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Visionen mit Bodenhaftung. Manfred Henkels Gemälde „Der Fall“ entstand 1976.

© Frizzi Krella, Berlin

Manfred Henkel in der Guardini Galerie: Farbstrudel im Schleudergang

Die Werkschau des abstrakten Malers Manfred Henkel in der Guardini Galerie beschwört auch ein Stimmungsbild des alten West-Berlin.

Frei und unangepasst war Manfred Henkels Malerei schon 1963, als er nach Berlin zog – vermutlich mit der Idee, in der Frontstadt ein ebensolches Leben zu führen. In der Guardini Galerie ist nun eine Werkschau dieses Malers zu sehen, der in der West-Berliner Szene so etwas wie ein Fels in der Brandung war: visionär im Denken, aber immer mit Bodenhaftung.

Auf zwei Etagen hängen Gemälde aus den siebziger und achtziger Jahren. Abstrakt sind sie alle, viel Weiß – und darunter und darüber Farbspuren in Rosa, Blau, Grün, Gelb und Ocker, getupft, gewischt, gespritzt. Nur zwei Bilder erinnern daran, dass der gebürtige Göttinger, der oft als „barocker Maler“ bezeichnet wurde, nicht immer so introvertiert und lyrisch gemalt hat. Es gab eine Phase in seinem Schaffen, in der die Formen härter und gegenständlicher waren. Einen Nachhall davon gibt es in den Bildern „Kampf mit dem Engel“ und „Reiter I“.

Aktivierung der Seelenkräfte durch Farbe und Form

Letzteres zeigt ein wildes Farbgetümmel, es könnten Reiterbeine und Pferderücken, Jacken, Kappen und Bodenstaub sein, die einen furiosen Strudel aus Blau, Rot, Schwarz und Weiß bilden, als hätte Henkel Jockeys und Pferde durchs Guckfenster einer Waschtrommel im Schleudergang gemalt. Doch Henkel, der 1988 mit 53 Jahren starb, dachte nicht in Narrationen. Er suchte den Sprung in die geistige Welt. Die Aktivierung der Seelenkräfte – durch Farbe und Form.

"Spuren" (1977) von Manfred Henkel
"Spuren" (1977) von Manfred Henkel

© Frizzi Krella, Berlin

Nach einem Kunststudium in Stuttgart zog Henkel nach Berlin, begleitet von seiner Frau Ellinor Michel und Sohn Robert. Ellinor, auch eine Künstlerin, war später mit Andreas Baader liiert. Eine Weile führten sie eine Ménage-à-trois, und es war Henkel, der nach der Trennung die beiden Kinder zu sich nahm, Robert und Tochter Suse aus der Beziehung zwischen Baader und Ellinor. Auch diese Mythen klingen wieder an, wenn die Guardini Galerie nun dreißig Jahre nach Henkels Tod an seine vom Tachismus geprägte Malerei erinnert. In den „Weißen Bildern“, die in den achtziger Jahren entstanden, blitzen, sprudeln und schimmern aus dem Weiß viele andere Farben hervor, von Rosa über Blau bis Grün. Manche Bilder wirken, als hätte der Maler sehr dicht an eine Wolke herangezoomt, die nun preisgibt, dass sie in Wahrheit aus farbigen Partikeln besteht.

Henkels Bilder lenken den Blick nach innen

„Ich male meine Bilder mit der Vorstellung, den Betrachter aus der Verhärtung des Denkens, der Schlagzeilen und den primitiven Räumen und Tatsachenbezügen herauszuleiten, nicht zuletzt mich selber“, wird Henkel zitiert. Es ist nicht klar, ob er sich mit dem Satz auf den Deutschen Herbst bezieht oder auf die zwei Jahre, in denen er mit gefährdeten Jugendlichen arbeitete. Henkels Bilder lenken den Blick nach innen, möchten den Betrachter von der Last der Dingwelt befreien. Ein zeitloses Anliegen, doch man liest es in digitalen Zeiten wieder neu.

Die Ausstellung zeigt auch einige vielfarbige Abstraktionen, die in ihrer Wildheit an Jackson Pollocks Drip-Paintings erinnern. Schön sind auch die Zeichnungen mit Kugelschreiber und Farbstift, die besondere Strahlkraft entfalten, obwohl sie kaum mehr als eine Handbreit messen. Die Schau ruft nicht nur Henkels malerisches Werk ins Gedächtnis, sondern auch das alte West-Berlin mit seinen Kunstdiskursen (abstrakt/gegenständlich), alternativen Lebensformen, langen Nächten und heißen Debatten. Henkel erzählt in seinen Bildern von einer Gleichzeitigkeit und Unübersichtlichkeit, die es zu akzeptieren gilt.

Guardini Galerie, bis 8. September, Mo–Fr 10–19 Uhr

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