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Farblichtpunkte. Die „Kinder mit Laternen vor Haus“ malte die Künstlerin 1901.

© Kunsthandel Wolfgang Werner

Malerinnenstar des 19. Jahrhunderts: Kunsthandel Wolfgang Werner zeigt Paula Modersohn-Becker

Das Haus in Charlottenburg feiert 100-jähriges Jubiläum mit Werken einer prägenden Figur der Kunstgeschichte.

Da ist dieses „Stilleben mit Tonkrug, Pfingstrosen und Apfelsinen“. Paula Modersohn-Becker hat es auf den Sommer 1907 datiert, wenige Monate vor ihrem Tod, verursacht durch eine Embolie. In den Räumen von Wolfgang Werner sticht das Gemälde aus mehreren Gründen aus der Jubiläumsschau.

Zum einen macht sich das Unbelebte rar im Werk der Künstlerin, die zu den prägenden Gestalten der europäischen Kunstgeschichte um 1900 gehört. Zum anderen fällt auf – jedenfalls in der Ausstellung, die atemberaubend viele Leihgaben versammelt –, wie strahlend farbig Modersohn-Becker ihre Komposition gestaltet hat. Und wie vieldeutig.

Der beige-braune Tischläufer im Vordergrund wirkt wie ein Weg, der sich perspektivisch rasch verjüngt. Die beiden Vasen stehen wie bauchige Skulpturen im unbestimmten Raum, die Fläche unterhalb des Horizonts wirkt überhaupt wie ein in der Sonne leuchtendes, bewegtes Feld.

Die Grenze zwischen Innen und Außen, die Beschränkung durch reale Größenverhältnisse – das alles scheint im Spätwerk der gerade einmal 31-Jährigen ausgehebelt. Paula Modersohn-Becker hat sich befreit und ihr „Stillleben“ vermittelt eine Ahnung davon, was alles in den Jahren danach möglich gewesen wäre.

Es erfüllt dazu noch eine andere Funktion. Die Apfelsinen geben ganz klar den Hinweis auf ihre Auseinandersetzung mit Paul Cézanne. Ähnlich wie der analytisch malende Franzose macht Modersohn-Becker das Obst zur Fläche, nimmt dem Betrachter die Illusion und verführt ihn dennoch mittels delikater Farbgebung.

Klischees vom einfachen Menschen

Vor allem aber fällt an diesem Motiv auf, wie sehr die Künstlerin jeden gemalten Gegenstand als einen in sich ruhenden Körper begreift. Eine Einsicht mit Konsequenzen für alle hier versammelten Motive.

Wie oft hieß es in der Kunstgeschichte, Paula Modersohn-Becker habe „Natürlichkeit“ gesucht und „den einfachen Menschen“ dargestellt. Da wäre die „Sitzende Bäuerin mit Kind vor Birken“ (1903) oder die „Alte Bäuerin im Profil nach rechts, einen Stock haltend“ von 1899 – eine querformatige Kohlezeichnung mit raffinierten Akzenten in Weiß –, die solche Klischees untermauern.

Lässt man dann allerdings den Blick vom sattfarbenen Stillleben durch die Galerie schweifen, stellt sich ein anderer Eindruck ein. Auf einmal tritt die Geschlossenheit der Formen in den Vordergrund.

Die Köpfe der von ihr porträtierten Frauen und Kinder mag Paula Modersohn-Becker als Kreis angelegt, das „Sitzende Mädchen, den Kopf auf die rechte Hand gestützt“ (um 1903) auffallend konturlos in die Landschaft gesetzt haben.

[Kunsthandel Wolfgang Werner, Fasanenstr. 72. Bis 22. 2., Di–Fr 10–18 Uhr, Sa 11–15 Uhr]

Doch immer geht von ihren Figuren der Eindruck aus, als ruhten sie fest in sich und ihren von der Malerin festgelegten Konturen. Als stelle diese eine fast unsichtbare Verknüpfung jener zarten, kleinen Leben mit jener künstlerischen Ewigkeit her, wie sie sich in der Ölskizze „Kinder mit Laternen vor Haus“ oder dem „Brustbild eines Mädchens mit Strohhut und Kind im Profil“ artikuliert.

Die Figuren reihen sich ein in die ewige Tradition des menschlichen Porträts, das auch Paula Modersohn-Becker bloß für die Zeit eines Wimpernschlags aus ihrer von Zuneigung und individueller Anschauung geprägten Perspektive mitgestalten darf.

Auch Wolfgang Werner knüpft mit der Ausstellung an die nun 100-jährige Geschichte der Kunsthandlung an. 1919 fuhr sein Vorgänger J. B. Neumann nach Worpswede, um aus dem Nachlass der Künstlerin eine Ausstellung in seinen Räumen am Kurfürstendamm zu generieren.

Letzte Lebenszeichen

In dem begleitenden Katalog, der ebenfalls Teil der aktuellen Schau ist, versammeln sich 13 Hauptwerke von Paula Modersohn-Becker; darunter „Liegende Mutter mit Kind II“ oder „Selbstbildnis mit zwei Blumen in der erhobenen linken Hand“ (1907).

Kurz nach der Schau gründete Neumann seine Filialen, unter anderem in Bremen, wo die Kunsthandlung ebenfalls bis in die Gegenwart tätig ist.

Verlässlich begleitet sie das Werk der Malerin durch zahlreiche Ausstellungen vergangener Jahre. Die Ausstellung spiegelt deshalb auch die erfolgreiche Vermittlungen der Bilder in private wie öffentliche Sammlungen; zuletzt 2018, als Wolfgang Werner das Selbstbildnis der Premierenschau an das New Yorker MoMA vermitteln konnte.

Es gehört, genau wie das „Stilleben“, zu Paulas letzten Lebenszeichen.

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