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Wie man sich selber begegnet. Mark Strand 2012 im italienischen L'Aquila.

© Moira Egan/http://blog.bestamericanpoetry.com

Mark Strand und seine Gedichte: Melancholie hinter Glas

Der amerikanische Dichter Mark Strand starb im November 2014 mit 80 Jahren. Zeitschriften und Websites pflegen sein Andenken munter weiter.

Von Gregor Dotzauer

Die Aufnahme zeigt ihn im Quartett mit Freunden. Mark Strand, links außen, hat den Arm um Joseph Brodsky gelegt, rechts außen umfasst wiederum Derek Walcott die Schulter von Adam Zagajewski. Eine amerikanisch-russisch-karibisch-polnische Lyriker-Internationale in Greenwich Village. Jill Krementz hat die vier 1986 vor Brodskys Haus in der Morton Street 44 fotografiert, ein Jahr vor dem Nobelpreis an Brodsky und sechs Jahre vor demjenigen an Walcott. Eine Erinnerung daran, in welcher Gesellschaft Strand zu Hause war. In den USA, wo er 1990/91 das Amt des Poet Laureate im Dienst der Library of Congress bekleidete, war er eine fast populäre Figur, wenn das für einen Lyriker wie ihn, der nur ein schwaches Bedürfnis nach öffentlicher Selbstdarstellung verspürte, nicht eine fragwürdige Bezeichnung wäre.

Als er im letzten November mit 80 Jahren starb, blieb dies hierzulande so gut wie unbemerkt. Tatsächlich liegt mit der Auswahl „Dunkler Hafen“ bei Suhrkamp nur ein einziger Gedichtband vor. Daneben haben es nur noch Strands Betrachtungen zu Gemälden von Edward Hopper ins Deutsche geschafft: Zeugnisse einer Geistesverwandtschaft, die Hopper sehr viel rätselhafter erscheinen lassen, als es die Poster-Massenware seiner berühmtesten Werke nahelegt. Für die anhaltende Kraft von Mark Strands Poesie steht allerdings die nicht abreißende Reihe von Würdigungen in den USA. So schmückt das Krementz-Foto eine Besprechung der „Collected Poems“ in der „New York Review of Books“ (9. Juli), die sich um sein Andenken besonders verdient gemacht hat.

Dan Chiasson arbeitet noch einmal heraus, wie gerne Strand sich in seinen Texten unsichtbar machte. „Strand hatte lange das Gefühl erkundet, irgendwie in seine Kunst verschwunden zu sein. Sie spiegelte ihm eine Version seiner selbst zurück, die sich fortlaufend gewandelt hatte. Die Gedichte halten ihren Autor auf Distanz, mit Gefühlen von Belustigung und Mitleid; seit jeher verdächtigten diese Gedichte ihren Autor, sich als misstrauisches Gespenst durch sie hindurch zu bewegen.“ Erst zwei Wochen zuvor hatte die „NYRB“ einen posthum aus den Notizbüchern transkribierten Text von Strand über die Hopper-Retrospektive im Whitney-Museum 2013 gebracht. „Die Fremdartigkeit der Gemälde hat zugenommen“, heißt es darin, „ihr merkwürdig unerotischer Charakter trotz der Häufigkeit nackter oder fast nackter Frauen in Schlafzimmern, ihre Suggestionskraft, ohne dass es für die Melancholie, die sie ausstrahlen, eindeutige Zeichen gibt, dass Melancholie tatsächlich inszeniert wird.“ Treffender könnte man auch die Spannung von kühler, barrierefreier Transparenz der Sprache und szenischer Undurchdringlichkeit in der Tiefe, die viele seiner Gedichte ausmacht, kaum beschreiben.

Typisch das Sichverfehlen in „My Life By Somebody Else“: „Ich habe getan, was ich konnte, aber du meidest mich. / Um dich zu locken, ließ ich eine Schüssel Milch auf dem Tisch stehen. / Nichts geschah. Ich ließ auch meine Brieftasche liegen, voller Geld. / Du musst mich dafür gehasst haben. Du kamst nie. // Ich saß nackt an der Schreibmaschine und hoffte, du würdest mich zu Boden / ringen. Ich spielte an mir herum, um mich zu erregen. / Langeweile trieb mich in den Schlaf. Ich bot dir meine Frau an. Ich setzte sie auf den Tisch und spreizte ihre Beine. Ich wartete. // (…) // Warum kommst du nie? Muss ich dich dadurch kriegen, dass ich / jemand anders bin? Muss ich Mein Leben von jemand anders schreiben lassen?“ Besondere Bewunderung für diese Art von hypnotischer Gewöhnlichkeit hatte Strands Freund und Kollege Charles Simic. Im „NYRB“-Blog erinnert er sich, wie oft die beiden über den Zusammenhang von Kochen, Essen und Poesie sprachen – die Nuance der einen winzigen Zutat.

Die Überraschung unter den posthum erschienenen Texten ist jedoch „Man Made Out of Words“, Strands letztes Interview mit Adam Fitzgerald, in zwei Teilen erschienen in der „Boston Review“. In seltener Offenheit gibt es Auskunft über die Strand selbst lange unbekannte Haftstrafe, die sein Vater wegen schweren Diebstahls verbüßte, bevor er ein bürgerliches Leben als Vertreter begann. Es spricht von seiner Erziehung als Dichter und der Prägung, die er zwischen den Polen von Wallace Stevens und Robert Frost erfuhr.

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