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In Horatiu Radulescus "Clepsydra" werden Klaviere auf vielfältige Weise bearbeitet

© Camille Blake

Maerzmusik-Festival 2019: Vom Brummen der Gegenwart

Das Festival "Maerzmusik" startet mit Werken von Frederic Rzewski und Horatiu Radulescu im Haus der Berliner Festspiele

Das Haus der Berliner Festspiele ist noch gezeichnet vom letzten Festival. Folie lässt die Fensterfront kupfern schimmern, über dem Eingang hängt das leere Wappen eines deutschen Landes, das Geschichte geworden ist. Zu diesem Rahmen passt, was Berno Odo Polzer 2019 mit der „Maerzmusik“ vorhat. Das „Festival für Zeitfragen“ will sich bis zum 31. 3. dem Phänomen der Geschichtsschreibung widmen, natürlich angerissen von Konzerten, dann aber fortgesponnen in Diskussionen und Lectures. Dieses Jahr kommt zudem ein gewaltiges Videoprogramm in der Betonhalle des Silent Green in Wedding dazu. Hier kann bei freiem Eintritt über 200 Stunden verfolgt werden, welches Echo die musikalische Avantgarde im Fernsehen der 1950er bis 1990er Jahre fand. Kostproben geben Standbilder auf Monitoren im Festspielhaus-Foyer, auf den ausgewaschenen Momentaufnahmen kann man den herausfordernden Blick von Frank Zappa erkennen, den schweißgebadeten Lenny Bernstein, den schmunzelnden György Ligeti.

Wie weit das alles entfernt scheint. Und wo ist die zeitgenössische Musik eigentlich in den Ausstrahlungen der Gegenwart abgeblieben? „Dass sich die Avantgarde sang- und klanglos verkrümelt hat, ist ja schon schlimm genug“, sagt Frederic Rzewski. „Dass aber auch der Kapitalismus noch immer nicht besiegt ist, das kann einen schon fertigmachen.“ Der 80-jährige Komponist und Pianist, ein unbeirrbarer US-amerikanischer Querkopf, eröffnet die Maerzmusik. Mit den Noten seines gewaltigen Variationenwerks „The People United Will Never Be Defeated“ unterm Arm, geht er prüfend zum Flügel, schaut die Blätter langsam durch, bemerkt ein Geräusch. Es ist ein Lüftungsgrundton, den man in modernen Sälen als gegeben hinnimmt. Rzewski lehnt ihn ab, das Publikum meldet sich erklärend zu Wort, dann spielt der grauhaarige Mann einfach gegen das Brummen an.

Rzewski weiß um seinen Auftrag - und das Gedächtnis der Musik

Seine Musik ist zutiefst politisch und artistisch zugleich, gehen die 36 Variationen doch von dem traurig-berühmten Lied der chilenischen Linken aus, das bald zum Inbegriff für den Widerstand gegen die Militärdiktatur wurde. Rzewski hat sein Werk zum Geburtstag der US-Verfassung geschrieben – und damit darin erinnert, das es sein Land war, das die Demokratie in Chile blutig beenden half.

Der Pianist Igor Levit hat Rzewskis Variationen für sich entdeckt und damit Zuhörer begeistert. Unter Levits Händen strahlt und ächzt dieses Werk gute 50 Minuten lang, ehe mit hart erkämpftem, Einsamkeit und Angst trotzendem Choral wieder „El pueblo unido jemás será vencido“ auftaucht. Frederic Rzewski dagegen braucht am Freitag beinahe 90 Minuten, das Bedrohliche gleicht bei ihm einer Schlammlawine, die durch alle Genres wirbelnden Brüche wirken verschliffen, wenn auch nicht versöhnt.

Im hohen Alter steht hier jemand, der um seinen Auftrag weiß und um das Gedächtnis der Musik. Sein 2006 verstorbener Kollege Horatiu Radulescu konnte seine für präparierte Klaviere geschaffene Klanginstallation „Clepsydra“ niemals so hören wie erträumt. Die Maerzmusik wuchtet nach großem Umbau acht gekippte Flügel und geöffnete Klaviere auf die Bühne, die Saiten entblößt für 16 Spieler, die sich an den Innereien der Instrumente zu schaffen machen. Die Proben dafür werden manche Fingerkuppe gekostet haben. Das Ergebnis klingt je nach Erregungszustand nach einem gigantischen Bienenkorb, nach dem Wind in den Wanten eines Segelschiffes oder wie eine große Glasmusik, angestimmt auf Trinkgefäßen, die gerade noch halbvoll sind.

Frederic Rzewski wird sein Variationswerk „The People United Will Never Be Defeated“ am 31. März ab 13.00 Uhr bei "The Long Now" im Kraftwerk Berlin erneut aufführen. Zudem bringt er dort ein neues Werk zur Uraufführung.

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