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Das „Bildnis des Zacharie Astruc“ malte Édouard Manet 1866. Mit dem nur angedeuteten Interieur im Bildhintergrund verweist es auf Manets Faible für die holländische Malerei.

© Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

"Manet und Astruc" in Bremen: Im Zickzack zur Moderne

Vorkämpfer des Impressionismus: Die Kunsthalle Bremen würdigt Édouard Manet und seinen Künstlerfreund Zacharie Astruc.

Als der Dichter und Publizist Charles Baudelaire im Spätherbst 1863 eine Folge von Essays unter dem Titel „Der Maler des modernen Lebens“ veröffentlicht, ist Édouard Manet 31 Jahre alt und steht an der Schwelle seines Ruhms als Begründer der modernen Kunst.

Mit dem Maler war Baudelaire bereits seit Ende der 1850er Jahre bekannt, doch nicht von diesem handeln die Aufsätze, sondern von dem eine Generation älteren, heute kaum mehr bekannten Constantin Guys.

Zwei Jahre zuvor war Manet erstmals zum alljährlichen Salon, dieser Leistungs- und Verkaufsschau der Künste, zugelassen worden. Für das Gemälde „Der spanische Sänger“ erhielt er eine ehrenvolle Erwähnung.

Ein Kritiker, der bereits die „seltsame, neue Art“ von Manets Malerei bemerkte, ordnete sie „in der Mitte zwischen der realistischen und der romantischen“ ein. Von Moderne ist da allerdings keine Spur, zumal es sich beim „Guitarrero“ – so der Originaltitel – um ein klassisches Sujet handelt.

Baudelaire hatte anderes im Sinn, als er schrieb: „Die Moderne ist das Flüchtige, das Vergängliche, das Zufällige, die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unveränderliche ist.“ Was damit gemeint sein konnte – und erst mit dem Impressionismus so recht Gestalt annahm, zeigte Èdouard Manet ein Jahr darauf mit dem Gemälde „Musik im Tuileriengarten“.

Darauf ist unter anderen Baudelaire zu sehen, oder zumindest zu erahnen. Auch hat sich der Maler selbst dargestellt, ganz am Rand, und die Szene so als Momentaufnahme seines eigenen Lebens gekennzeichnet. Vor allem ging es ihm jedoch um die „seltsame, neue Art“ von Malerei, die von den Verfechtern der akademischen Tradition denn auch wütend angegriffen wurde.

Manets Porträt des Schriftstellers Émile Zola entstand 1868.
Manets Porträt des Schriftstellers Émile Zola entstand 1868.

© RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay(/Herve Lewandowski

Der Weg zur Moderne, zur Kunst des Impressionismus, verlief im Zickzack. Manet und seine Freunde begeisterten sich für spanische Malerei – daher das Motiv des Gitarristen – und alsbald für alles Japanische; sie führten, wo es ihre materielle Lage erlaubte, das Leben von Bourgeois und blieben zugleich am Rande der Bourgeoisie. All diese Elemente finden sich in zwei Porträts, die Manet von Freunden gemalt hat: von dem Schriftsteller Émile Zola und dem damals ebenfalls bekannten, später in Vergessenheit geratenen Kritiker und Künstler Zacharie Astruc.

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Beide Gemälde sind jetzt in der Kunsthalle Bremen nebeneinander zu sehen, und allein dieser Umstand ist sensationell. Das Zola-Porträt, 1868 gemalt, zählt zu den Kostbarkeiten des Pariser Moderne-Museums, des Musée d’Orsay, das zwei Jahre ältere von Astruc zu denen der Bremer Kunsthalle. Der Kunstverein als Träger des Museums erwarb es 1909 als eines der ersten Werke der französischen Moderne in einem deutschen Museum.

Um dieses Hauptwerk hat die Kuratorin der Bremer Kunsthalle, Dorothee Hansen, eine überaus durchdachte Ausstellung aufgebaut, ein Höhepunkt im winterlichen Ausstellungskalender.

Die Schau zeichnet den gewundenen Weg hin zur modernen Malerei nach; einmal mehr wird deutlich, dass sie sich nicht an der Auswahl „moderner“ Sujets bemisst, wie sie in Gestalt sommerlicher Landpartien in blumenübersäten Wiesen alsbald zum Markenzeichen des Impressionismus wurden.

Henri Fantin-Latour porträtierte seinen Maler-Kollegen Édouard Manet 1867.
Henri Fantin-Latour porträtierte seinen Maler-Kollegen Édouard Manet 1867.

