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Obenauf. Das Londoner Victoria and Albert Museum warb Ende August 2016 mit einem Luftballon-Schwein über seinem Haupteingang für die anstehende Ausstellung zu Pink Floyd, der letzten, die Martin Roth dort noch auf den Weg gebracht hat.

© Peter Nicholls/REUTERS

Martin Roth Symposium in Berlin: Die Dinge zum Sprechen bringen

Was kann Kultur tun? Das Martin Roth Symposium in Berlin erinnert an den großen, 2017 verstorbenen Museumsmann.

„Martin Roth war ein bekennender Europäer und ein Weltbürger“, schrieb Frank-Walter Steinmeier in seinem Grußwort zum „Martin Roth Symposium“. Der heutige Bundespräsident hatte den erst Dresdener-, dann Londoner Museumsdirektor Roth über Jahre als Gesprächspartner in Sachen internationaler Kulturpolitik schätzen gelernt. Doch der legte Knall auf Fall Anfang September 2016 den erst 2011 übernommenen Chefposten beim Londoner Victoria & Albert Museum (V&A) nieder, aus Empörung über das Brexit-Votum der britischen Wähler. Stattdessen nahm Roth in seiner Heimatstadt Stuttgart das Ehrenamt des Präsidenten des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) an, bereits überschattet von der schweren Krankheit, der er allzu bald, am 6. August vergangenen Jahres, im Alter von 62 Jahren erlag.

Ein knappes Jahr später wurde dem Museumsmann jetzt in Berlin eine Tagung zu seinen Ehren ausgerichtet: das Martin Roth Symposium, organisiert vom ifa sowie der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes (AA), der Roth etliche Jahre als Berater gedient hat. Das zweitägige Symposium in der riesigen, leeren Halle des Kraftwerks Mitte in der Köpenicker Straße sollte eine Hommage im XXL-Format sein, vor allem aber die Gedanken und Probleme zur Sprache bringen, die Roths Arbeit gekennzeichnet hatten.

Eine Fülle internationaler Kulturgrößen fand sich im Kraftwerk ein, um in dichter Folge Beitrag auf Beitrag an ein ebenfalls internationales Auditorium zu richten, im Wechsel von Plenumssitzungen für die rund 300 Teilnehmer und parallelen Arbeitsgruppen, in denen einzelne Themen vertieft werden konnten.

Im Grunde ging es um ein einziges Thema: „What can culture do?“ So war das Symposium als Ganzes überschrieben. Nicht etwa, was Kultur „erreichen“ könne, sondern „tun“. Das war im Kern Roths Ansatz: Er hat sich immer als Macher verstanden, bereit zu handeln, wo andere noch lange Gremiensitzungen vorschützten, wenn überhaupt. Das gab ihm gerade im internationalen Geschäft ein edge, einen Vorsprung zeitlicher wie intellektueller Art.

So warf er seine Beziehungsnetze nach den asiatischen Großmächten China und Indien schon zu einer Zeit aus, da man hierzulande noch kaum einen Partner in diesen Ländern zu benennen wusste. Das war mit Risiko behaftet, aber zeigt eben auch den Mut zum Ungewohnten, den Roth hatte.

Martin Roth
Martin Roth

© Thierry Bal/V&A

Ein bisschen mehr Mut hätte man sich von dem Berliner Symposium, je mehr man an die Figur Martin Roth, den dezidierten homo politicus denkt, denn doch gewünscht. Anfangs gab’s ein paar generelle Themenanrisse, gut und schön, und nur durch den überraschenden Haken belebt, den der offenkundig unkaputtbare Michail Schwydkoj, derzeit Sondergesandter des russischen Präsidenten für internationale kulturelle Zusammenarbeit – was war der Mann nicht schon alles! –, schlug. Der ließ sein vorbereitetes Referat in der Jackentasche stecken, weil er, wie er erklärte, eine Stunde später ein Flugzeug besteigen müsse, und mogelte sich mit Höflichkeitsfloskeln durchaus elegant über das Sitzungsthema „Unvollendete Aufgaben im Bereich der Kultur“ hinweg. Man hätte doch gern etwas über den Umgang der russischen Regierung mit missliebigen Künstlern erfahren.

Da ging es beim Thema „Nationale Kulturschätze ohne Nationalismus“ schon anders zur Sache. Der streitbare Basler Kunsthistoriker Andreas Beyer nahm die gängige Annahme auseinander, es gebe in der Kunst „nationale Schulen“. Stets seien die einer Nation zugeschriebenen, charakteristischen Kunstleistungen ex post zu solchen ernannt worden, während sie zu ihrer Produktionszeit regelmäßig als dem Nationalcharakter zuwider verdammt worden waren; Beispiel französischer Impressionismus. Im späten 19. Jahrhundert hat man sich über Nationalcharaktere ausgelassen und sie in der Kunst dingfest machen wollen.

