zum Hauptinhalt
Der Martin Eder hat ein gefundenes Motiv recht großflächig in einem Gemälde verwendet. Ums Aneignen geht es in seiner Kunst.

© Mike Wolff

Maler Martin Eder im Urheberrechtsstreit: Ist Zitieren doch keine Kunst?

Das neue EU-Urheberrecht wirft viele Fragen auf: Ein Bild des Berliner Künstlers Martin Eder könnte in Deutschland zum Präzedenzfall werden.

Der renommierte Berliner Maler Martin Eder soll bei einem anderen Künstler geklaut haben. Wegen des behaupteten Plagiats musste Eder sich am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht verantworten. Besonders folgenschwer: Es handelt sich bei Eders Arbeit um Appropriation Art.

Eine künstlerische Praxis, die mit Absicht Vorlagen Dritter aufgreift – von Fotos über Werbung bis zu Kunstwerken –, eine Form von Konzeptkunst, die vom Kopieren, Überarbeiten und Aneignen lebt.

Eders Fall ist ein geradezu klassisches Beispiel für Appropriation Art. Großflächig übernahm der Berliner Maler ein Bild, das er im Internet gefunden hatte und das der Engländer Daniel Conway für sich reklamiert. Die mutmaßliche Vorlage zeigt einen Kirschbaum an einer Klippe.

Der Kirschbaum mit rosa Blüten ragt in einen wolkige Traumlandschaft mit Sonnenaufgang hinein. Die kitschige Szene findet sich ziemlich ähnlich bei Eder wieder. Daher der Plagiatsvorwurf. Eder platziert allerdings einen vielgliedrigen Holzbalkon mit einer nackten älteren Frau vor der Szenerie, die stehend in diese Landschaft schaut.

Zudem fügt er neue Bildelemente ein, unter anderem eine Ruine von Caspar David Friedrich und einen Vogel.

Das Urheberrecht hat ein Problem mit Appropriation Art

Appropriation Art provoziert das Urheberrecht, da sie den Interessenausgleich zwischen Monopolisierbarkeit und Freihaltbedürfnis, Eigentumsrecht und Kunstfreiheit fortwährend herausfordert. Typische Vertreter des Genres wie der amerikanische Künstler Jeff Koons, dessen Werke für Millionensummen verkauft werden, stehen daher immer wieder vor Gericht. Mal gewinnen sie, mal nicht.

Der britische Künstler Conway verlangt nun insbesondere Unterlassung. Das bedeutet, Eders Werk dürfte nicht mehr ausgestellt werden. Das Kammergericht befasste sich am Mittwoch zunächst nur mit dem „einstweiligen Rechtsschutz“, das heißt, es handelte sich um ein verkürztes Verfahren mit einer schnelleren Prüfung, bei dem zum Beispiel noch keine Gutachter eingesetzt wurden, die etwa die Herkunft des Originals genau prüften.

So oder so sollte man hoffen, dass dieser Rechtsstreit nicht versandet oder außergerichtlich verglichen wird, wie es so oft im Urheberrecht vorkommt. Sondern dass die Parteien den langen Atem haben, das nachfolgende Hauptsachverfahren anzugehen und den Fall durch die Instanzen zu treiben.

Denn der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung. Für jede Formen von Kunst, die zitiert und aneignet. Vom Hip-Hop über die Fan-Fiction bis eben zur Appropriation Art. Und der Fall hat das Zeug, dabei zu helfen, dem neuen Urheber- und Leistungsschutzrecht Kontur zu geben. Darauf wies das Kammergericht in seiner Eingangsstellungnahme ausdrücklich hin. Inhaltlich steht Eders Fall Spitz auf Knopf.

Copy/paste keine eigenständige Kunst?

Dass dieser Verhandlungstermin am Kammergericht für die Allgemeinheit so große Bedeutung hatte, liegt an einem Urteil, das drei Monate zuvor gefällt wurde. Am 29. Juli 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Großer Kammer über drei Urheberrechtsfälle aus Deutschland entschieden, unter anderem zum Fall Kraftwerk versus Moses Pellham, bei dem es um ein Zitat aus dem Song „Metall auf Metall“ ging.

Man wurde ganz grundsätzlich in Luxemburg. Offenkundig sah man Bedarf, den Deutschen einmal das Unionsrecht in Sachen Urheber- und Leistungsschutz mit Nachdruck zu erklären. Die Urteile waren deutlich im Ton.

