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Der Autor und ehemalige März-Verleger Jörg Schröder (1938-2020)

© imago images/Sämmer

März-Verleger Jörg Schröder gestorben: Von "Siegfried" bis "Sexfront"

Wiege der Popliteratur, Hort kulturrevolutionärer Umtriebe: Zum Tod des März-Verlegers Jörg Schröder. Ein Nachruf.

Viele, die den Namen Jörg Schröder hören, dürften mit diesem zunächst nicht so viel bis gar nichts verbinden, ein deutscher Allerweltsname, gut, und weiter?

Würde man diesen Menschen jedoch einen der Bände aus Schröders März-Verlag zeigen, gäbe es ein sofortiges Erkennen, natürlich, die sind mir schon untergekommen, die habe ich in der Hand gehabt oder gelesen: knallgelber Einband, knallrote Betitelung oder fettschwarze, wobei der Verlagsname immer groß oben oder unten in rot oder schwarz auf dem Cover prangte.

Die Bücher dieses Verlags sollten sich allein von ihrem Anblick her einprägen. Das war ein Trademark, das es in sich hatte, an dem niemand vorbei konnte. Schon gar nicht in der Zeit, in der Jörg Schröder den März Verlag gründete, 1969, klar, im März, und diesen dann zu einer Institution der literarischen Gegenkultur machte und zur Wiege der Popliteratur.

Schröder, der 1938 in Berlin geboren wurde, hier in Niederschönhausen und später, einige Jahre nach dem Krieg, im niedersächsischen Rinteln aufwuchs, begann seine verlegerische Karriere zunächst in den frühen sechziger Jahren bei Kiepenheuer & Witsch, in der Werbeabteilung. 1965 wechselte er als Lektor zum Darmstädter Melzer Verlag, der auf Judaica spezialisiert war.

1967 verlegte Schröder "Die Geschichte der O."

Schröder wurde zur rechten Hand des Verlegers, baute den daniederliegenden Verlag erfolgreich um, veröffentlichte hier Victor Klemperers „LTI- Notizbuch eines Philologen“, LeRoi Jones „Blues People; Schwarze und ihre Musik im weißen Amerika“, vor allem aber den pornografischen Roman „Die Geschichte der O.“, der sich glänzend verkaufte.

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Nicht nur deswegen sollten Melzer und Schröder aneinandergeraten, auch das wilde Leben, das Schröder führte, seine Non-Chalance, sein Mackertum und seine revolutionären Ansichten stießen dem Holocaust-Überlebenden Joseph Melzer auf. Wie diktierte es Schröder 1972 in seine von dem Schriftsteller Ernst Herhaus verfasste Autobiografie „Siegfried“: „In meinem Mercedes war immer die größte Vögelei im Gang“. Oder, auf die Verlagswelt schimpfend: „Die windigen Typen, die überall herumlaufen, Droemer, Hanser, alle die Kacker.“

Und so gründete Schröder noch im Keller des Melzer Verlags seine eigenen Verlage, März und dazu die Olympia Press, wo er weitere pornografische Bücher und Filme verlegte, aber eben auch solche von Burroughs, Jean Genet oder Henry Miller.

Günter Amendts "Sexfront" wurde zu einem der erfolgreichsten Bücher des Verlags

Noch prägender für die Zeit und die Kultur der Bundesrepublik der frühen siebziger Jahre waren seine März-Veröffentlichungen: das von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla herausgegebene Buch „Acid – Neue amerikanische Szene“, Ken Keseys „Einer flog übers Kuckucksnest“, Leonard Cohens Bücher „Schöne Verlierer“, „Blumen für Hitler“ und „Lieblingsspiel“, Siegfried Bernfelds „Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse“. Vor allem aber, am erfolgreichsten, dazu ein jahrzehntelanger Longeseller, Günter Amendts Aufklärungsbuch „Sexfront“, auf dem das t auf dem sonst schwarzgesetzten Titel rot erschien und das auch in den achtziger und neunziger Jahren Heranwachsenden ohne große Worte und Umstände von ihren Eltern in die Hand gedrückt worden war. Hier die sehr von der amerikanischen Subkultur beeinflusste Underground- und frühe Popliteratur, dort die emanzipatorischen Diskursbücher, mit mal mehr, mal weniger Diskurs: das war das März-Programm.

So wild und ungebändigt sich Schröder in „Siegfried“ 1972 präsentierte, ein Buch, das übrigens selbst in einer Neuauflage vor zwei Jahren nur mit Schwärzungen erscheinen konnte, so schnell war das erste März-Feuer wieder erloschen. Nach der Schließung 1973 wurde der Verlag ein Jahr später als GmbH neu gegründet, den Vertrieb übernahm Zweitasuendeins, unter anderem erschien in dieser Zeit Bernward Vespers „Die Reise“.

"Wir wollten näher an die Wahrheit ran"

In Folge sollte der März Verlag mal mehr, mal weniger existieren, zudem gehörten nun andere Verlage wie Merve oder Kiepenheuer & Witsch zur Pop- und Theorie-Avantgarde. 1987 meldete Schröders Lebensgefährtin Barbara Kalender den Konkurs an, und das Verlagsarchiv fand seine Heimstatt im Deutschen Verlagsarchiv in Marbach. Unter dem März-Label waren Schröder und Kalender dann weiter sich selbst darstellend, schreibend, erzählend, verlegend und mit Ideen um sich werfend unterwegs, immer nach dem Schröder-Motto: „Wir wollten näher an die Wahrheit ran. Die ganze Wahrheit kennt man ja nicht, aber wir wollten näher ran. Dazu gehörte natürlich dieses Über-sich-selber-Reden, aber eben auch über Leute, denen man begegnet.“ Am frühen Samstagmorgen ist Jörg Schröder im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben.

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