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Die Zeit und ihre Zeichen. Schriftstellerin Katja Petrowskaja.

© Imago/Jürgen Heinrich

Magie der Fotografie: Das zweite Gesicht der Bilder

Katja Petrowskajas neuer Band „Das Foto schaute mich an“ erzählt vom angekündigten Krieg in der Ukraine.

Wenn Zeitungsglossen im Buchform erscheinen, ist meistens schon ihr Charme verflogen, ihre Schärfe dahin. Herausgenommen aus dem ephemeren Zusammenhang, müssen sie beweisen, dass sie mehr sind, als sie eigentlich sein sollten.

Es ist bei Katja Petrowskaja anders. Vor sieben Jahren begann sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ mir ihren Bildbeschreibungen. Reflexionen über Fotos aus Ausstellungen, aus Büchern: Menschen, Schriftbilder, Landschaft. Diese kurzen Texte – jetzt kaum drei Buchseiten – entfalteten schon in der Zeitung eine stille und gewaltige Spannbreite. Man war für diese Sonntagslektüre auch deswegen so dankbar, weil Katja Petrowskaja seit ihrem mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Roman „Vielleicht Esther“ (2014) kaum etwas veröffentlicht hat. Ebenso war die Enttäuschung groß, wenn man ein Blatt ohne ein Petrowskaja-Bild in der Hand hatte.

Der Westen schaute weg

„Das Foto schaute mich an.“ Der Titel aus der Bibliothek Suhrkamp (256 Seiten, 25 Euro), der rund sechzig Fotos und ihre Texte zusammenbringt, verweist auf das Porträt eines Bergmanns vom Donbass. Zigarettenrauch vernebelt das Gesicht, heraus sticht das Weiß seiner Augen. Im Internet fand sie das Bild und sah es im ukrainischen Pavillon der Biennale von Venedig wieder. Die Kolumne dazu erschien im Juni 2015. Da wurde im Donbass bereits gekämpft, was man im Westen kaum zur Kenntnis nahm.

„Dieses Buch handelt nicht vom Krieg, aber es wird vom Krieg umklammert. Der erste Text entstand, als der Osten der Ukraine von Russland angegriffen wurde“, schreibt Katja Petrowskaja im Nachwort: „Damals habe ich angefangen, über Fotos zu schreiben aus Ohnmacht vor der Gewalt. Heute macht Russland ukrainische Orte dem Erdboden gleich.“

Schmerz der Erkenntnis

Was sind diese Texte? Miniaturen, Kurzgeschichten, die man sich selbst zu Ende denken muss? Da steht ein alter Mann vor einem zerschossenen Wohnhaus. „Im ersten Moment denke ich, es sei Berlin. Es ist aber Prag. Ich hatte nicht gewusst, dass Prag im August 1968 von den Truppen des Warschauer Pakts so stark beschossen worden war.“

An anderer Stelle, zu einer anderen Zeit wurde ein brennendes Gehöft in der Ukraine fotografiert, von einem Soldaten der Wehrmacht. Er dokumentierte den deutschen Vernichtungsfeldzug. Putins Armee bedient sich in der Ukraine brutaler Nazi-Methoden. So löst sich Geschichte vor unseren Augen auf.

Die Frage von Fotografie und Empathie verbindet sich natürlich mit den Essays von Susan Sontag. Bei Katja Petrowskaja spürt man bei fast jedem Betreten eines – neuen – Bildraums den Schmerz der Erkenntnis, dass in der Vergangenheit auch schon die Zukunft liegt. Die Bilder, die sie gefunden haben, sind so erschreckend von jetzt und von hier, weil sie zeigen, dass das, was war, auch das ist, was kommen kann. So haben die Fotografien selbst das zweite Gesicht.

Speicher der Erinnerungen

Aus Petrowskajas Familienarchiv stammt das Foto mit dem kleinen Mädchen und dem Vater. Die Frau, die dieses Mädchen war, erkennt, dass sie mit der linken Hand ein Bild malte. Das wusste sie nicht mehr. „Die Möglichkeit, linkshändig zu sein, war jedoch so nah gewesen, dass sie ein bisschen in mir geblieben ist.“

Einmal fragt die Betrachterin: „Ist Schönheit etwas, das wir sehen – oder eher das Unsichtbare dahinter?“ Katja Petrowskaja wurde 1970 in Kiew geboren. Sie lebt in Berlin und in Tiblissi. Ihr Roman „Vielleicht Esther“ sucht nach der Geschichte ihrer Familie, und das ist zwangsläufig die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Fotografie, wie der Film, sind in dieser Zeitspanne die bestimmenden Medien und Erinnerungsspeicher. In „Neues von Blumen“ stößt Petrowskaja auf das bräunliche Foto einer seltsam geformten, leuchtenden Pflanze. Er erinnert an die allerersten Versuche der Fotopioniere im 19. Jahrhundert, stammt aber aus dem Band „The Chernobyl Herbarium“. Verstrahlt, mutiert, entdeckt in einem Laden in New York.

Eine einzelne Wolke am blauen Himmel fasziniert die Bildsucherin. Sie liegt im Gras im Volkspark Friedrichshain, findet die Form der Wolke, die sich vor die Sonne geschoben hat, „ideal“ und macht ein Foto. „Ich habe sie nur fotografiert, dabei war ich so froh, als hätte ich sie selbst erschaffen.“ Das ist reine Poesie und auch etwas Poetologie, ausnahmsweise hell und mit einem Lächeln geschrieben.

Das Dunkle aber entstammt, so stellt es sich fatalerweise dar, einem unerschöpflichen Vorrat. Auf einer nicht datierten Fotografie, vielleicht aus den 1970er Jahren, stehen zwei Kinder in einem Hafen am Schwarzen Meer. Sie schauen angespannt aufs Wasser. Für Katja Petrowskaja verbirgt dieses Foto „eine unvorhersehbare Zukunft, die außerhalb unseres Sehens liegt und die so groß ist wie das langsam sich nähernde Schiff, das den ganzen Horizont einnehmen kann. Es gibt ein rufendes Signal ab. Die Kinder hören es, wir aber nicht.“ Es gibt so vieles in all diesen Bildern, das auf seine Wahrnehmung wartet. Dabei wird die menschliche Vorstellungskraft permanent überstiegen.

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