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Shang-Chi (Simu Liu) weigert sich, das Vermächtnis seines Superhelden-Vaters anzutreten.

© Disney

Marvel-Film „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“: Ein Held mit Vaterkomplex

Der erste asiatische Superheld bekommt einen Film. Mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ hat Marvel seine Erfolgsformel gefunden.

Von Andreas Busche

Im Grunde sind Superhelden nichts anderes als große Kinder. Sie machen bahnbrechende Erfindungen, entwickeln übermenschliche Fähigkeiten, kämpfen in fremden Dimensionen, retten die Welt. Aber wenn sie ihren Vätern gegenüberstehen und den Erwartungsdruck des dominanten und stets etwas zu abwesenden Stammhalters spüren, regredieren sie wieder zu Söhnen und Töchtern.

Iron Man Tony Stark, Black Panther T’Challa, Black Widow Natasha Romanoff, die gerade ein ziemlich tolles Solo hinlegte, und Bruce Wayne verbindet eins: Sie alle haben daddy issues. Die Rettung der Menschheit liegt in den Händen ödipaler Psychowracks: Kein Wunder, dass die „Avengers“-Filme mit ihren ewigen Zankereien und Machtspielchen an Familientherapien erinnern.

Er kann singen, hat aber keine Superkräfte

Zum Marvel Cinematic Universe (MCU) ist nun am Anfang des vierten Zyklus ein weiterer Superheld mit Vaterkomplex dazugestoßen. Shaun (Simu Liu) hält zu seinem alten Herrn, einem tausend Jahre alten Superkriminellen, der dank zehn ominöser Armreifen über magische Kräfte verfügt, nach dem Tod der Mutter größtmöglichen Abstand.

Tagsüber parken er und seine beste Freundin Katy (Awkwafina) den Gästen eines Grandhotels in San Francisco die Luxuskarossen, nachts hängen sie in Karaokebars rum. „Hotel California“ ist ihre Spezialität, aber auch wenn der Song unverwüstlich ist, hat er – das werden sie noch schmerzlich erfahren – keine geheimen Superkräfte. Shaun und Katy sind also das komplette Gegenteil von dem, was leistungsorientierte „Tiger Dads“ von ihrem Nachwuchs erwarten: dass sie es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu etwas bringen.

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„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist der erste Marvel-Film mit überwiegend asiatischer und asiatischamerikanischer Besetzung – und überhaupt erst die zweite große HollywoodProduktion nach der Romantic Comedy „Crazy Rich Asians“. Disney knüpft damit an das Versprechen an, das „Black Panther“ einlöste. Der Film setzte kommerziell und popkulturell Maßstäbe, spätestens da war klar, dass die Superheldentruppe Avengers ein paar neue Gesichter braucht. Der „Blip“ am Ende von „Avengers: Infinity War“ war ein praktisches Tabula Rasa, um einige alte Helden in Rente zu schicken.

Shaun (Nom de guerre: Shang-Chi), dem der Stuntman Liu eine Jackie-Chan-hafte Quirligkeit verleiht, ist von einem anderen Kaliber als Iron Man oder Captain America: ein ausgebildeter Killer und Martial Artist mit einem Draht zu höheren Mächten der ostasiatischen Mythologie. Seine Mutter Jiang Li (Fala Chen) lebte in einem Zauberwald, seinen Vater entwaffnete sie einst in einem hinreißenden Wuxia-Balztanz. So elegant und graziös hat man zwei Menschen seit „A Chinese Ghost Story“ und „Tiger and Dragon“ nicht mehr um Herz und Leben kämpfen gesehen.

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Mit diesen Referenzen schraubt Regisseur Destin Daniel Cretton in seinem Blockbuster-Debüt die Erwartungen in schwindelerregende Höhen – in die sich auch seine Helden im schwerelosen Kampfballett aufschwingen. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ sieht, nicht nur wegen der Drachen im Showdown, anders aus als alle Marvel-Filme zuvor. Wobei die Ähnlichkeiten zwischen dem Waldreich La To und dem afrikanischen Zwergstaat Wakanda zumindest kurz irritieren.

Beide Filme sind Öko-Fantasien mit ödipalem Einschlag, sie handeln von Nachfolgeregelungen und Generationskonflikten. Shang-Chis Vater Wenwu (Tony Leung, Actionstar und romantischer Held aus dem Universum Wong Kar-Wais) will den Sohn und die von ihm verstoßene Tochter Xialing (Meng’er Zhang) rekrutieren, um seine große Liebe Jiang Li, ihre Mutter, die er noch am Leben wähnt, aus der Gefangenschaft in La To zu befreien.

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Das Problem von „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ war bisher eigentlich eine Stärke von Marvel: die Mischung aus unterschiedlichen Tonalitäten, Drama und CGI-Spektakel, intimen Momenten und Ensemble-Dynamik. Awkwafina ist für den comic relief zuständig, wenn sich die Geschichte in ihrer ganzheitlichen Philosophie zu ernst nimmt.

Am leichtesten ist der Film in den beiden großen Actionszenen: Einmal muss sich Shang-Chi in einem vollbesetztenen Bus, den Katy durch die Straßen von San Francisco zu manövrieren versucht, den Schergen des Vaters erwehren. Und beim Kampf auf dem Bambusgerüst eines Hochhauses in Macao.

Disney will es allen recht machen

„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ muss dabei nicht nur den vierten MCU-Zyklus in Schwung bringen, er ist auch eine origin story. Richtig bei sich wirkt der Film aber nur in der Action – und wenn Tony Leung, der tragischste aller Marvel-Schurken, der für seine Liebe unwissentlich die Menschheit aufs Spiel setzt, in den Melodram-Modus schaltet. Wenwu zündet am Schrein seiner Frau eine Räucherkerze an, während um ihn herum ein Gemetzel stattfindet.

Disney läuft an diesem Punkt Gefahr, dass das world building zum MarketingGag verkommt. Auch wenn sich die Ästhetik weiter diversifiziert, erscheint die Methode inzwischen wie eine Pflichtübung; zumal jeder Film noch ins Marvel-Universum integriert werden muss. So kriegt in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ selbst Ben Kingsleys Mandarin-Darsteller aus „Iron Man 3“ ein Cameo: Nicht weit hergeholt zwar, weil die zehn Ringe in den Comics die Waffen des Mandarin sind – aber unerheblich für die Story.

Disney will es nur allen recht machen, den Fans, dem gesellschaftlichen Fortschritt, dem Weltmarkt. Dabei hat sich das Studio in seinem Expansionskurs Richtung China zuletzt schon bei „Mulan“ verzettelt, als man mit Regionalregierungen kooperierte, die in den Genozid gegen die Uiguren verwickelt waren. Mit guten Absichten ist das halt so eine Sache: Manchmal dankt es einem niemand.

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