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Immer weiterbauen. Das ehemalige Augustinereremitenkloster in Wittenberg, das von 1508 bis 1546 das Wohnhaus Martin Luthers war.

© akg-images / Schütze / Rodemann

Martin Luthers Wohnhäuser: Was vom Lutherjahr baulich bleibt

In Mansfeld, Eisleben und Wittenberg wurden Martin Luthers Wohnhäuser restauriert und erweitert. Ein Buch berichtet über die Arbeiten.

Das Lutherjahr geht zu Ende. Was gedanklich von ihm bleibt, mögen Historiker und Theologen beurteilen. Was in jedem Fall bleibt, sind die baulichen Zeugnisse des Luther-Gedächtnisses. Das ist an die Stelle der Luther-Verehrung getreten, die im Preußen des späten 19. Jahrhunderts in voller Blüte stand. Die wechselvolle deutsche Geschichte brachte es mit sich, dass die originären Luther-Orte auf dem Boden der DDR lagen. Nach der Wiedervereinigung wurde es schon aus praktischen Gründen wie dem zunehmenden Tourismus notwendig, die Luther-Gedenkstätten zu modernisieren und zu erweitern. Mansfeld, Eisleben, Wittenberg sind die drei Orte, an denen originale Bauten an Luther erinnern.

Original? Das ist keines der Gebäude mehr, die von Luthers Leben Zeugnis geben. Sie sind im 19. und öfter noch im 20. Jahrhundert umgebaut und überformt worden. Die jüngsten Restaurierungen gingen umgekehrt den Weg, die erhaltene Substanz freizulegen und alle mit dem heutigen Besuch verbundenen Funktionen in An- oder Erweiterungsbauten unterzubringen, diese aber als Äußerungen unserer Zeit sichtbar zu machen.

Das ist in allen drei Städten auf eindrucksvolle Weise gelungen. Über die Erweiterungen berichtet jetzt das Buch „weiterbauen, weiterdenken. Neue Häuser für Martin Luther“. Kongenial zur Ansicht kommt die Architektur in den großartig-nüchternen Schwarz-Weiß-Fotografien von Tomasz Lewandowski.

Auch Luthers Sterbehaus ist nicht original

Luthers Geburtshaus in Eisleben ist selbst schon ein Nachbau: Das originale Haus brannte 1689 ab, doch sofort wurde mit einem Neubau begonnen. Er enthielt, was heute als eines der ersten bürgerlichen Personenmuseen bezeichnet werden darf: eine Gedenkstätte für Luther. Der Erweiterungsbau von 2007 durch den Berliner Architekten Jörg Springer nimmt die verwinkelte Stadtstruktur auf, schafft aber zugleich einen gruppentauglichen Eingang an der seitlichen Seminarstraße. An ihr liegt, ein Stück weiter, das Lutherarchiv, das nach dem Entwurf der Leipziger Architekten Atelier ST die Fassaden des ehemaligen Lehrerseminargebäudes von 1862 bewahrt, aber einen völlig neuen, für die Zwecke des Archivs geeigneten Innenbau schafft und dem schlichten Haus durch symmetrische Befensterung ein würdiges Aussehen verleiht. Die Straße selbst führt auf Luthers Taufkirche zu, die Petrikirche, die 1483 noch im Bau befindlich war und ihrerseits einen Zeitzeugen der beginnenden Reformation darstellt.

Auch Luthers Sterbehaus in Eisleben ist nicht original – obgleich das originale Haus bis heute existiert. Nur führte der zunehmende Lutherkult zur obrigkeitlichen Vernichtung der inzwischen als Reliquien behandelten Möbel im Jahr 1707. Das Haus geriet in Vergessenheit und wurde wenige Jahrzehnte später bereits mit einem anderen Haus verwechselt, das seither als Sterbehaus gilt und Ende des 19. Jahrhunderts historistisch ausgeschmückt wurde. In diesem Zustand ist es mit den anderen Luther-Gedenkstätten 1996 in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen worden.

Das Stuttgarter Büro Von M. hat bis 2013 einen aus mehreren Kuben gefügten Erweiterungsbau geschaffen, der zumal mit seinen Ziegelfassaden an den historischen Bau anschließt. Ebenfalls ziegelverkleidet ist das Melanchthonhaus in Wittenberg, dem bedeutendsten der Luther-Orte. Das historische Melanchthonhaus, ein nobler Bürgerbau von 1535, erhielt 2013 von Dietzsch und Weber aus Halle einen Anbau auf der benachbarten Straßenparzelle, die wiederum an das Unterrichtsgebäude des Fridericianums anschließt. Die hier gleichfalls gewählte Klinkerfassade sticht in Wittenberg allerdings bewusst vom vorherrschenden hellen Putz des historischen Stadtkerns ab.

Nüchterne Grundhaltung, Redaktion auf das Notwendige

Noch stärker eigenständig zeigt sich die bereits 2003 vorgenommene Einfügung eines Treppenhauses zwischen dem Wittenberger Lutherhaus und dem Augusteum, eine Betonkonstruktion von Pitz und Hoh Werkstatt für Architektur und Denkmalpflege aus Berlin. Auch hier galt es, bis dahin disparate Bauten zu einem Ensemble zusammenzubinden. 2015 kam noch ein Eingangsgebäude von BHBVT aus Berlin hinzu, das den nunmehrigen Lutherhof abschließt.

Nur Luthers Elternhaus im heute mehr als beschaulichen Städtchen Mansfeld fällt aus der Stillage „Bauen im Kontext“ bewusst heraus. Der 1885 neugestaltete Altbau kam erst 2007 in die Obhut der Stadt, was der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Anlass bot, ein Museumsgebäude auf der anderen Straßenseite zu errichten. Der Berliner Architekt Claus Anderhalten schuf einen brutalistisch anmutenden Bau in grauem Waschbeton, der in eine Baulücke einzupassen war und rückwärtig kubische Kanten zeigt – ein „raues und skulpturales Bild“, wie es im Buch heißt, „das dem Stadtbild Mansfelds in einem übertragenen Sinn zu entsprechen scheint“.

Das mag so sein; was eher zutrifft und für alle vorgestellten Bauten gilt, ist die nüchterne Grundhaltung, die Reduktion auf das Notwendige, der Ernst im Umgang mit der historischen Substanz. Darin mag man weit stärker eine protestantische Haltung erkennen. Wer sich heutzutage auf Luthers Lebensspuren begibt, wird nicht durch Opulenz betört. Er lernt, in der Selbstbescheidung geistige Fülle zu entdecken.

Matthias Noell (Hrsg.): weiterbauen, weiterdenken. Neue Häuser für Martin Luther. Mit Fotografien von Tomasz Lewandowski. Hirmer Verlag, München 2017. 144 S. m. 177 s/w-Abb., 39,90 €.

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