Im Fall „Metall auf Metall“ ging es um die Frage, wann man in der Kunst Geschütztes Dritter weiternutzen darf, ohne zu fragen. Wie bei Eder. Bei ihm geht es allerdings um eine großflächige Übernahme.

Den Streitgegenstand bei Kraftwerk versus Moses Pelham bildet die Übernahme von lediglich zwei Sekunden Rhythmussequenz und ihre kaum veränderte Weiternutzung als Loop in einem neuen Lied. Im Vergleich zum Eder-Fall eine Kleinigkeit. Und doch: 20 Jahre Prozess. Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht, EuGH – alle involviert. Das ist selten.es

Die ästhetisch unspektakuläre musikalische Allerweltsanleihe von Kraftwerks „Metall auf Metall“ war für den EuGH Anlass, das im Kern seit 1902 geltende deutsche Bearbeitungsrecht für unionsrechtswidrig zu erklären. Und durch ein neues Recht zu ersetzen. Für alle Künste. Und für Aneignungen jeder Art.

Es gibt zwei Exit-Optionen zum Urheberrecht

An seine Stelle tritt nun, was insbesondere die sogenannte „InfoSoc-Richtlinie“ der EU schon seit dem Jahr 2001 festschreibt, was in Deutschland bislang aber bestenfalls halbherzig umgesetzt wurde. Der EuGH mahnte die bindende Wirkung dieses Unionsrechts in klaren Worten an. Und erklärte seine Regeln. Aber es wurden eben nicht alle Fragen beantwortet.

Deswegen schauen jetzt Juristen wie Künstler mit Spannung auf die ersten Urteile deutscher Gerichte. Der Berliner Rechtsstreit könnte hier ein Vorreiter werden. Aufgrund der Spezifik des Streitgegenstands, des Timings der Auseinandersetzung und der herausgehobenen Stellung Eders im zeitgenössischen Kunstmarkt hat er das Zeug dazu.

Die Herausforderung lässt sich klar benennen. Für das Bearbeitungsrecht ist es zu einem Systemwechsel gekommen. Bis dato galt: Wer geschütztes Material aus Werken Dritter übernimmt, aber etwas Eigenständiges daraus macht, braucht nicht zu fragen.

Gestritten wurde im Einzelfall darüber, ab wann Eigenständigkeit erreicht ist, aber der Hebel für den Interessensausgleich war kunstnah gedacht. An dessen Stelle treten nun zwei Exitoptionen: ein neues Zitatrecht einerseits, die Klassifikation der Bearbeitung als Karikatur, Parodie oder Pastiche andererseits. Greift eine dieser beiden Optionen, hätte Eder nicht fragen müssen.

[Unser neuer Newsletter BERLINER - Kunst bringt alle 14 Tage das Wichtigste aus der Kunst-Hauptstadt. Jetzt anmelden unter: www.tagesspiegel.de/berliner-kunst]

Zitatrecht passt nicht zur Kunst

Das Zitatrecht verlangt nun aber neben der Quellenangabe und Begrenzung der Übernahme auf das zwingend Notwendige eine Erkennbarkeit als Zitat und eine Interaktion mit der Vorlage. Wie aber sollen all diese Anforderungen bei Kunst sinnvoll greifen, wo Anführungszeichen und Fußnoten nicht weiterhelfen? Es passt nicht richtig. Entsprechend heftig wird in diesem Prozess auch an dieser Stelle gerungen. Eders Arbeit bietet Argumente dafür, zum Beispiel der Holzbalkon, der eine Betrachterposition inszeniert, und dagegen, zum Beispiel der Umfang der mutmaßlichen Übernahme.

Die zweite Option ist noch heikler. Parodie wurde in der Verhandlung mit nur einem Satz abgelehnt und nicht weiter diskutiert. Und der für das deutsche Recht neue, dabei ebenso unklare und umstrittene Begriff „Pastiche“ von Gericht und den Streitparteien erst gar nicht erwähnt. Das dürfte sich ändern, wenn der Rechtsstreit weitergeht.

Denn genau an dieser Leerstelle des neuen Urheber- und Leistungsschutzrechts entsteht derzeit die größte Rechtsunsicherheit.

Frédéric Döhl

Zur Startseite