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Provokant. Die Inszenierung „Messiah“ von Antea Groszynska, Jan Czaplinski und Marcin Kacki.

© Maciej Zakrzewski

Malta-Festival im polnischen Poznan: Schlägt man ein Kreuz ab, entstehen tausend neue

Kulturkämpfe und Religionskritik: Das Malta-Festival im polnischen Poznan ist eine künstlerische Reibungsfläche für die Konflikte im Land.

Auf dem Bühnenboden in der riesigen Messehalle am Rande von Poznan erstreckt sich ein illuminiertes Kruzifix. Vom Heiland ist allerdings nichts zu sehen. Stattdessen erscheint immerhin der Dichter Adam Mickiewicz, Polens Goethe und bis heute so etwas wie ein Nationalprophet. Wobei Mickiewicz in dieser Theateraufführung eher nicht nach Lichtgestalt ausschaut, sondern nach zauselbärtigem Landstreicher, der Zigaretten schnorrt und sich mit schwülstiger Fellatio-Lyrik zum Hanswurst macht. So einer soll der Erlöser sein? Oder halt, nein, die Heilserwartung ist ja eine andere: Auf Mickiewicz, den Romantiker, geht die Idee zurück, wonach Polen selbst ein „Christus der Völker“ sei, zum Leid geboren und bereit, die Sünden aller anderen Nationen auf sich zu nehmen. Ein Messianismus, der noch immer nicht aus der Welt ist.

„Mesijasze – Messiahs“ heißt dann auch diese Arbeit der jungen polnischen Künstler Aneta Groszynska, Jan Czaplinski und Marcin Kacki – zu sehen auf dem diesjährigen Malta-Festival in Poznan, der schönen Stadt an der Warthe, keine drei Stunden Zugfahrt von Berlin entfernt. Das international ausgerichtete Kulturevent hat sich in den vergangenen Jahren nicht zuletzt als Seismograf der Stimmung im Lande bewährt und Reibungsflächen für die Konflikte geschaffen – zwischen Rechtspopulisten und Linken, Gläubigen und Atheisten. Eine Rolle, der das Malta-Festival auch 2018 nachkommt, pünktlich zur Feier von hundert Jahren polnischer Unabhängigkeit.

Ohne den Blick in die Geschichte lässt sich die Gegenwart nicht verstehen. Gerade die Zeit der Romantik im frühen 19. Jahrhundert ist fürs Nationalgefühl bis heute prägend – weil Polen ja zunächst aufgeteilt war zwischen Russland, Preußen und Österreich, bevor es schließlich bis 1918 ganz zu existieren aufhörte. Weil der gescheiterte Novemberaufstand von 1830/31 Abertausende, darunter auch Adam Mickiewicz und seinen Kollegen Juliusz Slowacki, in die Emigration gezwungen und die Idee vom Leid als stärkendem Los entscheidend befeuert hatte. Auch daran muss man denken, wenn man so viele junge Menschen in T-Shirts sieht, über deren gesamte Breite dieser polnische Adler seine Schwingen faltet.

„Mesijasze – Messiahs“ basiert auf einem Buch von György Spiró, das historische Fakten und frei Erfundenes zu einer tragikomischen Saga über die polnische Seele verschraubt. Was aus der sehr performativen Inszenierung spricht, ist aber nicht zuletzt Ratlosigkeit. „Schlägt man ein Kreuz ab, erstehen tausend neue“, lautet ein wiederkehrender Satz. An anderer Stelle fällt ein Schauspieler aus der historischen Rolle und beklagt, dass man mit diesen „Picknicks auf Golgotha“ – die Anspielung auf eine rasend religionskritische Arbeit des Regisseurs Rodrigo Garcia – doch nichts erreicht habe. Dass diese „glatzköpfigen Pseudo-Patrioten“ ja sowieso nicht ins Theater kämen und man nur den Einverstandenen predige. Ein Dilemma, vor dem die Künstler auch hierzulande stehen.

Man suche durchaus den Dialog mit der polnischen Rechten, betont Michal Merczynski, der Direktor des Malta-Festivals beim Gespräch auf dem zentralen Plac Wolnosci, dem Platz der Freiheit. In einer „Forum“ getauften Diskussionsreihe sei zum Auftakt etwa Andrzej Zybertowicz zu Gast gewesen, der Berater des polnischen Präsidenten Duda und ein Chefideologe der Nationalisten. Zybertowicz hat zuletzt für Wirbel mit der Aussage gesorgt, die Juden hätten sich im Holocaust passiv verhalten. „Testing a dialogue“ war die Veranstaltung überschrieben, Merczynski sagt, es sei wichtig, trotz allem den Austausch nicht abreißen zu lassen, „aber natürlich weichen wir keinen Millimeter ab von unserer klar liberalen, europäischen Haltung“.

Diese erklärte Unverbrüchlichkeit hat auch dazu geführt, dass das Malta-Festival mit einer Klage gegen den polnischen Kulturminister Piotr Glinski vor Gericht zieht. Es geht um Zuschüsse in Höhe von 300 000 Zloty (knapp 70 000 Euro), die dem Festival im vergangenen Jahr trotz gültiger Verträge verweigert wurden, weil man sich den umstrittenen Künstler Oliver Frljic als Kurator eingeladen hatte. Dessen Arbeit „Der Fluch“, in der beispielsweise Oralsex mit einer Puppe von Papst Johannes Paul II. vorkam, hatte in Polen einen krachenden Skandal ausgelöst. Jetzt wird Justitia diesen Kulturkampf schlichten, oder eben auch nicht.

Die Autonomie der Kunst verteidigen

Die internationale Gastspiel-Plattform des Festivals, „Idiom“ genannt, wird in diesem Jahr von Jan Lauwers, Maarten Seghers und Grace Ellen Barkey kuratiert, dem künstlerischen Kern der Needcompany. „Leap of Faith“ haben sie ihr Programm überschrieben, Sprung des Glaubens, Sprung ins Ungewisse. „Das ist für mich die Definition von Kunst“, sagt Jan Lauwers bei einem Treffen in der Universität von Poznan. Der Needcompany-Gründer hat seine ganz eigene Haltung zur Aufgabe des Theaters in Zeiten, „in denen die Vulgarität da draußen täglich zunimmt“. Wichtiger als politische Statements auf der Bühne findet er Kunst, „die einen verwirrt zurücklässt“.

So wie die Arbeit „Concert By a Band Facing the Wrong Way“ von Maarten Seghers – eine wilde, dadaistische Musik-Performance, bei der Schlagzeug im Liegen gespielt wird und überhaupt alle Seh- und Hörerwartungen in Schräglage geraten. Sehr stark ist aber auch die ungleich realistischere Inszenierung „1095“ von Lisaboa Houbrechts & Kuiperkaai, einer jungen Generation flämischer Künstler – die gehen, mit einfachen Bühnenmitteln, starken Spielern und insgesamt sehr freizügig zurück in die Zeit von Papst Urban II., mithin zu den Anfängen der Kreuzzüge. Und Lauwers selbst zeigt mit „War and Turpentine“ eine Bearbeitung des gleichnamigen Romans von Sterfan Hertmans. Darin geht es um einen jungen Mann, der ein hervorragender Soldat im Ersten Weltkrieg wird – und ein sehr schlechter Künstler in der Zeit danach.

„Mir geht es darum, die Autonomie der Kunst zu verteidigen“, sagt Lauwers. „Viele sehen in ihr momentan nur ein Werkzeug. Und das ist gefährlich.“

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