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Den Elementen ausgesetzt. Szene aus Ana Mendietas Super-8-Film „Creek“ von 1974.

© The Estate of Ana Mendieta Collection, Courtesy Galerie Lelong

Martin-Gropius-Bau: Aus Erde sind wir genommen

Wut als Triebkraft: Die Ausstellung „Covered in Time and History“ der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta im Gropius-Bau.

Im Mai 1973 drehte Ana Mendieta einen Super-8-Film aus einem parkenden Auto heraus - „Moffitt Building Piece“. Mit versteckter Kamera filmte die Künstlerin, wie Passanten auf ihr Werk auf dem Gehsteig reagierten: Mendieta hatte Tierblut und Fleisch auf dem Trottoir verteilt. An dieser Straßenecke in Iowa City könnte ein Mord passiert sein, doch die Blutlache wird kaum beachtet. Wenige bleiben einen Moment davor stehen, eine elegante Dame piekst kurz mit ihrem Regenschirm in die tiefrote Pfütze.

Sie habe früh begonnen, mit Blut zu arbeiten, sagte Ana Mendieta 1980 in einem Interview, „ich glaube, es hat etwas sehr Mächtiges und Magisches an sich. Ich empfinde es nicht als negative Kraft.“ In der großartigen Ausstellung mit Filmen der Künstlerin ist einer der Obergeschoss-Räume im Gropiusbau dem besonderen Saft gewidmet. Mendieta filmte sich in Großaufnahme, während ihr Blut auf den Mittelscheitel tropfte und am Gesicht herabrann („Sweating Blood“).

Sie schrieb mit Blut „There is a devil inside me“ auf ein weißes Scheunentor („Blood Sign“). Und sie färbte ihren nackten Körper von Kopf bis Fuß blutrot – der Super-8-Streifen „Blood Inside Outside“ wird in Berlin erstmals öffentlich gezeigt. Die insgesamt 23 Filme werden auf die Wände von sechs Themenräumen in Dauerschleife projiziert. Mendieta buddelt sich in archäologischen Ausgrabungsstätten ein. Oder sie malt ihre Körperumrisse - mit Blut oder Schwarzpulver, das sie dann in Brand setzt.

Mendieta stürzte 34 Stockwerke tief in den Tod

Die Künstlerin, 1948 auf Kuba geboren und 1985 unter ungeklärten Umständen in New York gestorben, zeichnete, fotografierte, schuf Skulpturen und Installationen. Vor allem aber fusionierte sie Land-Art und Performance, und dieses von ihr „earth-body work“ genannte Verfahren wäre ohne die Filme kaum überliefert. In einem mehrjährigen Prozess wurden die Materialien an der Universität von Minnesota hochauflösend digitalisiert. Nach mehreren Stationen in den USA ist ein repräsentativer Ausschnitt aus dem Werk, das über das Dokumentarische hinaus filmische Qualitäten besitzt, nun in Berlin zu sehen.

Es ist die erste von der neuen Gropius-Direktorin Stephanie Rosenthal verantwortete Schau. „Der Bezug zur Erde, aus der wir kommen und in die wir gehen“, so Rosenthal, sei Mendietas zeitlos gültiges Thema. Der Ausstellungstitel „Covered in Time and History“ geht auf die Künstlerin selbst zurück, die sich 1973 während ihrer ersten Performance auf eine aztekische Grabstätte legte und sich mit weißen Blumen zudecken ließ. „Es war, als würden sich Zeit und Geschichte über mich breiten“, sagte Mendieta später.

