Maschine sein Material entkernt und frisch arrangiert. Rockergestus raus, akustischer Folkgestus rein, samt Schellenring und Maultrommel. Und Old Maschine singt tiefer und rauer als sonst. Allerdings nicht so rau wie Rockröhre Jule Neigel, mit der er die schöne Ballade „Regen“ von 2005 anstimmt. Und nicht so rau wie BAP-Frontmann Niedecken, mit dem er zwei Altherren-Duette singt.

Maschine - der ewige Fan

„Leben ist kurz“ stammt vom 1989er Album „Neue Helden“. Die gemeinsam geschriebene neue Nummer „Was wussten wir denn schon“ erzählt eine Ost-West-Episode aus dem Jahr 1984, als BAP einen Auftritt im Palast der Republik platzen ließen, weil ihnen die FDJ dumm kam, und die Puhdys mit zitternden Knien für sie einsprangen. Innerhalb kürzester Zeit habe er den Text zusammengehabt, erzählt Niedecken in Birrs Buch: „Zufälligerweise – das ist fast magisch – genau an Keith Richards 70. Geburtstag!“ Wow, wenn das nichts heißt. Die Rolling Stones, Hausheilige von Niedecken wie von Birr, blicken freundlich auf die gesamtdeutschen Rockbrüder herab.

Acht- oder neunmal hat der passionierte Konzertgänger Maschine seine Lieblingsband live gesehen, erzählt er. Seine unstillbare musikalische Neugier und seine Begeisterung für andere Bands – von Deep Purple über Rammstein bis zu Arcade Fire – ist ein ausgesprochen sympathischer Zug: Birr, der Fan, der Musikfreak. In der gemeinsam mit Ostrock-Ritter und Maschine-Freund Wolfgang Martin, sonst Musikchef der RBB-Welle Antenne Brandenburg, verfassten Fanfibel steht so manche Branchen-Anekdote und nette Schnurre. Aufgepeppt mit Statements zu 70 Maschine-Songs, Stimmen von Familie und Weggefährten und Fotos.

Nicht chronologisch, sondern in vier Großkapitel unterteilte Erinnerungssplitter erzählt, geht es kreuz und quer durch Maschines Leben: Von der Berliner Jugendzeit des 1944 im pommerschen Köslin geborenen Kriegskindes zu seinem Job als Universalschleifer. Von der musikalischen Initiation des Rock ’n’ Rollers Ende der Fünfziger im Twistkeller Treptow bis zur Puhdys-Gründung 1969. Vom Staunen der Puhdys bei ihrem ersten New-York-Besuch 1980 bis zu ihren 20 Auftritten in Villingen-Schwenningen. Von Maschines Liebe zu Schäferhund Heiko zu seiner zweiten Ehe, den Kindern und Enkelinnen. Von Treptow bis Neuenhagen.

Bekenntnisse aus dem harten Rockmusikerleben fallen beim notorischen Lederjackenträger dagegen knapp aus. Sex? Null. Maschine ist seit 35 Jahren glücklich verheiratet. Drugs? Null. Drei Bier am Abend, mit Rauchen hat er vor zehn Jahren Schluss gemacht. Rock ’n’ Roll? Viel, aber ohne Skandale und Kriege. Er schildert ein paar Eifersüchteleien unter den führenden Rockbands der DDR, die sich inzwischen alle mächtig lieben, das war’s.

Nur über den ewigen Vorwurf, die Puhdys hätten sich vor den Karren der SED spannen lassen, seien gar eine „Staatsband“ gewesen, regt Birr sich auf. Sicher hätten die Puhdys in ihren unter dem Zensurdruck zur DDR-typischen Rätsellyrik verwobenen Texten auch politische Themen besungen. Aber eine politische Band wollten sie nie sein, „sondern einfach nur Musik machen“. Und, ja, „sicher ging man da Kompromisse ein“. Fertig. Dieter Birr lebt in seligem Frieden. Mit sich, seiner Gegenwart wie seiner Vergangenheit.

Grund dazu hat er: Sein „Früher“ ist längst das „Heute“ junger Musiker. „Wenn ein Mensch lebt“, der Puhdys-Hit aus dem Film „Die Legende von Paul und Paula“ findet sich auch auf Maschines Solo-Album. Dass jetzt einer wie Clueso den Song neu interpretiert, macht ihn schon stolz, sagt er. Das zeige ihm, dass ein bisschen was bleiben werde. Stimmt. Selbst von so einem gemütlichen Rockstar wie ihm.

Dieter Birr/Wolfgang Martin: Maschine, Neues Leben, 256 S., 19,99 €; Album: Maschine (Heart of Berlin); Konzert: Kulturbrauerei Kesselhaus, Di 25.3., 20.30 Uhr

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