Roth hasste das Wort Reisediplomatie

Beyer wies auf den engen Zusammenhang der Hochphase des Nationalismus mit der Etablierung der Kunstgeschichte als Wissenschaft hin. Noch kürzer erledigte Museumsdirektor Serra Villalba aus Barcelona das Problem, in dem er kühl beschied, „Nation“ sei ein Konzept des 19. Jahrhunderts und „gänzlich tot“.

So gänzlich denn wohl doch nicht, blickt man auf den wachsenden Neo-Nationalismus in Europa; eine Entwicklung, der Roths große, ja größte Sorge galt. Aber was heißt Nationalismus in Kulturdingen? Zelfira Tregulowa, die Direktorin der Moskauer Trejakow-Galerie, lieh sich einen bekannten Buchtitel für ihre These von der „Russishness of russischen Art“, für die sie „Offenheit für Einflüsse von außen“ anführte. Das war ein Ansatz zu einer geografisch strukturierten Kunstgeschichte, den man nicht einfach als populistisch abtun kann.

Noch hellhöriger hätte das Auditorium werden müssen, als Tregulowa eine Ausstellung mit 42 Hauptwerken aus den vatikanischen Museen in ihrem Moskauer Haus erwähnte: Die habe einen Besucheransturm entfacht, weil sie verstanden wurde als Beweis für geistige Nähe von katholischer und orthodoxer Kirche. An dieser Stelle hätte man fragen können, wie es die Museen mit denjenigen halten, die eben nicht in den Elitendiskurs eingebunden sind, sondern eine „Stimme“ suchen – und womöglich in christlicher Kunst Bestätigung für eigene Glaubensgewissheiten finden.

Wayne Modest vom Tropenmuseum im holländischen Leiden hingegen blieb in jenem Mainstream, dem sich das aufgeklärte Tagungspublikum von vorneherein verpflichtet fühlte. Der gewandelte Umgang mit Objekten aus kolonialer Zeit zeigt sich im Bemühen, die vormals stummen Dinge zum Sprechen zu bringen – nicht zuletzt durch Partizipation der Museumsnutzer.

Die Expansion westlicher Museen wie Louvre oder Guggenheim wurde beim Symposium allgemein abgelehnt

Das „Narrativ“ will „neu“ erzählt werden, bis hin zu den Objektbeschriftungen, die am besten alle Aspekte berücksichtigen: Wer es schuf, unter welchen Umständen, wo und für wen, wann es für welche Summe ins Museum gelangte und so weiter – Bill Sherman und Charlotte Flood vom V&A hatten da detaillierte Vorstellungen. Nur wo das Objekt bleibt, das mancher Besucher weiterhin als Objekt und nicht als bloßen Anlass zu Narrativen betrachten will, das blieb eine der unbeantworteten Fragen im Tagungsabschnitt „Das Museum von innen nach außen wenden: Neue Zugänge und neue Besuchergruppen“.

Der sonnabendlichen Schlussteil zielte dann noch einmal ganz auf Roths Reisediplomatie – er hasste das Wort, aber das von ihm gepflegte „Brückenbauen“ meint im Ergebnis nichts anderes. Plötzlich Unruhe im Auditorium, als Ihre Exzellenz die Scheicha Al Mayassa aus dem katarischen Herrscherhaus der Thani den Saal betrat, umgeben von Begleitern und Bodyguards. Eilig scharten sich die Kunstdiplomaten aus AA und ifa um die kopftuchfreie Scheicha, die sodann in blendendem Englisch eine sehr persönliche Erinnerung an Martin Roth vortrug. Die allerdings hätte besser an den Anfang der Veranstaltung gehört. Dass Roth früh schon mit dem wohlhabenden Katar Projekte angestoßen hat, versteht sich.

Übrigens, die Expansion westlicher Museen wie Louvre oder Guggenheim wurde beim Symposium allgemein abgelehnt; was Tim Reeve, den Verwaltungschef des V&A, nicht davon abhielt, genau ein solches Projekt seines Hauses mit einem kommerziellen Partner in China vorzustellen und dabei vom „cultural capital“ zu sprechen, das gewinnbringend für das V&A als „international geschätzter Marke“ einzusetzen sei.

Zum Schluss dieser bemerkenswert gut (und vermutlich auch teuer) organisierten Tagung nannte AA-Kulturabteilungsleiter Andreas Görgen drei Ziele für seine Arbeit: erstens, eine neue Strategie für die Auswärtige Kulturpolitik zu finden; zweitens sei zu fragen, ob die deutschen Kultureinrichtungen den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts noch genügten; und drittens solle sich die Kulturpolitik der Zivilgesellschaft öffnen, deren Mitglieder nicht länger als „Kunden“ oder „Gäste“ behandelt, sondern als Mitakteure gewonnen werden sollen.

Dass das Symposium nicht einfach auseinanderlief, sondern mit einem gemeinsamen Dinner ausklang, hätte Martin Roth, dem geübten Netzwerker und Kommunikator, sicher bestens gefallen.

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