© The Art Institute of Chicago

Manet hat Astruc und Zola in den Bildern als Vorkämpfer einer gemeinsamen ästhetischen Auffassung charakterisiert. Im Bildnis Zola sind die Verweise fast überdeutlich: der japanische Stellschirm und der Farbholzschnitt, und besonders die Schwarz-Weiß-Fotografie von Manets Skandalbild der „Olympia“ sowie die Broschüre, die Zola zur Verteidigung von Manets Kunst schrieb. Bei Astruc sind die Verweise subtiler.

Auf dem Tisch zur Linken lässt sich ein japanisches Grafikbuch ausmachen, ansonsten müssen die halb geschälte Zitrone – sie kommt in Manets Œuvre mehrfach vor – oder das bewusst zufällige Arrangement der Bücher auf dem von einem gemusterten Tuch bedeckten Tisch als Hinweis auf die Stilllebenmalerei gelten. Manet und seine Freunde waren ihr zugetan. Die merkwürdige Szene im Hintergrund, nur flüchtig angedeutet, könnte als Interieur verstanden werden – wie es der Freundeskreis an der holländische Malerei bewunderte.

Auch Fantin-Latours Atelierszene mit Manet im Zentrum ist in Bremen zu sehen

Auch ein weiteres Hauptwerk aus dem Musée d’Orsay ist in Bremen ausgestellt: die Atelierszene, in der der befreundete, jedoch nicht impressionistisch malende Henri Fantin-Latour 1870 den inzwischen berühmten Manet in den Mittelpunkt stellt. Und zwar in eben dem Moment, in dem dieser gerade das Porträt des vor ihm sitzenden Astruc malt, beobachtet von Zeitgenossen wie Zola oder den aufstrebenden Maler-Kollegen Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir.

So zeigt die Bremer Ausstellung eben jenes Netzwerk, das die Moderne forcierte. Und zugleich, inwiefern diese Moderne von der Baudelaires eingängiger Definition abweicht.

Spanische Malerei stand in Paris seit den 1830er Jahren hoch im Kurs; Astruc und Manet machten sich auf die damals noch beschwerliche Reise nach Spanien, um die Meister von Velázquez bis Goya im Prado zu studieren. Die Japan-Mode brach nach der Öffnung des jahrhundertelang verschlossenen Inselreichs über Paris herein, und japanisches Kunsthandwerk zählte spätestens seit der Pariser Weltausstellung 1867 zu den Must-Haves der betuchten Gesellschaft.

Pionier? Manet reichte seine Bilder hartnäckig weiter im bürgerlichen Saloan ein

Gleichzeitig wird in Bremen Zacharie Astruc erstmals als Künstler fassbar. Sein Metier waren detailgetreue Aquarelle, dann zunehmend Skulpturen unter anderem nach spanischen Motiven, wie die Büste der „Carmen“. Der nach einer spanischen Barockskulptur kopierte „Heilige Franziskus“ von 1874 in halber Lebensgröße wurde gar zum erfolgreichen Auflagenobjekt, wahlweise in Holz oder Bronze.

[Die Ausstellung "Manet und Astruc. Künstlerfreunde" ist in der Kunsthalle Bremen bis zum 27. Februar zu sehen. Der Katalog ist im Deutschen Kunstverlag erschienen, 34 €. Weitere Infos unter www.kunsthalle-bremen.de]

Der Freundschaft mit Manet tat derlei den Kitsch streifende Erwerbsarbeit keinen Abbruch; noch 1881, zwei Jahre vor seinem frühen Tod, ließ der Maler von Astruc eine Porträtbüste von sich schaffen, die auf dem Salon zu sehen war. Von ihr existiert nur mehr der ebenfalls in Bremen gezeigte Entwurf in Gips.

Modern? Manet wollte sich nie recht zum Impressionismus bekennen, als dessen Urvater er angesehen wird. Stattdessen reichte er seine Bilder hartnäckig zum Salon ein, diesem Gradmesser bürgerlicher Wertschätzung. Zola wiederum sah die Modernität seines Freundes darin zu malen, „wie er sah“. Bezeichnend für den ungeheuren Wandel der Industriellen Revolution in all ihren Alltagsaspekten ist allein die unscheinbare Fotografie, die Manet im Zola-Porträt unterbringt.

In Zacharie Astruc, der 1874 an der ersten Ausstellung der Impressionisten teilnahm – später nicht wieder –, besaß Édouard Manet einen Mitstreiter, und vor allem einen persönlichen Freund. Diesen höchst persönlichen Aspekt bei der Entstehung der künstlerischen Moderne rückt die Bremer Ausstellung ins Licht, mit Bildern, die zusammen zu sehen eine einmalige Gelegenheit bleiben dürfte.

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