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Vor der Djinguereber-Moschee. Ein UN-Blauhelm aus Burkina Faso wacht im malischen Timbuktu über den Besuch einer UN-Delegation am Wahltag.

© Joe Penny/Reuters

Mali und seine Geschichte: Asche und Papier

Vor den Wahlen in Mali: Charlie English erzählt von der großen Geschichte der Oasenstadt Timbuktu und der Rettung wertvoller Manuskripte.

Schlagzeilen wird die Präsidentschaftswahl im westafrikanischen Staat Mali sicher nicht machen, wenn am heutigen Sonntagabend die ersten Hochrechnungen eintreffen. Dabei hat Mali in der Vergangenheit durchaus für Schlagzeilen gesorgt, und es waren nicht nur die üblichen von Aufständen und ausländischer Intervention. Sie enthielten auch zwei gute Nachrichten: zum einen, dass die unschätzbar wertvollen Manuskripte, die in der Wüstenstadt Timbuktu zu Hause sind, vor den islamistischen Marodeuren, die die Stadt eine Weile im Würgegriff hielten, in Sicherheit gebracht werden konnten. Und zum anderen: dass es solche Manuskripte überhaupt gibt.

Die Fachwelt wusste es seit dem erstmaligen Betreten der Stadt durch europäische Abenteurer im 19. Jahrhundert. Die breite Öffentlichkeit nahm davon erst Notiz, als das Schicksal der bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Manuskripte auf der Kippe stand und die Islamistischen Rebellen in Verdacht gerieten, nach der Zerstörung von Bauten auch die papieren Zeugnisse der Vergangenheit zu vernichten. Dann kam, als die Krieger des westafrikanischen Al-Kaida-Ablegers sich buchstäblich aus dem Staub gemacht hatten, die Entwarnung: Nicht weniger als 377 491 Manuskripte seien in die malische Hauptstadt Bamako im Süden verbracht und gerettet worden. Nur ein Rest von etwa 4000 Manuskripten oder wohl nur einzelne Blätter sind verbrannt worden. Die Asche lag ausgerechnet auf den Fluren des Ahmed-Baba-Instituts, das zur Rettung und Erforschung der Manuskripte errichtet worden war – übrigens mit Mitteln aus Südafrika.

Über die Rettungsaktion von 2012/13 und ihre Nachgeschichte hat der englische Journalist mit dem schönen Namen Charlie English ein Buch geschrieben, das nach seiner Erstveröffentlichung 2015 jetzt auf Deutsch unter dem Titel „Die Bücherschmuggler von Timbuktu“ vorliegt (Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heike Schlatterer, Hoffmann und Campe, Hamburg 2018, 429 S., 24 €). Zum Glück ist es mehr als nur eine Reportage, sondern handelt, wie der Untertitel verrät, „Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes“. Die beiden Erzählstränge – die Geschichte Timbuktus und die Rettungsaktion – sind einleuchtend ineinander verwoben.

Handel sorgte für Kultur

Timbuktu als Umschlagplatz saharischer Karawanenstraßen aus dem Norden, nachweisbar seit dem 11. Jahrhundert, wurde zum Ort von Kultur und Gelehrsamkeit. Unter dem Schutz regionaler, aber nie in der Stadt selbst residierender Herrscher, erlebte sie ihre Blütezeit im 15. und 16. Jahrhundert. Ihren Reichtum verdankt sie dem Handel mit Sklaven, die nach Marokko und Ägypten verkauft wurden. Dann nahmen marokkanische Truppen 1591 die Stadt ein, und sie sank zu einer Garnison an der Peripherie herab. In Europa aber verbreitete sich der sagenhafte Ruhm einer Stadt, der man goldgedeckte Paläste andichtete, obwohl kein Europäer sie je gesehen hatte.

Das änderte sich im 19. Jahrhundert. Der erste bezeugte Besucher war ein Engländer (der auf dem Rückweg umkam). Damit setzt English ein. Spannend ist die Geschichte der „Entdeckung“ und Erforschung Timbuktus und damit die Erklärung der wild rankenden Legenden. Frühe Reisende waren arg enttäuscht, in Timbuktu nichts davon vorzufinden, sondern nur einen unwirtlichen Ort. Den eigentlichen Schatz sahen sie nicht: die Manuskripte aus etlichen Jahrhunderten, die bei den führenden Familien der Stadt lagerten – und ihnen noch heute gehören.

Noch gibt es keine Bibliothek, die die Schätze aufnimmt; sie sind vielmehr bis heute die ehrwürdigen Zeugen der familiären Tradition. Die Nachricht von ihrer Rettung hat im Westen zu einer neuerlichen Legendenbildung geführt: Man dichtete Timbuktu eine Universität an, die es mit dem mittelalterlichen Oxford oder Bologna aufnehmen konnte, und wollte in den Manuskripten Abhandlungen zu allen Wissensbereichen sehen. Insbesondere zwei Geschichtschroniken, die der Fachwelt schon früher bekannt waren, beförderten die Fantasie: Endlich war Afrika vom kolonialistischen Fehlurteil befreit, ein Kontinent ohne Geschichte und deren Aufzeichnung zu sein.

Ein zweites Damaskus?

So ganz stimmt das nicht, und English rückt die Dinge in taktvoller Weise zurecht. Denn natürlich ist der Manuskriptschatz das singuläre Zeugnis einer weit umfassenderen Kultur, als es europäischer Hochmut je zugestanden hat. Andererseits besteht der überwiegende Teil aus Koranabschriften, abgefasst im ortsfremden Arabisch. Was nichtreligiösen Inhalts ist, beschränkt sich meist auf ein- bis zweiseitige Dokumente etwa von Rechtsgeschäften. Timbuktu war ein Außenposten der islamischen Welt, aber kein zweites Damaskus.

Der Hype, der im Westen um die Manuskripte zur Hoch-Zeit von Al Kaida entbrannte, führte zu einem Geldsegen, über den English Erhellendes mitteilt. Die Rettungsaktion wurde nach Ablauf und quantitativem Ertrag weit überzeichnet, um üppige Westgelder locker zu machen – was bestens gelang. Verglichen mit den Unsummen, die der Westen in militärische Abenteuer pumpt, sind das gleichwohl Peanuts. Noch dazu solche, die eine bedeutende Facette des kulturellen Erbes der Menschheit bewahren. Hoffentlich weiß das auch der Präsident, der aus den Wahlen am heutigen Sonntag hervorgeht.

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