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Der 15-jährige Nicola (Francesco Di Napoli, rechts) will seinen jüngeren Bruder vor der Gewalt der Clans beschützen.

© Prokino

Mafiadrama „Paranza“ im Kino: Auf den Straßen von Neapel

Verlust der Unschuld: In Claudio Giovannesis Mafiadrama „Paranza – Der Clan der Kinder“ fordert eine Jugendgang die Alten heraus.

Von Andreas Busche

Der neapolitanische Stil ist vulgär-feudalistisch, Donald Trump hätte seine Freude. Viel Bling-Bling und billige Schauwerte. Im Flur wacht ein goldener Löwe, das Wohnzimmer ist vollgestopft mit Kronleuchtern und Sesseln wie aus einer Operettenversion des Lebens vom Märchenkönig Ludwig. Herzstück der Inneneinrichtung sind eine Hantelbank und ein Hometrainer – sowie die Hausbar in einem weißen Cellokoffer. Geschmack ist nicht käuflich. Der 15-jährige Nicola (Francesco Di Napoli) kommt trotzdem aus dem Staunen nicht heraus, als der unwesentlich ältere Agostino (Pasquale Marotta) ihn durch sein Haus führt. Nicola kann es sich nicht mal leisten, mit seinen Kumpels auszugehen, wenn der Geldeintreiber gerade wieder bei seiner Mutter Schutzgeld kassiert hat. Ihre Reinigung liegt in einem runtergekommenen Altstadtviertel von Neapel, das die Mafia fest im Griff hat.

Für Nicola und seine Kinderbande ist Agostino eine Respektsperson. Als die Striano-Familie noch das Viertel kontrollierte, mussten die Ladenbesitzer keine Schutzgelder zahlen. Aber der Vater sitzt im Knast, der Onkel wurde ermordet. Der Name Striano ist auf der Straße keine Währung mehr, sie wird inzwischen von Kleinkriminellen ohne Traditionsbewusstsein, ohne Werte kontrolliert. Nicola sieht in Agostino einen Verbündeten, um sich einen Anteil am großen Geld zu sichern. Seine eigene Wirklichkeit endet an der Scheibe des Juweliergeschäfts, die Preise der Rolex-Uhren im Schaufenster kennt er aber auswendig.

„Paranza – Der Clan der Kinder“ basiert auf einem Bestseller des Mafia-Experten Roberto Saviano, der sich im Süden mit seinen Reportagen über die „ehrenwerte Gesellschaft“ wenig Freunde gemacht hat. Dass die Faszination mit der Mafia aber zweischneidig ist, zeigt Claudio Giovannesis Verfilmung: Den Jugendlichen in „Paranza“ wachsen kaum Barthaare, aber sie wollen schon mitmischen, sich mit der alten Garde messen, die entweder im Knast sitzt oder unter Hausarrest steht. Matteo Garrones Neapel-Panoptikum „Gomorrha“ reanimierte 2008 den Populärmythos „Mafia“, ähnlich wie in Deutschland die Serie „4 Blocks“ die Codes und Kultur der arabischen Clans zum Pop-Phänomen erhob.

Für das Drehbuch gab es den Silbernen Bären

„Gomorrha“ war eine Raymond-Carver-artige Schachtelerzählung, die wie gemacht war für die spätere gleichnamige Erfolgsserie. Giovannesi setzt dagegen auf eine leicht stilisierte Doku-Ästhetik, seine Laien-Besetzung mit neapolitanischen Kids sorgt für weitere Authentizitätseffekte. Kinder sind, so die offizielle Erzählung über die gesellschaftliche Peripherie, die ersten Opfer der Gewalt auf der Straße. „Paranza“ bringt dieses Märchen ins Wanken, wobei Giovannesi, der zusammen mit Saviano im Februar für sein Drehbuch einen Silbernen Bären erhielt, die Grenze zwischen Täter und Opfer, zwischen Handlungsmacht und Ohnmacht offenhält.

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Francesco Di Napoli sieht mit seinem glatten Engelsgesicht aus wie eines dieser unbescholtenen Straßenkinder, denen Pasolini sein neorealistisches Frühwerk gewidmet hat. Die Gewalt kommt nicht aus ihnen heraus, sie ist ein sozialer Reflex. Sie reflektiert die Verhältnisse – wie die glänzenden Bling-Interieurs, die bei aller Scheußlichkeit sozialen Status kennzeichnen.

Das Ende steht von Beginn an fest

„Paranza“ erzählt eine im Grunde altbekannte Gangstergeschichte, Nicolas Übergangsritus: seine Initiation in das Gesetz der Straße. Er will einem Mädchen imponieren, gleichzeitig seiner Mutter helfen sowie seinem kleinen Bruder ein Vorbild sein. An allen drei Aufgaben muss der 15-Jährige am Ende scheitern, darin besteht die Tragik von Giovannesis Film. Anfangs läuft es noch wie geschmiert. Nicola erobert Letizia (Viviana Aprea), er führt sie in die Oper aus. Später schneiden Territorialstreitigkeiten zwischen den Jugendgangs den Weg zu ihr ab. Im Club residieren er und seine Jungs eine Weile in der VIP-Lounge über den „billigen“ 500-Euro-Tischen.

[In acht Berliner Kinos; OmU: Hackesche Höfe, Delphi Lux, Il Kino, Kulturbrauerei, Passage]

Aber, auch das eine alte Gangsterweisheit, Gewalt bringt Gewalt hervor. Um ihr Revier zu sichern, beschaffen sich die Jungen von einem Patron der alten Schule automatische Waffen. Als sie diese über den Dächern Neapels testen (sie zünden ein Feuerwerk, um die Schüsse zu übertönen), lässt sich in ihren weichen Gesichtszügen bereits eine Veränderung ablesen. So sieht es aus, wenn man seine jugendliche Unschuld verliert.

„Paranza“ dreht sich immer wieder um diesen entscheidenden Moment, was dem Film dramaturgischen Schneid abkauft. Das Ende steht, daran hat sich seit den Gangster-Klassikern nichts geändert, von Beginn an fest. Selbst die Eskalationsstufen sind in das Genre schon eingebaut. Um die Kids aber besser zu verstehen, müsste Giovannesi manchmal hinter ihre Gesichter blicken – und so auch ihren Schmerz zum Ausdruck bringen.

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