Howard Oransky, einer der amerikanischen Kuratoren der Schau, weist auf das Migrantenschicksal der Künstlerin hin. „Aus ihren Werken spricht der Wunsch nach Zugehörigkeit“, sagt Oransky in Berlin, und er betont: „Im Kontext heutiger Migrationsströme gewinnt ihre Kunst eine besondere Aktualität.“ Mendietas Vater, zunächst Unterstützer Fidel Castros, dann auf die Seite der Konterrevolutionäre wechselnd, schickt seine Töchter Raquelín und die zwölfjährige Ana in die USA – wo die Mädchen sicher sind, aber kein echtes Zuhause finden. Eindringlich drückt die Künstlerin im Film „Mirage“ (1974) ihren Trennungsschmerz aus. Die Performerin taucht in einem Spiegel auf, mit Babybauchattrappe, schneidet mit einem Messer hinein und reißt sich büschelweise Hühnerfedern heraus. Unbändige Wut sei ihre Triebkraft, gab Mendieta später zu Protokoll: „Wenn ich nicht die Kunst entdeckt hätte, wäre ich wohl kriminell geworden.“

Sie bediente sich bei spirituellen Traditionen

An der Universität von Iowa, wo sie ab 1967 studiert, entwickelt sie ihre Kunstpraxis, für die sie sich bei diversen spirituellen Traditionen bedient, um rituelle Elemente in die Kunst einzuführen. Überall taucht ihre „Silueta“ auf, der weibliche Umriss. Sie schüttete weiße Silhouetten aus Salpeter und Zucker auf die Erde, ließ die Kamera laufen und das Pulver zur schwarzen Umrisszeichnung verbrennen. In anderen Filmen leuchtet die „Silueta“-Gestalt als bengalisches Feuerwerk oder wird, aus Sand geformt, allmählich von Meereswellen verzehrt.

Das letzte – im U-Matic-Verfahren aufgezeichnete – Video (von insgesamt 104 existierenden Mendieta-Filmen) bezieht sich auf die synkretistische Santería-Religion auf Kuba. Gefilmt wurde „Óchun“ – ein Göttinnen-Name – 1981 als „Silhueta“ aus Sand am Ufer von Key Biscayne, Florida. Die Insel ist über das Meer mit Kuba verbunden. So wird Mendietas ephemeres Land-Art-Stück zur Allegorie für Exil und Rückkehr. Als sie Anfang der 80er endlich wieder in die Heimat reisen kann, meißelt sie ihre Umrisse in Form noch stärker abstrahierter Reliefs in den weichen Kalkstein eines Parks in Havanna.

Ihr blieben nur wenige Jahre. In der Nacht zum 9. September 1985 stürzte Mendieta aus ihrer Wohnung in Manhattan, 34 Stockwerke tief. Den Verdacht, sie gestoßen zu haben, wurde der Mann, den die Künstlerin im Winter zuvor geheiratet hatte, bis heute nicht los: Carl Andre, der weltberühmte Minimalist. 2016 würdigte der Hamburger Bahnhof den heute 82-Jährigen mit einer Retrospektive, nachdem US-Museen ihn lange Zeit mehr oder weniger ignoriert hatten. Allerdings war Andre 1988 – aus Mangel an Beweisen – vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden.

Blut war für sie magisch

Die Selbstmordthese der Verteidiger (man lese das investigative Buch „Naked by the Window. The Fatal Marriage of Carl Andre and Ana Mendieta“ von Robert Katz) steht indes auf wackligen Beinen. Jedenfalls: die Kunstszene New Yorks spaltete sich. Mit Ana Mendietas Tod wurde der tiefe Riss sichtbar – zwischen Feministinnen und Platzhirschen der Szene (die sich vielfach, wie Frank Stella, für Andre einsetzten), natürlich auch zwischen Weißen und Emigranten – eine Kluft, die in der heutigen US-Gesellschaft größer scheint denn je. Auch vor dem Hintergrund von #MeToo mutet es seltsam an, dass das jähe Ende der Künstlerin als magere Notiz am Schluss einer ansonsten detaillierten Zeittafel im Gropius-Bau steht.

Zurück zur Kunst: Ana Mendieta war mutig. Aber in manchen Filmbildern kann man auch ihre Angst entdecken. Eine farbige Frau filmt aus der Deckung, wie weiße Passanten an einer Blutlache vorbeiflanieren. Als könnte das kein Tatort sein. Für Mendieta war Blut magisch. Im „Moffitt Building Piece“ wirkt das Blut schrecklich. Widerspricht sich das? Nein. Große Kunst ist vielschichtig. Und Ana Mendieta war eine große Künstlerin.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 22. Juli, Mi-Mo 10-19 Uhr

Jens Hinrichsen

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