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Noch-Direktor. Martin Roth im Victoria & Albert Museum.

© V&A / Thierry Bal

Martin Roth über Europa: „Bitte Leute, sagt was!“

Der Direktor des Victoria & Albert Museums Martin Roth verlässt London im Zorn. Er warnt: Europas Zustand ist beunruhigend.

Die Aufregung, die um den angekündigten Rückzug Martin Roths als Direktor des Londoner Victoria & Albert Museums entstanden war, hat sich gelegt. Er selbst spricht unverdrossen auf Podien wie gerade in Berlin zum „Monat der Fotografie“, als ob nichts geschehen wäre. Seine beiden Mobiltelefone summen abwechselnd, er ist (über-)beschäftigt, wie man ihn seit Jahr und Tag kennt, vor 2011 zehn Jahre lang als Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und davor als Leiter des Ausstellungsprogramms der Expo 2000 in Hannover. Seine Berufslaufbahn begann 1989 in Berlin am Deutschen Historischen Museum, wo den promovierten Kulturhistoriker bald der Ruf auf den Chefposten des Dresdner Hygienemuseums erreichte.

Roth, gebürtiger Stuttgarter des Jahrgangs 1955, hatte Anfang September seinen Abschied vom V&A bekannt gegeben und mit einigen saftigen Interviewäußerungen flankiert. Er hätte die Dresdner Museen „nach den ersten Pegida-Demonstrationen einfach geschlossen“, sagte er dem „Spiegel“. Eine Empfehlung für einen weiteren, womöglich noch prominenteren Chefposten war das nicht.

Der Furor lodert weiter in ihm

Im Berliner Café sitzt er zum Gespräch entspannt vor Tee und Torte, aber der Furor des Septemberbeginns lodert weiter. Immer wieder kommt er auf Dresden zu sprechen, wo ihn das Foto schockiert hatte, das bei einer Demo einen Galgen zeigte, „reserviert für Merkel und Gabriel“. „Dresden hat nicht adäquat reagiert“, meint er jetzt, „die Politik hat’s gefördert. Ich wundere mich nicht, dass das passiert ist.“ In Großbritannien kam in diesem Frühsommer der „Brexit“-Volksentscheid hinzu. Immer wieder „Brexit“: „Da war so ein Punkt gekommen, zu sagen, jetzt reicht’s wirklich.“ Das Votum habe eine Welle von Fremdenfeindlichkeit zur Folge gehabt, selbst in seinem Museum seien ausländische Mitarbeiter verbal attackiert worden. Er sei sicher, dass der britische EU-Rückzug massive Budgetkürzungen für die Kultureinrichtungen des Landes zur Folge haben werde – und lobt den nunmehr gewesenen Schatzkanzler Osborne, der die Mittel für die Kultur stets hochgehalten habe. Das gewaltige Vorhaben des V&A, im Osten Londons, dem Entwicklungsgebiet mit und seit den Olympischen Spielen, eine Dependance zu errichten, sieht Roth infrage gestellt.

Und dann der Blick auf Europa, auf Ungarn, auf Polen! Frankreich vor Le Pen, Österreich – er habe zwar die „Hoffnung, dass das an uns vorübergehen“ werde. Doch überall in Europa sieht er „Gleichschaltung“. Und noch eins drauf: „Wenn ich lese, der Nationalsozialismus war gar nicht so schlecht, wenn nur nicht Judenverfolgung und Holocaust gewesen wären – und keiner steht auf und sagt, so geht’s nicht!“ Mit den Kollegen aus dem Kulturbetrieb geht Roth hart ins Gericht, gar nicht zu reden von jenen in der Kulturpolitik. Er wirft ihnen vor, die Ereignisse kommentarlos zu übergehen und sich in ihre Häuser zurückzuziehen: „Bitte, Leute, sagt was!“ Und setzt nach: „Dieses Schweigen macht mich fertig.“

Wer sich nicht zu Wort meldet, hat bald keines mehr

Das legt die Frage nahe, ob er, über sein künftiges Engagement als Präsident ehrenhalber des Instituts für Auslandsbeziehungen mit Sitz im heimatlichen Stuttgart hinaus, in die Politik gehen wolle. 2017 wird womöglich das Amt des Kulturstaatsministers neu besetzt. Roth wehrt ab, vehement wie bereits in besagten Interviews, und preist stattdessen Edwin Redslob als Vorbild, den „Reichskulturwart“ der Weimarer Republik und nach dem Krieg Mitbegründer von Tagesspiegel und Freier Universität: „Wer sich nicht zu Wort meldet, hat bald keines mehr – so hat das Redslob nicht gesagt, aber gemeint.“

Beim Nachfragen im Café kommt die Rede unweigerlich auf das Humboldt-Forum, aber da hält sich Roth bedeckt. Er merkt lediglich an, auch von Gründungsintendant Neil MacGregor, dem Ex-Chef des Britischen Museums in London, keine Äußerung zu den politischen Vorgängen vernommen zu haben: „Von ihm haben wir doch so viel erwartet.“

Das allerdings kann nachgeholt werden, denn am 7. Oktober stellt MacGregor seine Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ im Martin-Gropius-Bau vor. Da ist Martin Roth längst wieder unterwegs. Als Ruheständler kann man ihn sich nicht vorstellen. Auch wenn er versichert, nicht länger einer Institution wie dem V&A „mit 800 festen und 400 freien Mitarbeitern“ vorstehen zu wollen: „Man steht nur an der Kurbel und dreht.“ Die Kurbel, die zu drehen Roth noch reizen könnte, wird sich sicher finden.

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