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© Berlinale

Maren Ade: Die Hölle, das sind wir selber

Mit der schmerzhaften Beziehungsstudie "Alle Anderen“ im Wettbewerb wird Maren Ade zur ersten ernsthaften Anwärterin auf den Goldenen Bären.

Warum darf man im Kino eigentlich nicht manchmal schreien – angesichts der von der Leinwand abstrahlenden negativen Energie, die es locker mit der Jahresleistung von zehn französischen Atomkraftwerken aufnehmen kann? Zum Beispiel „Verlass ihn doch endlich!“ rufen, „Du siehst doch, dass er dir nicht vertraut, dass er sich in seinem jämmerlichen Selbstmitleid zukapselt, dass er deine Näheversuche fortwährend beleidigend zurückweist!“ Oder auch: „Vergiss sie! Sie macht dich in aller Offenheit fertig, sie demütigt dich als Mann, gerade, wenn sie dich gegenüber Stärkeren verteidigt, und dann will sie auch noch Liebesschwüre!“ Oder gleich zu beiden: „Trennt euch endlich, seht ihr denn nicht, dass ihr nicht zusammenpasst?“

Wenn das so einfach wäre. Erstens geben wir Kinogänger uns – zumindest auf der Berlinale – gut erzogen und schweigen tapfer vor uns hin, und zweitens: Wieso sollen die beiden da oben überhaupt auseinandergehen, wo sie doch noch ziemlich frisch zusammen sind? Die PR-Frau bei Universal Music namens Gitti (Birgit Minichmayr) und der nach wie vor zu einigen Hoffnungen Anlass gebende Architekt Chris (Lars Eidinger) machen wohl zum ersten Mal Urlaub in der Nippeshölle von Ferienhaus seiner Eltern, und da ist immerhin ein großer Pool, das sind Berge und Strand, da kann man faulenzen und schwimmen und wandern und sich mal mit mehr Zeit als sonst in unseren so vielbeschäftigten Leben richtig kennenlernen!

Ein bisschen so fängt es auch an zwischen den beiden. Mit sonnigen Vormittagen, mit gemeinsamem Abhängen am Pool, mit neckischen Vor-Vorspiel-Spielchen, ich sage nur: die Ingwerknolle namens Schnappi! Nein wirklich, diese zwei da, die sich mal eben sagen können, „Ich find’ dich sexy“ und selber unverschämt sexy dabei aussehen, die sind noch lange nicht fertig miteinander. Diese Gitti, was für ein sinnenhaftes Sommersprossen-Gift von Frau. Und Chris, der seiner Gitti einen lasziven Männertanz vormacht im Wohnzimmer zum Trost dafür, dass er heute Abend nicht in die Disco will. Nein, diese zwei, die haben noch Lust aufeinander. Lust leider auch, sich zu quälen. Lust auf einen langen vorehelichen Krieg, dem unendliche Szenen ihrer Ehe folgen könnten.

Nur: Wohin mit der dummen Sehnsucht nach Liebe? Die ist, wo doch Unabhängigkeit das Größte ist in der zeitgemäß geschlechtsindifferenten Ellenbogenwelt, das Schwerste. Denn sie erfordert Anpassungsfähigkeit, die Bereitschaft zum Bekenntnis. Zweimal quittiert Chris Gittis Liebeserklärung mit einem Kuss, und sie sagt leise: „Nicht immer so antworten.“ Und einmal sagt er das Liebeswort nach dem Sex, aber dieser Sex und auch alles andere ist da vielleicht schon zu spät. Und wir Zuschauer brennen für den einen oder die andere oder für beide und schweigen.

Eine Dutzendgeschichte also. Alltag, ausnahmsweise auf Sardinien. Die Auszeit, in der eine Beziehung sich bewähren soll. Intimität und Irritation, Hunger aufeinander und Hass. Maren Ade inszeniert das in ihrem zweiten Spielfilm nach der grandiosen weiblichen Einsamkeitsstudie „Der Wald vor lauter Bäumen“ als Versuchsanordnung, der jede Künstlichkeit fehlt. Da sind zwei, die sich wie ohne Zeugen ausprobieren aneinander und zernutzen, von Anfang an.

Chris immerhin hat mit einer ersten konkreten Niederlage zu kämpfen: Sein Entwurf bei einem Architektenwettbewerb ist durchgefallen, erfährt er am Telefon, und er verschweigt’s Gitti. Er will kein Schwächling sein und ist vielleicht gerade deshalb einer. Dann trifft das Paar sein Gegenstück: Chris’ mittlerweile erfolgreichen Ex-Kommilitonen Hans (Hans-Jochen Wagner) und dessen Partnerin Sana (Nicole Marischka), eine gefragte Modeschöpferin, die es sich leisten kann, dem stets gönnerhaft auftretenden Hans den Vortritt zu lassen. Da hat es Gitti, die sich neben dem unwägbaren Chris noch positionieren muss und sowieso nicht wie „alle anderen“ sein will, erst recht nicht wie alle anderen Frauen, schon schwerer.

Was für eine Quälerei: Mit Anfang Dreißig ist man nicht mehr ganz jung und will endlich lieben, für länger. Jemanden finden, der zu einem passt. Aber passen Menschen überhaupt zueinander, fragt „Alle Anderen“ – und verweigert die Antwort. Überkreuz wie in so vielen anderen Filmen funktionieren die Paare hier jedenfalls ebenso wenig. Nein, Liebessucher treten aus einer tiefen, bleibenden Fremde aufeinander zu. Und alle Sehnsucht ist bloß etwas für Schlager, seien sie von Herbert Grönemeyer („Ich hab dich lieb“) oder Cat Stevens („How Can I Tell You“) und dröhnen sie auch noch so plötzlich und überwältigend in unsere seelenstummen Wirklichkeiten hinein. Nein, die Hölle, das sind nicht alle anderen, die Hölle ist jeder sich selber.

Mitten aber in all den Finten, Lügen und Heucheleien, dem Selbsthass und Selbstbetrug und Verstummen sagt Gitti, manchmal wolle sie für Chris eine ganz andere sein. So wie die Frauen, die vielleicht viel besser zu ihm passen. Und benennt damit beiläufig das traurige Paradox der Liebe: Dass man den Partner nie in seiner Gänze kennenlernt, weil man selber unrettbar so ist, wie man ist. Und auf einmal ist kein tobendes Schweigen mehr in diesem Berlinale-Auditorium, das vielleicht gerade den besten Film des Festivals miterlebt. Nur Stille. 

Dienstag, 10.2. um 9. 30 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 22. 30 Uhr (Urania)

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