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Befreiung vom Zwang. Édouard Manets Malerei bereitete den Weg in die Ästhetik der Moderne.

© bpk / RMN-Grand Palais / Patrice Schmidt

Manet-Ausstellung in Wuppertal: Der Bürger an der Staffelei

Édouard Manet war ein Begründer der Moderne und zugleich Kritiker der Wirklichkeit. Bis heute ist an dem französischen Maler Neues zu entdecken.

Rund 430 Gemälde umfasst das Lebenswerk von Édouard Manet (1832-1883). Selbst da, wo es qualitativ uneinheitlich ist, steht es doch turmhoch über dem Werk der meisten Zeitgenossen. Aber was heißt schon „Qualität“ bei Manet, dessen Werk doch gerade den stärksten Angriff auf seinerzeit herrschende Qualitätsmaßstäbe darstellt! Uneinheitlich ist das Werk, weil es am Anfang steht einer neuen Malerei, einer neuen Kunst, und Manet bei aller Virtuosität immer auch ein Suchender ist, der neue Wege geht, um den Preis vermeintlicher Sackgassen.

Das ist im Von der Heydt-Museum Wuppertal zu beobachten, wo sich der scheidende Direktor Gerhard Finckh mit der titellosen Ausstellung zu Manet selbst das schönste Abschiedsgeschenk macht. Nicht die ganz großen Meisterwerke seien zu sehen, hieß es vorab beschwichtigend; was erstens nicht stimmt, denn es sind durchaus einige Hauptstücke zu sehen, und zweitens keine Rolle spielt, weil die doppelte Botschaft der Ausstellung, dass Manet ein Begründer der Moderne sei und zugleich ein genauer Beobachter der Wirklichkeit, überzeugend zum Ausdruck kommt.

Schwarz war seine Signalfarbe

Sorgfältig wird der künstlerische Kontext aufgezeigt, in dem Manet seinen „Triumph“ feiert, wie gleich der Eingangsraum behauptet; hier wie auch in weiteren Kapiteln nach Möglichkeit mit Bildern aus der vorzüglichen Sammlung des Hauses belegt, die sich wesentlich der Elberfelder Bankiersfamilie von der Heydt verdankt. „Triumph“ bedeutete für Manet die Teilnahme am alljährlichen Pariser Salon, also die Anerkennung gerade der etablierten und durch die Académie repräsentierten Kunst. 14 Mal wurde Manet zugelassen, mit insgesamt 26 Einreichungen; elf Bilder wurden „zurückgewiesen“, aber nicht stillschweigend, sondern unter Skandal wie das heute gefeierte „Frühstück im Grünen“ .

Es ist diese Doppelrolle als Mitglied wie Kritiker „der“ Gesellschaft, die die Ausstellung in zum Teil selten gesehenen, aus nicht weniger als 49 Institutionen und Privatsammlungen entliehenen Arbeiten vorführt. Nicht innerkünstlerisches Schwanken, sondern eben diese soziale Rolle Manets macht verständlich, warum Manet zur gleichen Zeit alle Konventionen sprengen konnte, etwa in den fahrigen Seestücken, und ihnen huldigte, zumal in den ganzfigurigen Porträts einflussreicher Auftraggeber. Schwarz, diese im spanischen Hofzeremoniell wurzelnde (Nicht-)Farbe der Macht, ist geradezu die Signalfarbe Manets, der sie wunderbar zu modulieren weiß; es ist dies gerade das Gegenteil des Impressionismus, dem Manet noch immer fälschlich zugerechnet wird.

Die Fotografie beeinflusste sein Werk maßgeblich

Manet, der als selbstbewusst, unterhaltsam, im besten Sinne gesellschaftsfähig beschrieben wird, der in höchsten Kreisen verkehrte und sich doch mit einer Frau niederen Standes liierte (und mit ihr einen unehelichen Sohn hatte), die er erst nach dem Tod des Vaters zu heiraten wagte, aber stets von seinem sozialen Umgang fernhielt: Dieser Manet wollte zuallererst Maler sein.

Finanziell war er nicht darauf angewiesen, Wohnung und Atelier bezog er stets in fashionablen Adressen im Umkreis des Bahnhofs Saint-Lazare, mit der Eisenbahn als Transportmittel des Bürgertums. Besucher empfing er im Atelier, wo die Mehrzahl seiner Bilder entstand – nicht etwa im Freien – , und die mit fotografischen Porträts versehenen Visitenkarten sammelte er in Alben.

Die Fotografie, mit der Manet aufwuchs, hat sein Werk maßgeblich beeinflusst, nicht im Sinne der Nachahmung der „Lichtbildnerei“, sondern umgekehrt in dem der Befreiung der Malerei vom Zwang zur Reproduktion. In der Wuppertaler Ausstellung sind als ein Höhepunkt zwei der bahnbrechenden Meeresaufnahmen von Gustave Le Gray zu sehen, der das junge Medium bereits um 1855 zu einer kaum je wieder erreichten Höhe führte. Dagegen konnte Manet nicht anmalen, aber warum auch? Stattdessen schuf er grüngraue See-Stücke, auf denen Schiffe nur mehr als schwarze Pinselschwünge aufsitzen.

Elegant. Ausschnitt aus „Die Reiterin“, entstanden um 1882.
Elegant. Ausschnitt aus „Die Reiterin“, entstanden um 1882.

© Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid;

Ja, man sollte nah an die Gemälde herantreten; und in Wuppertal ist dazu Gelegenheit, anders als in den überlaufenen Pariser Museen. Manet malt zugleich grob und fein, oder eher: lässig und doch subtil. Dafür steht das vielleicht kleinste Format der Ausstellung, das Stillleben einer einzelnen Zitrone von 1880.

Wie da das Gelb der bauchigen Zitrone moduliert wird, wie sie einen flüchtigen Farbschatten auf den schwärzlichen Untergrund einer Servierplatte wirft – darin liegt das ganze Können eines Meisters. Diese Zitrone ist schlichtweg großartig, und es leuchtet ein, warum Max Liebermann sich ein verwandtes Gemälde Manets auserkor, das heute in Köln bewahrte „Spargelbündel“: Mehr an Sujet braucht es nicht für große Malerei.

Die aber revolutionierte kein Bohémien, sondern ein Bourgeois: Auch das ist eine Erkenntnis der Wuppertaler Ausstellung. Manets Leben überspannt das gesamte Zweite Kaiserreich unter Napoléon III., das im deutsch-französischen Krieg unterging und in der Pariser Commune ein schauerliches Nachspiel hatte.

Manet hat auf all’ diese Erschütterungen reagiert, jedoch als Künstler, nicht als Chronist. Modern ist er in dem Bewusstsein, auf schwankendem Grund zu stehen, gerade so wie die Gesellschaft seiner Zeit.

Wuppertal, Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, bis 25 Februar 2018. Katalog 25 €. Infos unter www.manet-ausstellung.de

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